Sonntag, 6. November 2016

Besuch der Stufe 3 (2)

 Es waren bestimmt 6000 Sterne zu sehen in dieser Nacht. Sophie zeigte auf einen besonders großen.
„Kommst du von da?“
Ja.“
Sie zeigte auf einen anderen Stern.
„Und von da?“
Ja, auch von da.“
Sie schwiegen lange. Sophie dachte an den Mann der gestorben war. Sie fragte sich, wo er jetzt ist.
Er liegt noch im Krankenhaus, im Kühlhaus.“
„Du sollst meine Gedanken nicht lesen.“
Gut, ich werde sie nicht mehr lesen.“
Sophie drehte sich auf die Seite. Die Bank war hart und zu schmal, sie konnte nicht einschlafen obwohl sie müde war.
„Auf wie vielen Sternen wart ihr schon?“
Wir leben im gesamten Raum, der Raum ist unser Zuhause.“
„Ist es nicht einsam im Raum?“
Wir sind immer zusammen.“
„Jetzt auch?“
Ja.“
Ein Polizeiwagen kam langsam über den Weg gerollt und hielt nicht weit entfernt.
„Warum sprechen die anderen nicht mit mir?“
Wir sprechen alle zu dir, aber nur mit einer Stimme.“
Ein Polizist und eine Polizistin stiegen aus und kamen auf Sophie zu. Sie blieben direkt vor ihr stehen und sagten nichts.
„Hm“, machte Sophie. „Kinder dürfen in der Nacht nicht alleine herumlaufen.“
Ich weiß.“
Die beiden Polizisten standen wie angewurzelt da. Beide sahen sie sehr nachdenklich aus.
„Was hast du gemacht?“
Sie denken über das Verhalten von Katzen nach.“
Sophie lachte.
„Wie seht ihr aus?“
Wie das Spiegelbild des Nichts, das Etwas oder das Alles.“
Sophie runzelte die Stirn.
Es lässt sich nicht mit Worten erklären, Sophie.“
„Was ist das Spiegelbild des Nichts?“
Das Spiegelbild des Nichts ist das Etwas. Ich werde es dir zeigen.“
Sophie stand auf.
„Wohin gehen wir?“
Siehst du meine Hand?“
Sophie machte große Augen, als eine gewaltige Hand direkt hinter den beiden schwer nachdenkenden Polizisten aus dem Nichts erschien. Diese Hand gehörte zu einem langen Arm der bis zu den Sternen reichte und vielleicht irgendwo im Orbit zu einem Körper gehörte.
Steige auf die Handfläche.“
Sophie kletterte rauf und die Hand hob sie in den Nachthimmel, weit hinauf, bis sie die leuchtende Erdkugel unter sich sehen konnte. Die Erde entfernte sich mit rasantem Tempo, innerhalb von Sekunden schrumpfte sie zu einer Erbse und kurz darauf war sie überhaupt nicht mehr zu sehen. Stattdessen konnte Sophie immer mehr Sterne sehen, sie waren überall. Als sie merkte, dass sie sich nicht auf die Sterne zubewegte, sondern von ihnen weg, hatte sie schon die ganze Milchstraße in ihrem Blickfeld. Und dann tauchten plötzlich andere Milchstraßen auf, manche doppelt so groß, wie die aus der sie kam. Und diese Galaxien schienen sich zu unförmigen Haufen zusammen zu ballen, während überall wo sie hinsah noch mehr dieser Galaxienhaufen auftauchten und diese Haufen reihten sich wie Perlen an einer Kette zu langen Fäden auf und bildeten schließlich ein gewaltiges Netz aus leuchtenden Fäden, die scheinbar kein Ende hatten.
„Das ist das Universum?“, fragte sie.
Ein Teil davon.“
„Wie groß ist es?“
Es ist unendlich groß, aber es hat einen Anfang und irgendwann auch ein Ende.“
Sophie stand auf und drehte sich einmal um ihre eigene Achse. Das Netz war überall.
„Können wir noch weiter weg?“
Das könnten wir aber wir würden nichts anderes mehr sehen außer das, was wir jetzt auch sehen. Das ist das Universum.“
„Aber ich würde es gerne vom Rand aus sehen, wirklich alles.“
Es gibt keinen Rand, einen Rand gibt es nur auf einem Blatt Papier aber nicht in einem Raum mit den dir drei bekannten Dimensionen.“
„Dimensionen?“
Dimension Eins: Nach vorne und nach hinten, Dimension Zwei: Nach links und nach rechts und Dimension Drei: Nach oben und nach unten.“
Sophie konnte es sich trotzdem nicht vorstellen aber ein Gefühl sagte ihr, dass sie es verstehen könnte, wenn sie nicht so dumm wäre.
„Na gut“, sagte sie nach einer Weile. „Und wo ist das Spiegelbild des Nichts?“
Du hast es vor dir. Dieses leuchtende Netz, ist das Spiegelbild des Nichts.“
„Also, das Universum ist eigentlich Nichts? Es ist eigentlich gar nicht da?“
Natürlich ist es da, du siehst es doch. Das Spiegelbild des Nichts ist ja nicht das Nichts, genau wie dein Spiegelbild nicht du bist.“
„Aber dann ist das Universum also nur ein Spiegelbild und ein Spiegelbild ist… ich verstehe das überhaupt nicht.“
Ich habe dir ja gesagt, dass man das nicht mit Worten erklären kann, jedenfalls nicht so, wie es tatsächlich ist. Du darfst nicht denken, dass irgendwo da draußen ein Spiegel herum schwebt in dem sich das Nichts gerne ansieht und dadurch Universen erschafft.“
Sophie saß wieder auf der Bank. Die beiden Polizisten dachten immer noch über Katzen nach und immer noch waren nur 6000 Sterne am Nachthimmel zu sehen.
Du wolltest wissen, wie ich aussehe. Jetzt weißt du es.“
„Ja, du siehst aus, wie das Universum, was eigentlich nur ein Spiegelbild des Nichts ist…

