Freitag, 5. September 2014

Nichts dafür können wie etwas ist


Dusonstadt – Sektor 38 – Juni 855

Das Pommes-Restaurant hatte erst letztes Jahr geöffnet. Niemand hätte gedacht, dass Kartoffel in Streifen geschnitten und frittiert, so gut schmecken könnten. Mittlerweile gab es sie nicht nur mit Salz, sondern auch mit Pfeffer, Chilli und anderen Gewürzen.
Die meisten Besucher waren Schüler aus der nahen Schule zwei Straßen weiter oder Studenten und Dozenten von der Universität im Sektor.
Mitten im Juni regnete es draußen noch sehr oft. Die Leute kamen mit dicken Regenjacken und Regenschirmen. Eigentlich waren an diesem Tag nicht so viele da wie sonst. Ein ruhiges Arbeiten für die Besatzung der Küche und für uns Tischpersonal. Normalerweise gab es zwischen den Tischen kaum Platz um einen ganzen Tag unbeschadet hindurch zu kommen – ein Tablet in einer Hand balancierend.
Der Afrikaner kam fast jeden Tag und bestellte jedes Mal das gleiche. Pommes mit Chilli und eine Limo Exotic. Er schien nicht zu den Studenten zu gehören und seiner einfachen Kleidung nach zu urteilen war er auch kein Dozent. Er kam einem vor, wie jemand der sein Geld Nachts verdiente, wenn keiner zusah. Und mehr kann man nicht über ihn sagen, denn er redete nie, abgesehen bei seiner Bestellung.
Eine Frau mit ihrem Freund saßen nah am Eingang. Er hörte ihr aufmerksam zu, doch seine Augenlieder würden nicht mehr lange durch halten. Leider sah es ganz so aus, als hatte sie noch eine Menge zu erzählen. Beim letzten Mal hatte er am gleichen Tisch alleine gesäßen und wirkte eher neben der Spur aber war hellwach.
An der Theke saßen zwei Jungen mit gefestigten Frisuren, die so steif waren, dass man meinen würde, man könnte sie einfach abbrechen. Sie erzählten sich gegenseitig von ihren Freundinnen, von denen jeder bereits ein halbes Dutzend gehabt hatte oder immer noch hat oder so etwas in der Art. Und wenn man ihnen eine Weile zuhörte, stellte sich einem die Frage, ob ihre Gehirne nicht vielleicht auch gefestigt waren und im Gegensatz zu ihren Haaren zu Bruch gegangen waren.
„Ich bin mal mit der Train bis nach Paris, durch die Outlands.“ (Keine Train fuhr weiter, als bis zu den Outlands) „Das sind fast 4000 Kilometer gewesen – weißt du noch, wo ich so lange krank war? Weißt du noch?“ Der andere nickte. „Da war ich gar nicht krank. Da war ich mit der nach Paris von Bahnhof Bremen nach Osten.“ Und der andere: „Ich war da auch fast aber der Train ist abgeschmiert, wir mussten zurück – hab ich dir mal erzählt.“ Und wieder der andere: „Ja aber 4000 Kilometer?“ Der andere nickte. „Klar – ja, fast – aber der Train ist ja abgeschmiert.“
Die anderen Gäste hörten sie selbstverständlich nicht, obwohl sie sich laut unterhielten - hatten andere Sachen zu tun – Pommes essen oder Zeitung gucken oder Kommunikator. Also - man spürte wie peinlich es jedem von ihnen war und hin und wieder schnappte man einen ihrer auflammenden Gedanken auf: „Halt doch deinen dummen Mund – beide!“
Dann kam an diesem Tag eine Familie in das Restaurant, die man hier bisher noch nie gesehen, bzw. noch nie bemerkt hatte. Zwei männliche Europäer, mit Vorfahren, vielleicht weiter aus dem Norden, zusammen mit ihren sehr asiatischen Kindern. Das Mädchen und der Junge mussten Zwillinge sein, sie glichen sich, bis auf die unterschiedlich langen Haare, wie ein Ei dem anderen.
Die beiden Männer umarmten das eine und das andere Kind und gaben ihnen einen Kuss auf den Kopf. Sie flüsterten aber man konnte sie gut verstehen, weil keine Musik lief und alle mit ihren Pommes beschäftigt waren – auch die beiden Jungen an der Theke, die nun Pommes in ihre Münder stopften.
