Montag, 1. September 2014

Cornarea - Rana die mit Tieren spricht (1)


Rana und En-Bonbon kletterten auf einen der gelblichen Felsen, die überall in der Steppe wie verstreut lagen. Rana hatte ihre Tasche von der Schulter hängen. Sie war schon zur Hälfte mit den Totenkäfern gefüllt. En-Bonbon hatte einen Rucksack auf dem Rücken. Er hatte noch keinen einzigen Käfer gesammelt aber heute sammelte nur Rana, damit sie es gut lernte. En-Bonbon konnte es bereits sehr gut und das konnte man daran erkennen, dass viele der blaßgrünen Käfer unter seiner Haut hindurch schienen. Er hatte mindestens 10 Stück auf dem Rücken und 3 auf seinem rechten Arm.
Die Totenkäfer waren sehr merkwürdige Tiere. Sie bewegten sich nämlich nicht und sahen aus, wie ganz kleine Blätter die in der Sonne getrocknet waren. Sie vermehrten sich wie Pollen einer Pflanze, nämlich durch den Wind. Um Nachkommen zu zeugen brauchten sie einen immer-warmen Platz und dafür eignete sich die Haut eines Tieres oder eines Menschen. Dafür klebten sie sich auf der Haut fest und blieben dort solange, bis ihre Kinder, die auf der Oberfläche der Mutter heranwuchsen, einfach vom Wind davon geweht wurden. Das Muttertier blieb jedoch, gefangen durch die extrem klebrige Substanz, die sie abgesondert hatte, um auf der Haut kleben zu bleiben, für immer bei ihrem Wirt. Das Besondere aber war, dass die Totenkäfer anscheinend unsterblich waren, denn obwohl sie sich ihr Leben lang nicht rührten -auch nicht, um zu fressen- leuchteten sie in der Nacht mit einem grünen Schimmer und das taten sie Nacht für Nacht, solange, bis der Wirt selbst gestorben war aber selbst dann leuchteten sie jede Nacht weiter. Und bei Ausgrabungen entdeckte man bei Skeletten Totenkäfer die seit Jahrhunderten vergraben gewesen sein mussten, die aber trotzdem noch ihr Schimmern abgaben sobald die Sonne ganz untergegangen war.
Rana nahm das Einmachglas aus ihrer Tasche. Sie machte es auf und steckte ihre Hand in das Wasser darin. Mit der nassen Hand konnte sie jetzt die Totenkäfer einsammeln ohne dass sie an ihren Fingern kleben blieben. Sie musste trotzdem schnell sein, weil das Wasser bei der Hitze im Nu verdampfte – sie hatte nur Sekunden, um den Käfer in ihre Tasche zu werfen und immer wieder musste sie ihre Hand nass machen. En-Bonbon schaute ihr dabei zu und nickte und sagte immer wieder auf neue: „Jetzt Hand nass machen – Käfer- jetzt in die Tasche und jetzt Hand nass machen – Käfer – in die Tasche und....“
Totenkäfer waren nicht besonders zahlreich, man fand höchstens ein halbes Dutzend auf jedem der gelblichen Steine und sie waren so wertvoll, dass man am besten keinen einzigen vergeuden sollte. Rana warf den letzten Käfer in ihre Tasche und freute sich, weil sie alle sicher geschnappt hatte.
„Hast du gut gemacht“, sagte En-Bonbon.
Er ging zum nächsten Stein und Rana sprang zurück auf den Boden, um ihm zu folgen.
„Guck mal“, sagte sie, „da ist eine Schrecke.“
Das große Tier im hohen Gras sah aus wie ein toter, umgestürzter Baum, der von seinen Ästen über dem Boden getragen wurde.
„Gut“, sagte En-Bonbon. „Was macht er gerade?“
Rana beobachtete die Schrecke eine Weile.
„Ich glaube, er sucht Schleicher“, sagte Rana.
En-Bonbon nickte zufrieden.
„Du verstehst die Tiere schon ganz gut.“
Rana kletterte auf den nächsten Stein. Und auch dieses Mal sammelte sie die Totenkäfer ein, ohne auch nur einen zu vergeuden. En-Bonbon zog ihr zweimal leicht an ihren Haaren – er lächelte. Rana wusste, dass er Stolz auf sie war.