… es ist nichts.“  

Besuch der Stufe 3 (1)

Niemand beachtete die merkwürdige Wolkenformation am Horizont. Unten zwischen den Häuserschluchten sah sie niemand. Die Stadt lag unter freiem Himmel, so ungewöhnlich türkis und mit dem blassen Mond wirkte es fast nicht real. Doch niemand schien es zu sehen. Trotzdem genossen es viele. Sie saßen auf dem Platz im Schatten der kleinen Bäume, spazierten im nahen Park entlang des Kanals. Auf der Wiese lagen sie in der heißen Sonne, mit Sonnenbrillen, unter Sonnenschirmen und einfach nur so.
Sophie stieg aus dem Bus an der Haltestelle beim Park aus. Sie hatte ihren Schulrucksack noch an aber jetzt legte sie ihn ab auf eine Parkbank. Sie machte ihn auf und holte ihre Hefte und Bücher raus. Sie legte alles auf den Boden, dann drehte sie den Rucksack auf den Kopf und schüttelte ihn. Stifte, eine Schere und zerknülltes Papier fielen heraus.
Gut, sammle Blätter, ja?“
Sophie nickte. Mit dem Rucksack in der Hand lief sie unter den Bäumen und fing an Blätter vom Boden aufzuheben und sie in ihren Rucksack zu legen. Sie sammelte aber nur schöne Blätter, die schon bunt geworden sind. Davon gab es noch nicht viele, weil erst September war, sie fand aber trotzdem welche.
Zwei junge Männer und eine Frau setzten sich auf die Bank und fanden Sophies Schulsachen. Sie hoben sie auf und schauten in die Hefte. Sophie hatte in jedes ihrer Hefte Kreise, Dreiecke und Quadrate gemalt. Die Kreise hatten Gesichter, die Dreiecke und Quadrate waren alle schwarz ausgemalt.
Sophie kam zu ihnen.
„Das sind meine Hefte, aber ihr könnt sie gerne haben, ich brauche sie nicht mehr.“
„Ach ja? Gehst du nicht mehr zur Schule?“, fragte einer der jungen Männer. Er sah vom Nahen viel älter aus und roch nach Alkohol.
Sophie schüttelte den Kopf.
„Warum nicht?“, fragte die Frau.
„Weil meine neuen Freunde mir alles beibringen werden“, antwortete Sophie. „Ich muss ihnen dafür Blätter sammeln.“
Die beiden Männer lachten.
„Wo sind deine Freunde?“, fragte einer von ihnen.
„Sie sind unsichtbar“, sagte Sophie.
Der Mann mit der Alkoholfahne hob ein weiteres Heft vom Boden auf.
„Dann kann ich deine Hefte einfach zerreißen und in den Müll werfen, oder?“ Er riss das Heft in zwei Hälften.
„Hör auf, Walter“, schrie die Frau auf.
Sophie geh weg da, die sind nicht sehr nett.“
„Okay“, sagte Sophie. Sie drehte sich um und ging weg.
„Warte“, rief Walter. Er machte Anstalt Sophie nach zu laufen, wurde aber von der jungen Frau gestoppt. Sie beschimpfte ihn.
„Du bist ein Schwein, Walter – du bist so ein Schwein!“
„Meine Güte, schreit nicht so“, murmelte der andere Mann.
„Er ist so ein Schwein!“
Sophie lief wieder zwischen den Bäumen und suchte Blätter.
Da sind Pilze, die darfst du nicht anfassen, weil sie etwas giftig sind.“
Sophie fand ein großes Ahornblatt. Es war ganz gelb und leuchtete in der Sonne. Sie schaute hoch zum Himmel und hielt das Blatt hoch. Sie konnte fast hindurch sehen.
„Der Himmel ist heute türkis“, sagte sie.
Kauf dir ein Eis, gleich kommt ein Eiswagen vorbei.“
Da erklang auch schon die Melodie des Eiswagens der schnell näher kam und vorbei fuhr. Sophie ließ ihren Rucksack liegen und lief hinter her. Leider war sie nicht schnell genug und der Eiswagen bog um die Ecke und verschwand hinter hohem Buschwerk.
Moment, ich hol ihn zurück.“
Sophie setzte sich ins Gras und musste gar nicht lange warten, da tauchte der Eiswagen auch schon wieder auf und hielt direkt neben ihr.
„Willst du ein Eis?“, fragte der Verkäufer.
Sophie nickte.
„Eine Kugel mit Schokolade und eine mit Erdbeere und noch eine mit Vanille.“
Der Eisverkäufer machte sich an die Arbeit und kurze Zeit später lief Sophie mit einem Eisbecher zurück zu ihrem Rucksack.
Doch ihr Rucksack wurde bereits belagert und zwar vom Walter und seinen Kollegen. Die junge Frau hatten sie anscheinend zurückgelassen. Die beiden waren gerade dabei synchron in den Rucksack zu urinieren.
„Was macht ihr da? Das ist meiner“, rief Sophie.
„Mensch, verpiss dich, wir verrichten hier unser Geschäft“, sagte der Kollege und Walter fing an zu lachen wie ein Pferd das sich verschluckt hat.
„Aber doch nicht in meinen Rucksack!“
Der Kollege packte sein Gehänge ein, drehte sich zu Sophie um und machte einen drohenden Schritt auf sie zu aber Sophie blieb einfach stehen.
„Lass sie“, sagte Walter. Er war auch fertig und legte seine Hand auf die Schulter seines Kollegen. Dieser schüttelte sie aber ab und kam nun schnellen Schrittes auf Sophie zu. Er hob seine Hand und wollte Sophie gerade schlagen, als sein Körper plötzlich erschlaffte, wie ein Plastikbeutel voll Wasser und Pudding und er sang und klanglos zu Boden ging. Walter lachte, glaubte er doch zunächst, sein Freund machte einen Scherz aber der Kollege stand nicht wieder auf.
„Scheiße, Jorge – was ist los?“
„Ist er tot?“, fragte Sophie.
Das spielt keine Rolle, Sophie. Lass sie zurück.“
„Keine Ahnung, Mensch – Jorge?!“
Sophie schaute sich um. Niemand nahm Notiz von ihnen, selbst die Menschen nicht, die auf dem Weg an ihnen vorbei gingen. Einige warfen einen kurzen Blick auf das Elend auf dem Boden, wandten sich dann aber schnell wieder ab. Erst als Sophie etwas irritiert weiter gegangen war, blieb ein Mann stehen, nahm sein Handy und rief einen Krankenwagen. Doch Jorge lebte schon nicht mehr, als sein Körper begann zu Boden zu fallen.

Sophie fand ein neues Ahornblatt. Ihren Rucksack hatte sie zurückgelassen.
„Warum ist der Mann gestorben?“, fragte sie.
Ich wollte nicht, dass er dich verletzt. Mach dir keine Gedanken um ihn. Er hat nur seinen Zustand gewechselt und ist momentan nützlicher als vorher.“
Später, als die Sonne unterging, fand Sophie einen Korb. Sie legte die Blätter die sie den ganzen Tag gesammelt hatte in den Korb.
„Bitte bringe keine Menschen mehr um“, sagte sie, bevor sie sich auf einer Bank am Kanal schlafen legte.

