Sie
sahen aus wie eine Horde Wikinger. Ein Kerl an vorderster Stelle
hatte sich sein Hemd ausgezogen. Er musste mehr als 2 Meter groß
sein und war bepackt mit Muskeln die bei jeder Bewegung andere Formen
annahmen. Wie eine Maschine stampfte er über die Straße vorwärts
und würde selbst Autos aus den Weg walzen.
Drindrin
blieb stehen und nahm die Meute auf, die schnell an ihr vorbei zog.
Sie schrien irgendetwas aber sie verstand gar nichts. Laute
Rock-Musik überschalte alles. Agil-Droiden des DSPD liefen neben
ihnen her und bewachten die Demonstration. Und von beiden Seiten auf
den Gehwegen hielten Menschen an, um zu filmen oder um zu gaffen.
Drindrin
beendete die Aufnahme. Ihr kleiner Tieger sprang aus dem Schaufenster
eines Ladens. Sie sah darin Spielekonsolen und Zubehör. Im Inneren
tummelten sich einige Freaks, einige von ihnen schauten durch die
Scheibe nach draußen. Drindrins kleiner Tieger jaulte.
„Ich will das nicht“, sagte Drindrin.
Der
kleine Tieger lief weiter und verschwand. Drindrin sah der
demonstrierenden Meute nach.
„Wir sind wahre Menschen“, hörte sie jemanden rufen.
Etwas
weiter landete ihre Schwebebahn in einer Haltestelle. Sie rannte los.
Drindrin
hörte Musik. Sie brauchte keine Kopfhörer. Sie wurde taubstumm
geboren und bekam noch im Bauch ihrer Mutter interne Hörgeräte
eingepflanzt – gebaut von ganz kleinen Robotern, nicht größer als
ein Molekül. Das sie taubstumm sein würde, wussten die Ärzte
schon, als sie gar nicht geplant gewesen ist.
Die
Schwebebahn sauste zwischen den Türmen des Sektors an gewaltigen
Werbetafeln vorbei. Hier und da grüßte sie ihr kleiner Tieger aus
einer dieser Tafeln und wenn die Bahn durch einen Tunnel sauste, sah
sie auf dem Fensterglas die Bücher die sie gerade las. Wenn sie sich
vom Fenster abwandte löste sich das Buch das sie mit ihren Augen
fixiert hatte aus dem Fenster und schwebte als holographische
Darstellung direkt vor ihr.
Ihre
Oma war 132 Jahre alt und sie konnte sich nicht vorstellen, wie ein
Mensch soviele Dinge auf einmal aufnehmen kann. Überall Bilder,
fliegende Aufnahmen von anderen Orten, Videospiele die sich im Bistro
auf dem Tisch ausbreiteten, Werbungen die mit einem sprachen,
Hologramme, Lichter, geisterhafte Pfeile auf den Straßen, die einem
den Weg wiesen und vieles mehr. Sie sagte, sie würde verrückt
werden, wenn sie so wäre wie Drindrin.
Tatsache
aber war, dass Oma gar nicht wusste, wie Drindrin wirklich war, weil
Oma das Haus schon seit 12 Jahren nicht mehr verlassen hatte und sie
erlebte ihre Enkelin nur in ihrer Wohnung, wenn sie zu Besuch kam.
Und dann saß Drindrin meistens nur herum, spielte mit Oma alte
Videospiele oder machte ihre Hausaufgaben.
Drindrin
musste aussteigen. Die Schwebebahn landete in einer Haltestelle in
der Nähe der Türme in denen Drindrin mit ihren Müttern wohnte. Ihr
Vater lebte nicht mehr. Er kam bei einem Arbeitsunfall im Orbit um –
er war Raumschrott-Sammler gewesen. Danach lernte ihre Mutter eine
Frau kennen und lebte fortan mit ihr zusammen.
„Hallo Drindrin“, grüßte der Agil-Droide, der das Viertel
sauber machte.
„Hallo“, sagte Drindrin.
Beide
standen vor dem Eingang der Haltestelle. Sie hatten einen tollen
Ausblick auf die Nordsee. Sie waren 800 Meter über dem Meeresspiegel
auf einer hängenden Straße. Drindrin stellte sich gerne an den Rand
und schaute herunter in die Tiefe. Erst dann merkte man, dass sich
die Straße im Wind hin und her schaukelte. Langsam hin und her, wie
im Traum. Und wenn sie zu lange runter schaute wurde ihr schwindelig
und sie taumelte, dann musste sie sich am Geländer festhalten.
„Soll ich dir bei deinen Hausaufgaben helfen?“, fragte der
Agil-Droide.
„Gerne“, sagte sie.
Sie
ging voraus und der Droide folgte ihr. Sie hatte ihn kennen gelernt,
als ihre Mutter sie einmal ausgeschimpft hatte, weil sie kein gutes
Zeugnis mit gebracht hatte. Der Droide ging dazwischen, als ihre
Mutter sie schlagen wollte. Eigentlich waren alle Droiden darauf
programmiert dazwischen zu gehen, wenn Menschen ihre Beherrschung
verloren aber es war nun mal dieser eine Droide gewesen der zu dieser
Zeit an diesem Ort gewesen war und danach grüßte sie ihn jedes Mal.
Droiden waren zwar auch darauf programmiert Freundschaften mit
Menschen zu schließen aber manchmal glaubte Drindrin, dass der
Droide sie wirklich gerne hatte.
„Mathematik? Physik? Informatik?“
Drindrin
seufzte.
„Ich befürchte alles.“
Der
Droide nickte.
„Das machen wir in einer Stunde fertig und danach kannst du etwas
anderes machen.“
Sie
setzten sich in ein Cafe das ebenfalls in der Luft hing. Der Boden
bestand aus Glasplatten, man konnte nach unten schauen und kam sich
beim Essen seiner Pommes vor, als würde man frei in der Luft
schweben. Nicht jedermans Sache.
„Cola?“, fragte der Droide. Drindrin nickte. „Ich bezahle.“
„Danke“, sagte Drindrin.
Nebenan
am Tisch saß eine Frau mit Glatze. Sie hatte überall Piercings.
Ihre kleine Tochter malte auf E-Papier und fragte immer wieder, ob
ihre Mutter ihr dieses oder jenes auf ihr Bild malen könnte. Vor
ihnen saß ein Mann mit gräulicher Haut der in einem holographischen
Comic blätterte und laut seinen Milchkaffee mit Sahne schlürfte.
Und dahinter schraubte ein Agil-Droide der Müllentsorgung an seiner
Hand herum, die anscheinend nicht mehr das tun wollte, was er wollte.
„Kennst du die Formel, um diese Aufgaben hier zu lösen?“, fragte
ihr Freund.
„Ja.“
Sie
nahm ihre Schultafel und schrieb ihm die Formel mit dem Finger auf.
Er betrachtete sie eine Weile und es sah aus, als dachte er nach,
auch wenn sein metallischer Schädel natürlich zu keiner Regung im
Stande war.
„Gut, ich verstehe diese Aufgaben.“ Er reichte ihr die Tafel.
„Fang mit der ersten Aufgabe an und ich schaue dir zu, dann finde
ich bestimmt heraus, wo du Schwierigkeiten hast.“
Drindrin
grinste und fing an.
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