Rana
und En-Bonbon kletterten auf einen der gelblichen Felsen, die überall
in der Steppe wie verstreut lagen. Rana hatte ihre Tasche von der
Schulter hängen. Sie war schon zur Hälfte mit den Totenkäfern
gefüllt. En-Bonbon hatte einen Rucksack auf dem Rücken. Er hatte
noch keinen einzigen Käfer gesammelt aber heute sammelte nur Rana,
damit sie es gut lernte. En-Bonbon konnte es bereits sehr gut und das
konnte man daran erkennen, dass viele der blaßgrünen Käfer unter
seiner Haut hindurch schienen. Er hatte mindestens 10 Stück auf dem
Rücken und 3 auf seinem rechten Arm.
Die
Totenkäfer waren sehr merkwürdige Tiere. Sie bewegten sich nämlich
nicht und sahen aus, wie ganz kleine Blätter die in der Sonne
getrocknet waren. Sie vermehrten sich wie Pollen einer Pflanze,
nämlich durch den Wind. Um Nachkommen zu zeugen brauchten sie einen
immer-warmen Platz und dafür eignete sich die Haut eines Tieres oder
eines Menschen. Dafür klebten sie sich auf der Haut fest und blieben
dort solange, bis ihre Kinder, die auf der Oberfläche der Mutter
heranwuchsen, einfach vom Wind davon geweht wurden. Das Muttertier
blieb jedoch, gefangen durch die extrem klebrige Substanz, die sie
abgesondert hatte, um auf der Haut kleben zu bleiben, für immer bei
ihrem Wirt. Das Besondere aber war, dass die Totenkäfer anscheinend
unsterblich waren, denn obwohl sie sich ihr Leben lang nicht rührten
-auch nicht, um zu fressen- leuchteten sie in der Nacht mit einem
grünen Schimmer und das taten sie Nacht für Nacht, solange, bis der
Wirt selbst gestorben war aber selbst dann leuchteten sie jede Nacht
weiter. Und bei Ausgrabungen entdeckte man bei Skeletten Totenkäfer
die seit Jahrhunderten vergraben gewesen sein mussten, die aber
trotzdem noch ihr Schimmern abgaben sobald die Sonne ganz
untergegangen war.
Rana
nahm das Einmachglas aus ihrer Tasche. Sie machte es auf und steckte
ihre Hand in das Wasser darin. Mit der nassen Hand konnte sie jetzt
die Totenkäfer einsammeln ohne dass sie an ihren Fingern kleben
blieben. Sie musste trotzdem schnell sein, weil das Wasser bei der
Hitze im Nu verdampfte – sie hatte nur Sekunden, um den Käfer in
ihre Tasche zu werfen und immer wieder musste sie ihre Hand nass
machen. En-Bonbon schaute ihr dabei zu und nickte und sagte immer
wieder auf neue: „Jetzt Hand nass machen – Käfer- jetzt in die
Tasche und jetzt Hand nass machen – Käfer – in die Tasche
und....“
Totenkäfer
waren nicht besonders zahlreich, man fand höchstens ein halbes
Dutzend auf jedem der gelblichen Steine und sie waren so wertvoll,
dass man am besten keinen einzigen vergeuden sollte. Rana warf den
letzten Käfer in ihre Tasche und freute sich, weil sie alle sicher
geschnappt hatte.
„Hast du gut gemacht“, sagte En-Bonbon.
Er
ging zum nächsten Stein und Rana sprang zurück auf den Boden, um
ihm zu folgen.
„Guck mal“, sagte sie, „da ist eine Schrecke.“
Das
große Tier im hohen Gras sah aus wie ein toter, umgestürzter Baum,
der von seinen Ästen über dem Boden getragen wurde.
„Gut“, sagte En-Bonbon. „Was macht er gerade?“
Rana
beobachtete die Schrecke eine Weile.
„Ich glaube, er sucht Schleicher“, sagte Rana.
En-Bonbon
nickte zufrieden.
„Du
verstehst die Tiere schon ganz gut.“
Rana
kletterte auf den nächsten Stein. Und auch dieses Mal sammelte sie
die Totenkäfer ein, ohne auch nur einen zu vergeuden. En-Bonbon zog
ihr zweimal leicht an ihren Haaren – er lächelte. Rana wusste,
dass er Stolz auf sie war.
Beim
Marker-Stein übergab er das Mädchen wieder ihren Eltern, die auf
sie gewartet haben. Er erzählte ihnen in seiner Sprache, das Rana so
viele Käfer gesammelt hatte, dass er seinen Stamm für eine Woche
damit versorgen konnte.
Die
Sonne ging unter, als sie sich von En-Bonbon verabschiedeten, in das
Geländefahrzeug stiegen und zurück zum Lager fuhren. Rana hatte
viel zu erzählen, soviel, dass der Weg bis zum Lager nicht
ausreichte, um alles gesagt zu haben. Und später beim Abendessen
schlief sie ein.
Sie
träumte von Tu-Tut, ihrem Freund aus dem Grasland. Sie saß auf
seinem Rücken und er trug sie durch den Sumpf auf die andere Seite,
wo die Berge waren, wo die Sonne in einem Tal zu Lava schmolz, um am
nächsten Tag wieder als Kugel aufzusteigen.
Rana
kniete sich hin und pinkelte in ein Loch das sie vorher gegraben
hatte. Der Schleicher beobachtete sie überrascht. Er selbst hatte
gerade das selbe getan. Mit seiner langen Zunge leckte er sich sein
Gesicht ab, um zu überprüfen, ob der Geruch des Mädchens auf
seinem klebrigen Fell zurückgeblieben war. Er konnte nichts
schmecken.
Rana
stand langsam auf, blieb aber in einer gebückten Haltung, um das
Tier nicht zu erschrecken. Schleicher liefen sofort davon, wenn sie
jemanden entdeckten, der größer war als sie. Sie kam einpaar
Schritte näher. Das Tier leckte sich wieder sein Gesicht ab und
wusste jetzt, dass Rana ein Mensch war, dass sie ein Kind war und
dass sie gerade mit einem Gnak gespielt haben muss und dieser Gnak
hatte sie nicht gegessen.
Rana
sagte „Hallo“.
Der
Schleicher leckte sich ein weiteres Mal durchs Gesicht, setzte sich
dann hin und streckte seine großen Hände von sich. Für seine
verkümmerten Augen saß nun ein kleiner Schatten direkt vor ihm. Er
konnte nicht viel mehr sehen aber dafür sah er, dass was er sehen
konnte extrem gut.
Rana
streichelte seine Hand die vom ständigen Graben in der Erde ganz
schwarz war. Diese Hände waren so groß, dass Rana darauf soviel
Platz gehabt hätte wie in einem Fahrzeugsitz. Sie streichelte die
dicken Kissen auf der Handfläche des Tieres und seine drei langen
Finger. Und der Schleicher grummelte zufrieden – er leckte ihr
durchs Gesicht.
„Wo
sind deine Freunde?“, fragte Rana.
„Yooh, jau!“, sagte der Schleicher.
Rana
lächelte.
„Ich bin hier.“
„Yooooh!“
Der
Schleicher stand auf, seine großen Hände ballte er hierfür
zusammen, sein dicker langer Schwanz diente als Hinterläufer. Er
schleckte Rana über den Rücken und den Nacken und Rana kiecherte,
weil das kitzelte, dann biss der Schleicher vorsichtig in ihren
Nacken und hielt sie fest.
„Ah“, machte Rana und legte sich sofort flach auf den Boden. Der
Schleicher ließ wieder los und setzte sich wieder hin, die Hände
von sich gestreckt. Rana setzte sich auch wieder auf und streichelte
wieder seine großen Hände.
„Ich bin Rana.“
„Yo.“
Ranas
Vater kam auf dem Weg vom Lager zu ihr. Er hielt Abstand.
„Wer ist das?“, fragte er.
Rana
stand auf – sie musste sich jetzt nicht mehr klein machen. Sie
rannte zu ihrem Vater während der Schleicher sie mit einem letzten
„Yo“ verabschiedete.
„Das ist Jo-Jo“, sagte Rana. „Er ist schon alt und hat sein
Rudel verlassen.“
Der
Vater lachte.
„Komm, du musst dich waschen und dann zur Schule gehen.“
„Mit Mama?“
Der
Vater nickte.
„Morgen hast du wieder mit mir Schule.“
Sie
gingen über den Weg.
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