Versprochen.“

Freitag, 5. August 2016

Ein Tag auf dem Platz

Das Auto aus dem letzten Jahrhundert, dachte sie nackt vor dem Spiegel stehend. Ihre Brüste hingen ihr bis zum Bauchnabel. Für einen kurzen Moment war sie beeindruckt von der Dehnbarkeit ihrer Haut. Dann fand sie das Bild wieder ziemlich traurig aber sie hatte gelernt sich trotzdem in die Augen zu sehen, nach 80 Jahren lernt man so etwas. Sie schaute in ihr eigenes Gesicht, ohne Regung, ganz nüchtern, fest, unnachgiebig. Jemand hätte es „stolz“ genannt, jemand anderes.

Draußen ging er durch das lichte Treiben der Menschen ohne sie zu sehen, geführt von seinem Hund. Dunkler Lidstrich auf heller Haut – wer hatte ihm geholfen? Der Hund auch etwa? Auch die schwarzen Fingernägel?

Ein Punk wartet an den Schienen. Milchgesicht.

Sie zog ihr Hemd an, die schwarzen Hosen. Ihre Tochter stand hinter ihr. Sie sah sie im Spiegel. Wenn sie sich doch nur synchron mit ihr bewegen würde. Doch ihr passte nicht, was sie sah und so stand sie nur da, mit verschränkten Armen.

Draußen auf der Straße kniete sich eine Frau im roten Kleid zwischen zwei geparkte Autos.

Der Hund führte seinen Menschen über die Schienen. Der Punk lehnte am Maschendrahtzaun. Seine engen Hosen hatten ausgefranste Beinenden, darunter trug er gelb-weiß-orangene Socken in schweren Boots. Er krallte sich mit beiden Händen am Maschendrahtzaun, lehnte sich nach vorne, lies sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Dann kam der Hund an und setze sich bei Fuß. Der Blinde und der Punk umarmten sich.

Die dunkle Hautfarbe fiel ihr sofort ins Auge, sonst hätte sie die vorbeirauschende Frau vielleicht gar nicht bemerkt. Immer noch kniete sie zwischen den geparkten Autos und ließ den Urin laufen.

Sie durchquerte den Platz auf dem nur wenige Menschen gingen. Dann wusste sie aber nicht mehr wohin sie wollte und blieb stehen. Alle gingen an ihr vorbei und sie beachtete niemanden außer die eine Frau die dann kam. Sie erinnerte sie an eine alte Freundin, alte Erinnerungen erwachten.

Die Frau bemerkte sie, weil sie da stand wie vergessen. Kurz stoppte sie beinahe aber was sollte sie sagen? Ging dann doch weiter.

Endlich fertig. Peinlich. Sie stand auf, zog sich schnell ihren Slip hoch und reihte sich in die Gangrichtung der anderen Wenigen.

Wohin sollte sie nun gehen?

Sie kam bei ihrer Putzstelle an, die Gedanken bei der verlorenen Personen auf dem Platz. Sie kam in die Wohnung. Es war wie immer. Die Mutter saß auf dem Sofa mit einem Glas Wein in der Hand. Der Vater bereitete seine Krawatte in der Küche und war wie immer beschäftigt auch wenn er Kakao trank und die Nachbarin im Garten beäugte. Die Tochter saß auf dem Boden und strickte. Die dunklen Augen schauten kurz auf, lächelten noch viel kürzer. Die Mutter zeigte wo der Staubsauger stand.

Endlich bewegte sie sich wieder, trotzdem, nicht wissend wohin, wozu? Alles umsonst.

Die Promenade war voller an Menschen. Eine Gruppe Jugendlicher trug Schilder mit sich herum und protestierten laut. Polizei war auch da.

Die Mutter redet auf dem Weg zur Tür eine Menge. Ihre Tochter wehrt sie ab, als sie versucht ihr die Jacke zuzuknöpfen. Die Mutter dreht sich von ihr weg und verdreht sie Augen. Der Vater kämmt sich eben noch sein Haar, dann gehen alle aus der Wohnung.

Sie fängt an den Staub zu saugen.

Die Polizisten griffen nun ein und schafften die Jugendlichen in den Einsatzwagen. Sie ließen sich davontragen wie nasse Säcke.

Zwischen den Blöcken ging sie ziellos durch viele Schatten und grelles Licht und der Gedanke aß von ihrer Haut: Das war scheiße!