Beim Marker-Stein übergab er das Mädchen wieder ihren Eltern, die auf sie gewartet haben. Er erzählte ihnen in seiner Sprache, das Rana so viele Käfer gesammelt hatte, dass er seinen Stamm für eine Woche damit versorgen konnte.
Die Sonne ging unter, als sie sich von En-Bonbon verabschiedeten, in das Geländefahrzeug stiegen und zurück zum Lager fuhren. Rana hatte viel zu erzählen, soviel, dass der Weg bis zum Lager nicht ausreichte, um alles gesagt zu haben. Und später beim Abendessen schlief sie ein.

Sie träumte von Tu-Tut, ihrem Freund aus dem Grasland. Sie saß auf seinem Rücken und er trug sie durch den Sumpf auf die andere Seite, wo die Berge waren, wo die Sonne in einem Tal zu Lava schmolz, um am nächsten Tag wieder als Kugel aufzusteigen.


Rana kniete sich hin und pinkelte in ein Loch das sie vorher gegraben hatte. Der Schleicher beobachtete sie überrascht. Er selbst hatte gerade das selbe getan. Mit seiner langen Zunge leckte er sich sein Gesicht ab, um zu überprüfen, ob der Geruch des Mädchens auf seinem klebrigen Fell zurückgeblieben war. Er konnte nichts schmecken.
Rana stand langsam auf, blieb aber in einer gebückten Haltung, um das Tier nicht zu erschrecken. Schleicher liefen sofort davon, wenn sie jemanden entdeckten, der größer war als sie. Sie kam einpaar Schritte näher. Das Tier leckte sich wieder sein Gesicht ab und wusste jetzt, dass Rana ein Mensch war, dass sie ein Kind war und dass sie gerade mit einem Gnak gespielt haben muss und dieser Gnak hatte sie nicht gegessen.
Rana sagte „Hallo“.
Der Schleicher leckte sich ein weiteres Mal durchs Gesicht, setzte sich dann hin und streckte seine großen Hände von sich. Für seine verkümmerten Augen saß nun ein kleiner Schatten direkt vor ihm. Er konnte nicht viel mehr sehen aber dafür sah er, dass was er sehen konnte extrem gut.
Rana streichelte seine Hand die vom ständigen Graben in der Erde ganz schwarz war. Diese Hände waren so groß, dass Rana darauf soviel Platz gehabt hätte wie in einem Fahrzeugsitz. Sie streichelte die dicken Kissen auf der Handfläche des Tieres und seine drei langen Finger. Und der Schleicher grummelte zufrieden – er leckte ihr durchs Gesicht.
„Wo sind deine Freunde?“, fragte Rana.
„Yooh, jau!“, sagte der Schleicher.
Rana lächelte.
„Ich bin hier.“
„Yooooh!“
Der Schleicher stand auf, seine großen Hände ballte er hierfür zusammen, sein dicker langer Schwanz diente als Hinterläufer. Er schleckte Rana über den Rücken und den Nacken und Rana kiecherte, weil das kitzelte, dann biss der Schleicher vorsichtig in ihren Nacken und hielt sie fest.
„Ah“, machte Rana und legte sich sofort flach auf den Boden. Der Schleicher ließ wieder los und setzte sich wieder hin, die Hände von sich gestreckt. Rana setzte sich auch wieder auf und streichelte wieder seine großen Hände.
„Ich bin Rana.“
„Yo.“

Ranas Vater kam auf dem Weg vom Lager zu ihr. Er hielt Abstand.
„Wer ist das?“, fragte er.
Rana stand auf – sie musste sich jetzt nicht mehr klein machen. Sie rannte zu ihrem Vater während der Schleicher sie mit einem letzten „Yo“ verabschiedete.
„Das ist Jo-Jo“, sagte Rana. „Er ist schon alt und hat sein Rudel verlassen.“
Der Vater lachte.
„Komm, du musst dich waschen und dann zur Schule gehen.“
„Mit Mama?“
Der Vater nickte.
„Morgen hast du wieder mit mir Schule.“
Sie gingen über den Weg.

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