„Wir sind in einer Drei-Viertel-Stunde zurück“, sagte der eine Europäer.
Der andere winkte dem Mädchen noch einmal kurz zu, dann gingen sie zum Ausgang – Hand in Hand. Einige hoben die Köpfe, Blicke folgten zu den beiden asiatischen Kindern und das war es. Draußen küssten sich die beiden Männer und trennten sich. Der eine ging nach Rechts und der andere nach Links.
Das Mädchen und der Junge bekamen ihre Tüten mit Pommes.
„Was hast du drauf?“, fragte das Mädchen leise.
Der Junge gab ihr eine Pommes aus seiner Tüte.
„Basilikum?“
Der Junge nickte.
„Hast du das gesehen?“, zischte einer der Jungen von der Theke.
„Was?“
„Die beiden waren schwul.“
Er drehte sich herum, damit er die beiden Geschwister sehen konnte.
„Das sind die Blagen von denen.“
Der andere drehte sich auch um.
„Waren das eure Eltern?“, fragten sie.
Der asiatische Junge schaute auf den Tisch und tat so, als hätte er die beiden nicht gehört aber seine Schwester nickte.
„Ihr habt schwule Eltern? Das ist ja zum kotzen.“
„Zwei Männer – bah! Wie haben die das gemacht?“
Der andere lachte.
„Was meinst du?“
„Ja, sind das Arschkinder oder wie.“
Beide wiecherten los.
„Die haben sich vor der Tür geleckt – ekelig!“
Das Mädchen fing an zu weinen.
„Könnt ihr damit aufhören?“, sagte der Junge. Er konnte die beiden nicht ansehen. Beide aßen nicht mehr. Ihre Tüten waren noch voll.
„Nein, du Schwulenkind!“
Plötzlich stand der Afrikaner hinter den beiden. Man hatte ihn gar nicht aufstehen bemerkt. Er packte den einen an seiner linken Schulter und den anderen an seiner rechten. Er neigte sein Gesicht zwischen die der beiden Jungen.
„Was soll das?“
Er sprach leise.
„Was meinen sie?“
Die beiden schauten ziemlich erschrocken drein, sie hatten den großen Mann nicht kommen sehen. Er versperrte ihnen die Sicht auf die beiden asiatischen Kinder.
„Warum belästigt ihr die beiden?“
Die Jungen zuckten mit den Schultern. Einer von ihnen fand seinen Mut wieder und wand sich aus dem Griff des Mannes – und der andere seine Stimme: „Die haben zwei Väter, das ist vollkommen abartig.“
„Das ist nicht das Problem. Ich habe euch gefragt, warum ihr die beiden dort belästigt. Ihre Eltern tun gerade nichts zur Sache.“
Wieder zuckten die beiden mit den Schultern. Sie hatten wahrscheinlich wirklich keine Ahnung.
„Was ihr hier tut ist in der Stadt strafbar und ich werde die Polizei verständigen, wenn ihr nicht aufhört. Das Leben anderer ist nicht eure Angelegenheit, egal, was ihr darüber denkt.“
Dann drehte er sich wieder um und ging zurück zu seinem Tisch. Er nahm seinen Kommunikator vom Tisch und wählte.
„Klar, zwei schwule Säcke mit Blagen. Ich würd mich aufhängen, wenn ich die wäre“, sagte einer von den Jungen.
Die Frau am Eingang sprang auf.
„Geht raus!“
Und der Afrikaner meldete eine Straftat.
„Sofort!“
Die beiden Jungen standen auf, nahmen ihe Tüten in die Hand, ihr Jacken und gingen langsam aus dem Laden.
„Sie brauchen die Polizei nicht anrufen“, sagte einer noch.
Die Frau am Eingang schob ihn hinaus.

Der Afrikaner setzte sich zu den beiden asiatischen Kindern.
„Lasst euch von denen nicht den Tag vermiesen. Die hatten genau so viel Verstand wie die Pommes, die sie gegesen hatten – mit Salz.“ Er schnaubte.
„Das passiert uns in der Schule dauernd“, sagte das Mädchen.
Der schwarze Mann schüttelte den Kopf.
„Macht euch nichts daraus. Wenn sich die Menschen in dieser Welt zwischen den beiden Trotteln und euch entscheiden müssten, dann würden sich die meisten auf eure Seite stellen.“
Die beiden Kinder sagten „Danke“.
„Das würden sie wirklich.“

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