Sie polierte die Weingläser der Mutter, 6 Stück und alle benutzt. Dann fiel ihr eines zu Boden und zersplitterte, auf dem Boden verteilten sich die Scherben. Was wäre wenn? Sie stieß auch ein zweites Glas herunter und die anderen nacheinander. Was wäre wenn ich nicht mehr putzen würde? Was wäre wenn? Ihr fiel die vergessene Frau ein.

Es war zu heiß, es war zu laut. Und sie musste doch nachdenken. Die Schatten und das Licht wechselten zu schnell. Eine Treppe führte plötzlich in die Höhe und sie stieg hinauf. Oben angekommen schaute sie auf den Platz herunter und auf der anderen Seite auf die Wohnung ihrer Tochter. Du bist weit gekommen…

Die Mutter bedankte sich, übergab das Geld und lächelte dankbar, freundlich. Der Vater lief vorbei in die Küche, um einen Kakao zu machen. Und die Tochter blickte aus ihren müden, wachen Augen auf und lächelte, wie immer, kurz bedeutungsvoll, wissend. Merkwürdig.

Der Einsatzwagen fuhr davon. Der Polizist hinten schüttelte den Kopf. Um ihn herum starrten ihn viele protestierende Augenpaare an.

Sie eilte auf den Platz. Wo war sie?

Sie schrie, einfach nur. Es versuchte sie niemand zu beachten.

Sie stellte sich neben sie. Sie hörte auf zu schreien. Sie legte ihre Hand auf ihre Schulter.


Über ihnen strahlte der Himmel, weil es ein sehr schöner Tag war.  

Trocken Und Staubig

Am Ende des Tunnels gab es Neonlicht von oben.

Friska nahm die Hand des kleinen Mädchens und schritt zum Ende.

Außerhalb regnete es stark.

300 Meter gegenüber des Tunnelausganges saß ein Mann auf einer Bank. Er trug einen weißen Anzug mit schwarzer Krawatte und einen Computer in seinen Händen – und er hatte nichts an.
300 Meter dahinter stand sein Wagen.

Friska und das kleine Mädchen standen am Ausgang und Friska hielt ihre flache Hand in den strömenden Regen.
„Fallout“, flüsterte sie, damit der Mann sie nicht hörte. „Wir bleiben hier, bis es aufgehört hat zu regnen.“
Das kleine Mädchen nickte. Der Mann erinnerte sie an ihren Vater. Sie drehte sich um und schaute in die Dunkelheit. Es kam ein Fahrradlicht auf sie zu.
„Da!“, rief sie.
Friska drückte das kleine Mädchen gegen die Tunnelwand und stellte sich vor sie.
„Keine Angst“, flüsterte die Gestalt auf dem Fahrrad. Er hielt, das Licht ging aus. „Ich bin Ronko von Aubeck aus dem Untergeschoss, ihr erinnert euch?“
Friska schüttelte den Kopf.
„Ronko aus dem Untergeschoss, verdammt?! Ihr habt mir die Eier verkauft!“
Friska nickte.
„Gut, was willst du, Ronko?“
Ronko stieg vom Sattel ab. Er trat aus dem Dunkel ins Halbdunkle.
„Mein Comunicator ist aus gegangen“, erzählte er. Er zeigte Friska sein Gerät. Es war aus.
„Mach es doch wieder an“, sagte Friska.
Ronko verdrehte seine verschlafenen Augen.
„Sag mal, hältst du mich für vollkommen verblödet, oder was?“
Friska hielt ihre Hand in den Regen, ohne Ronko aus dem Untergeschoss aus den Augen zu lassen.
„Okay, Ronko, ich habe echt keine Zeit für dich, wir reden ein anderes Mal.“
Ronko heulte auf wie ein getretener Hund.
„Bitte! Du musst mir helfen, meine kleine süße Jennifer ist auf meinem Comunicator – bitte!“
Friska machte „Psst!“.
„Ist ja gut aber bitte… meine Jennifer!“, heulte Ronko leiser.
„Sie ist ein Programm, Ronko! Sie wird ewig auf dich warten, wenn du willst.“
Ronko lächelte kurz.
„Ja, nicht so wie die Echten! - aber… ich vermisse sie, ich kann nicht ohne sie sein, nicht eine Stunde! Bitte, Friska!“
Friska riss ihm den Comunicator aus der Hand, starrte ihn jetzt wütend an. Er war ein Waschlappen, ganz anders, als sie anfangs gedacht hatte – dieser Ronko aus dem Untergeschoss jetzt.
Fast hätte sie das Gerät fallen lassen. Ronko hielt die Luft an. Sie legte das Ding mit der Akkuseite auf ihre flache Hand. Ronko schaute ihr nickend, mit weit offenen Augen zu, nah dran zu sabbern.
„Sag, Friska… wie lange?“
„Eine Stunde.“
Ronko drehte sich auf dem Absatz um, drehte sich zurück, raufte sich die Haare. Warf seine Arme nach vorne und seufzte. Dann setzte er sich in die Pfütze unter seinen Füßen.
„Friska, der Androide bewegt sich“, sagte das kleine Mädchen.
Friska kniete sich hin und zog das kleine Mädchen mit sich herunter,
„Er darf uns nicht erkennen, du musst jetzt an deine Wand voller Graffiti denken“, flüsterte Friska.
Ronko kam auf allen Vieren zu ihnen.
„Ist das eine Netzwerkwache?“
Friska antwortete nicht.
„Warum steht er da?“, fragte Ronko.
Friska zuckte mit den Schultern und entfernte sich etwas von Ronko, der ihr etwas zu nahe gekommen war. Er bemerkte es und grinste und bekam einen bösen Blick geschenkt.
„Du weißt, was ich mag“, flüsterte er.
„Und du stinkst nach Kohl“, sagte sie.
Das Grinsen verschwand aus Ronkos Gesicht.
„Was erzählst du? Ich habe… habe geduscht.“
„Wann?“
Ronko schnaubte zur Antwort.

Jemand trat eine Dose. Sie flog lange durch die Luft, denn es verging eine Ewigkeit bis das scheppernde Geräusch ihres Aufpralls zu hören war.

Friska legte sich flach auf den Bauch und robbte wie einer dieser Soldat bis zum Rand des Tunnelausganges und dabei dachte sie mit allen Sinnen an die chinesische Mauer in all ihrer Pracht. Nur in dem Bruchteil der Sekunde, in dem sie den Jungen auf dem leeren Parkplatz erblickte, nicht. Für die Netzwerkwache eine halbe Ewigkeit.
„Friska von Turm Einhundertundeinundachtzig aus der hundertdreiunddreizigsten Etage – du bist enttarnt – stelle dich jetzt!“
Ronka sprang auf und rannte in die Dunkelheit des Tunnels, lauthals schreiend, wie ein Irrer: „Tut mir Leid, Jennifer!“
Die Netzwerkwache kam mit zunehmendem Tempo auf den Tunnelausgang zu. Friska griff wie aus Reflex nach dem Fahrrad, packte es und warf es mit Wucht dem ankommenden nackten Mann entgegen, der nun fast die Geschwindigkeit eines Geparden erreichte.
„Lauf!“, schrie Friska.
Das kleine Mädchen sprang nun auch auf, da sie bisher erstarrt auf dem Boden sitzen geblieben war. Sie rannte los, Ronkos Spuren hinterher.
Die Netzwerkwache kam an. Das Fahrrad hatte ihr die Wange aufgerissen - nun sah sie mit dem freiliegendem Gebiss und dem künstlichen Blut aus, wie ein Ungeheuer. Friska schrie nur kurz auf, als er sie an den Schultern packte und sie mit knapp 60 Stundenkilometern gegen die Wand hinter ihr rammte. Das Licht hinter ihren Augen erlosch.

Draußen hatte es zu regnen aufgehört. Vor dem Tunneleingang lag ein verbogenes Fahrrad. Der Junge starrte dem nackten Mann hinterher. Er hatte sich rücklings von ihm entfernt aber der Mann marschierte einfach an ihm vorbei ohne ihn zu beachten. Dann trat er auf seine Dose und plättete sie so flach wie eine Dampfwalze.

Im Tunnel lag Friska zerstört am Boden. Das kleine Mädchen näherte sich aus der Dunkelheit.
„Friska?“
In ihrer Hand hielt sie noch immer Ronkos Comunicator. Das Gerät war an.
„Friska?“

Der Junge stand im Tunnelausgang.

Das Display blinkte auf.
„Ich bin noch da“, sagte Friska.
Das kleine Mädchen stand auf.

„Bist du eine Ratte?“, fragte der Junge.

„Nein.“

Montag, 30. Mai 2016

Gedanken (16)

Das Lebewesen ist ein hochkomplexer, durch den Zufall generierter, biologischer Roboter, der in der Lage sein kann, in Gedanken einen Geist zu erschaffen, um zu erklären, warum er sich seiner selbst bewusst ist.  

Der Geist ist die Software, die ohne den Körper (die Hardware) nicht herstellbar ist. 

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