Frau
Winter machte die Augen auf. Sie konnte sie nicht ganz aufmachen,
dafür war sie zu schwach oder zu müde. Sie fühlte sich eher müde,
als schwach aber mit Sicherheit war sie auch schwach, denn sie konnte
sich kaum noch bewegen, obwohl sie es vor einigen Tagen noch getan
hatte.
Die
Schwester stand am Fußende ihres Bettes, vielleicht war es auch
dieser Pfleger. Sie schaute nur auf sie herab. Wahrscheinlich machte
sie ein zur Situation passende Miene. Vielleicht war sie wirklich
traurig oder sogar erschrocken über den raschen Wandel, der sich in
Frau Winters Gesicht vollzogen hatte.
In
den letzten Tagen hatte eine Schwester ihr noch die Haare gekämmt,
weil sie früher gerne gut ausgesehen hatte, zumindest fein. Frau
Winter hatte genickt, als sie fragte, ob das so gut ist. Sie konnte
im Spiegel nicht viel erkennen, nur eine Frau die im Bett lag aber
sie hatte andere Gedanken im Kopf. Der Winter stand vor der Tür und
wenn sie sich recht erinnerte, musste dann dafür gesorgt werden,
dass genug zu Essen da war – im Keller. Sie wollte sich die Lage
mal ansehen, da unten, wenn es ihr wieder besser ging.
Sie
fühlte sich trocken an im Gesicht. Vielleicht müsste sie sich mal
wieder eincremen. Irgendjemand müsste sie ins Badezimmer schieben
aber nur wenn es nicht allzu sehr weh tat. Sie würde ja sehen, es
muss nicht unbedingt heute sein.
Eigentlich
hatte sie etwas Angst vor dem was auf sie zu kam. Es ging auf einmal
so verdammt schnell. Ihren Sohn wollte sie auf jeden Fall noch einmal
sprechen. Nur sehen würde ihr sogar ausreichen. Egal wie. Sie musste
ihn wohl möglich noch zum Einkaufen schicken, sie hatte das sichere
Gefühl, dass einige extra Dosen aus dem Kaufhaus noch nötig seien.
Bald würde es schneien, der Winter stand vor der Tür. Sie würde
sich die Lage im Keller noch einmal ansehen müssen.
Ihr
Gesicht war grau. Vor wenigen Tagen hatte sie noch rote Wangen
gehabt. Sie hatte im Garten gearbeitet, musste ja alles für den
Winter gemacht werden. Später ist der Boden zu hart. Die Augen
fielen in den Kopf hinein, die Wangen auch. Fast so, als würde
jemand die Luft aus ihren Kopf pumpen, wie aus einem Ball. Überhaupt
traten an den unmöglichsten Stellen ihre Knochen zum Vorschein. Sie
wäre gerne ins Bad gefahren worden, um sich etwas frisch zu machen,
so konnte sie doch ihre Gäste nicht empfangen. Ihr Sohn wollte
kommen und seine Frau und die Kinder. Er müsste noch einkaufen gehen
aber darum würde sie ihn erst morgen bitten.
Die
Luft war nicht so gut in dem Zimmer. Sie musste tief einatmen und
hatte sie gerade überhaupt geatmet? Jetzt hatte sie wirklich Angst.
Sie würde doch nicht vergessen zu atmen, oder? War es denn schon
soweit? Sie hatte ansonsten keine Schmerzen, nur die Angst tat im
Moment etwas weh. Jemand nahm ihre Hand in die seine. Frau Winter
hatte die Schwester vollkommen vergessen. Sie lächelte ihr zu aber
sie konnte sie nicht mehr sehen. Sie sah aber das Zimmer, sie lag in
diesem vollautomatischen Bett in der ersten Etage. Draußen schien
die Sonne und es war tatsächlich Winter. Es schneite. Sie konnte
ihre Augen nicht mehr aufmachen. Das Sonnenlicht flackerte in
Strähnen auf den Wänden im Zimmer. Da stand ihr Sohn mit seiner
Frau und er hielt ihre Hand. Aber auch die Schwester war da. Frau
Winter hatte sich nicht getäuscht.
Ja,
lebt wohl, Kinder. Sie saß auf der Wand an der bunte Bilder hingen.
Kalender mit Früchten für jeden Monat des Jahres, ein Bild einer
kleinen Katze und eingerahmte Fotos. Etwas zog sie langsam nach oben
zur Decke aber das war schon in Ordnung. Sie hatte keine Angst runter
zu fallen, es passierte alles mit Ruhe. Nur ihr eigener Körper
überraschte sie, als sie ihn im Bett unter sich liegen sah.
Die
Schwester nickte. Sie sagte wohl so etwas wie: „Ja, sie ist
gegangen.“ und trat einen Schritt zurück. Ihr Sohn hielt noch
immer ihre Hand. Er weinte nicht oder so, er schien nur erleichtert
und Frau Winter war froh darüber.
Dann
sah sie nicht mehr was zur Rechten oder Linken passierte. Dort wurde
es zunehmend dunkler und auch unten oder oben konnte sie immer
weniger erkennen. Sie blickte durch einen Tunnel, durch ein Rohr
welches immer schmaler wurde. Bald konnte sie nur noch einen kleinen
Punkt aus hellem Licht sehen und das war die Welt die sie gerade
verlassen hatte. Sie war so klein wie ein Stecknadelkopf.