Dusonstadt
– Sektor 38 – Juni 855
Das
Pommes-Restaurant hatte erst letztes Jahr geöffnet. Niemand hätte
gedacht, dass Kartoffel in Streifen geschnitten und frittiert, so gut
schmecken könnten. Mittlerweile gab es sie nicht nur mit Salz,
sondern auch mit Pfeffer, Chilli und anderen Gewürzen.
Die
meisten Besucher waren Schüler aus der nahen Schule zwei Straßen
weiter oder Studenten und Dozenten von der Universität im Sektor.
Mitten
im Juni regnete es draußen noch sehr oft. Die Leute kamen mit dicken
Regenjacken und Regenschirmen. Eigentlich waren an diesem Tag nicht
so viele da wie sonst. Ein ruhiges Arbeiten für die Besatzung der
Küche und für uns Tischpersonal. Normalerweise gab es zwischen den
Tischen kaum Platz um einen ganzen Tag unbeschadet hindurch zu kommen
– ein Tablet in einer Hand balancierend.
Der
Afrikaner kam fast jeden Tag und bestellte jedes Mal das gleiche.
Pommes mit Chilli und eine Limo Exotic. Er schien nicht zu den
Studenten zu gehören und seiner einfachen Kleidung nach zu urteilen
war er auch kein Dozent. Er kam einem vor, wie jemand der sein Geld
Nachts verdiente, wenn keiner zusah. Und mehr kann man nicht über
ihn sagen, denn er redete nie, abgesehen bei seiner Bestellung.
Eine
Frau mit ihrem Freund saßen nah am Eingang. Er hörte ihr aufmerksam
zu, doch seine Augenlieder würden nicht mehr lange durch halten.
Leider sah es ganz so aus, als hatte sie noch eine Menge zu erzählen.
Beim letzten Mal hatte er am gleichen Tisch alleine gesäßen und
wirkte eher neben der Spur aber war hellwach.
An
der Theke saßen zwei Jungen mit gefestigten Frisuren, die so steif
waren, dass man meinen würde, man könnte sie einfach abbrechen. Sie
erzählten sich gegenseitig von ihren Freundinnen, von denen jeder
bereits ein halbes Dutzend gehabt hatte oder immer noch hat oder so
etwas in der Art. Und wenn man ihnen eine Weile zuhörte, stellte
sich einem die Frage, ob ihre Gehirne nicht vielleicht auch gefestigt
waren und im Gegensatz zu ihren Haaren zu Bruch gegangen waren.
„Ich bin mal mit der Train bis nach Paris, durch die Outlands.“
(Keine Train fuhr weiter, als bis zu den Outlands) „Das sind fast
4000 Kilometer gewesen – weißt du noch, wo ich so lange krank war?
Weißt du noch?“ Der andere nickte. „Da war ich gar nicht krank.
Da war ich mit der nach Paris von Bahnhof Bremen nach Osten.“ Und
der andere: „Ich war da auch fast aber der Train ist abgeschmiert,
wir mussten zurück – hab ich dir mal erzählt.“ Und wieder der
andere: „Ja aber 4000 Kilometer?“ Der andere nickte. „Klar –
ja, fast – aber der Train ist ja abgeschmiert.“
Die
anderen Gäste hörten sie selbstverständlich nicht, obwohl sie sich
laut unterhielten - hatten andere Sachen zu tun – Pommes essen oder
Zeitung gucken oder Kommunikator. Also - man spürte wie peinlich es
jedem von ihnen war und hin und wieder schnappte man einen ihrer
auflammenden Gedanken auf: „Halt doch deinen dummen Mund –
beide!“
Dann
kam an diesem Tag eine Familie in das Restaurant, die man hier bisher
noch nie gesehen, bzw. noch nie bemerkt hatte. Zwei männliche
Europäer, mit Vorfahren, vielleicht weiter aus dem Norden, zusammen
mit ihren sehr asiatischen Kindern. Das Mädchen und der Junge
mussten Zwillinge sein, sie glichen sich, bis auf die unterschiedlich
langen Haare, wie ein Ei dem anderen.
Die
beiden Männer umarmten das eine und das andere Kind und gaben ihnen
einen Kuss auf den Kopf. Sie flüsterten aber man konnte sie gut
verstehen, weil keine Musik lief und alle mit ihren Pommes
beschäftigt waren – auch die beiden Jungen an der Theke, die nun
Pommes in ihre Münder stopften.
„Wir sind in einer Drei-Viertel-Stunde zurück“, sagte der eine
Europäer.
Der
andere winkte dem Mädchen noch einmal kurz zu, dann gingen sie zum
Ausgang – Hand in Hand. Einige hoben die Köpfe, Blicke folgten zu
den beiden asiatischen Kindern und das war es. Draußen küssten sich
die beiden Männer und trennten sich. Der eine ging nach Rechts und
der andere nach Links.
Das
Mädchen und der Junge bekamen ihre Tüten mit Pommes.
„Was hast du drauf?“, fragte das Mädchen leise.
Der
Junge gab ihr eine Pommes aus seiner Tüte.
„Basilikum?“
Der
Junge nickte.
„Hast du das gesehen?“, zischte einer der Jungen von der Theke.
„Was?“
„Die beiden waren schwul.“
Er
drehte sich herum, damit er die beiden Geschwister sehen konnte.
„Das sind die Blagen von denen.“
Der
andere drehte sich auch um.
„Waren das eure Eltern?“, fragten sie.
Der
asiatische Junge schaute auf den Tisch und tat so, als hätte er die
beiden nicht gehört aber seine Schwester nickte.
„Ihr habt schwule Eltern? Das ist ja zum kotzen.“
„Zwei Männer – bah! Wie haben die das gemacht?“
Der
andere lachte.
„Was meinst du?“
„Ja, sind das Arschkinder oder wie.“
Beide
wiecherten los.
„Die haben sich vor der Tür geleckt – ekelig!“
Das
Mädchen fing an zu weinen.
„Könnt ihr damit aufhören?“, sagte der Junge. Er konnte die
beiden nicht ansehen. Beide aßen nicht mehr. Ihre Tüten waren noch
voll.
„Nein, du Schwulenkind!“
Plötzlich
stand der Afrikaner hinter den beiden. Man hatte ihn gar nicht
aufstehen bemerkt. Er packte den einen an seiner linken Schulter und
den anderen an seiner rechten. Er neigte sein Gesicht zwischen die
der beiden Jungen.
„Was soll das?“
Er
sprach leise.
„Was meinen sie?“
Die
beiden schauten ziemlich erschrocken drein, sie hatten den großen
Mann nicht kommen sehen. Er versperrte ihnen die Sicht auf die beiden
asiatischen Kinder.
„Warum belästigt ihr die beiden?“
Die
Jungen zuckten mit den Schultern. Einer von ihnen fand seinen Mut
wieder und wand sich aus dem Griff des Mannes – und der andere
seine Stimme: „Die haben zwei Väter, das ist vollkommen abartig.“
„Das ist nicht das Problem. Ich habe euch gefragt, warum ihr die
beiden dort belästigt. Ihre Eltern tun gerade nichts zur Sache.“
Wieder
zuckten die beiden mit den Schultern. Sie hatten wahrscheinlich
wirklich keine Ahnung.
„Was ihr hier tut ist in der Stadt strafbar und ich werde die
Polizei verständigen, wenn ihr nicht aufhört. Das Leben anderer ist
nicht eure Angelegenheit, egal, was ihr darüber denkt.“
Dann
drehte er sich wieder um und ging zurück zu seinem Tisch. Er nahm
seinen Kommunikator vom Tisch und wählte.
„Klar, zwei schwule Säcke mit Blagen. Ich würd mich aufhängen,
wenn ich die wäre“, sagte einer von den Jungen.
Die
Frau am Eingang sprang auf.
„Geht raus!“
Und
der Afrikaner meldete eine Straftat.
„Sofort!“
Die
beiden Jungen standen auf, nahmen ihe Tüten in die Hand, ihr Jacken
und gingen langsam aus dem Laden.
„Sie brauchen die Polizei nicht anrufen“, sagte einer noch.
Die
Frau am Eingang schob ihn hinaus.
Der
Afrikaner setzte sich zu den beiden asiatischen Kindern.
„Lasst euch von denen nicht den Tag vermiesen. Die hatten genau so
viel Verstand wie die Pommes, die sie gegesen hatten – mit Salz.“
Er schnaubte.
„Das passiert uns in der Schule dauernd“, sagte das Mädchen.
Der
schwarze Mann schüttelte den Kopf.
„Macht euch nichts daraus. Wenn sich die Menschen in dieser Welt
zwischen den beiden Trotteln und euch entscheiden müssten, dann
würden sich die meisten auf eure Seite stellen.“
Die
beiden Kinder sagten „Danke“.
„Das würden sie wirklich.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen