Mittwoch, 10. September 2014

Axii - Raumhafen

Alicen stand auf einem der Stabilisierungskabel des Weltraumlifts. Wenn man nicht gerade Höhenangst hatte, konnte man ohne viel Anstrengung bis zur Spitze des Raumhafens spazieren. Das Kabel war so breit wie eine kleine Straße, so brauchte er sich zunächst keine Gedanken darum zu machen nicht runter zu fallen. Erst später musste er über die Verankerungen der Stabilisierungsseile klettern, die das Stabilisierungskabel stabilisierten. Dokrit hatte ihm alles erklärt, jede Etappe einzeln in jeder Einzelheit.
Axii stand unten auf dem Dach der Bodenverankerung und filmte ihn. Er musste jetzt fast einen halben Kilometer entfernt sein und zwei Dutzend Meter unter ihm.
Alicen hatte von hier oben einen großartigen Überblick über den Raumhafen. Eine Millionenstadt war um das Baugebiet entstanden. Es sah aus, als würde die Dusonstadt um das riesige Gelände herum wachsen. Ein beinahe perfekter Kreis im ehemaligen Waldgebiet.
Axii setzte sich hin. Der Himmel war mit schweren Wolken behangen. Am Horizont leuchtete ein Streifen Sonnenlichts und färbte die Wolkendecke orange. Axii hörte Musik.
„I'm not looking for the answers, I'm not looking for the truth, I'm not looking for the death, I'm not looking for the god....“
Er zoomte Alicen heran. Er wischte sich die Stirn und sagte etwas. Axii verstand es nicht aber auf dem Video würde man es herausfiltern können. Irgendwo hörte er eine Sirene aufheulen. Vielleicht hatte man sie entdeckt? Er blieb sitzen. Er fühlte sich ruhig und konzentriert, wie beim letzten Mal, als Alicen über die Etagen im Encea-Sektor geklettert ist.
Für Axii hörten die Worte der Musik auf eine Bedeutung zu haben. Er wusste nur, dass sie dunkel, bösartig oder hell und gutartig waren.
„Many of the people breathing like fucking rats... wenn du tot bist, blutest du einfach aus....“
Ein Grollen kam von oben. Vielleicht gab es da oben einen Gott für die Menschen, dachte Axii, aber die meisten Menschen waren nun mal hier unten.
„Was ist hier los!? Sind wir schon abgestumpft? Ist unser Hirn auf Minimal herabgeschrumpft? Du sagst „Ja“, ich sage „Nein“, denn verdammt noch mal, ich kann nicht anders sein! ….“
Der Kommunikator zeigte „Brain Blasting Music“ und darunter „Since 2003“. Er hatte das lange nicht verstanden, bis ihm Alicen erzählt hatte, dass die Menschen früher schon im Jahr 2003 gelebt haben und man die Zeit nach dem Impact von neuem zu rechnen anfing. Damals hatte man die Zeitrechnung auch wegen eines Mannes neu begonnen, soviel er wusste. Eine ganze Religion ging von diesem Mann aus, eine der drei größten damals. Heute war es nicht viel anders. Die Menschen feierten den Dyson-Tag und verehrten ihn wie einen Gott und beteten die künstliche Intelligenz geradezu an, ohne die, wie die meisten glaubten, die Welt untergehen würde – zum wie vielten Mal?
„Tief in deiner Zelle, hockst du auf deinen Knien, wartest auf ein Zeichen, hoffst, er hat dir verziehn, du betest zu dem Kreuze, die Stille bringt dich um!“
Ein Wind kam auf. Axii konnte Alicen nicht mehr sehen. Er suchte ihn mit der Kamera. Verdammt, jetzt hatte er ins Leere gefilmt. Wo war er?
„... kein Mensch! Kein Gott wird dich erhören – Zoelibat!“
Axii nahm die Kopfhörer aus seinen Ohren und stand auf. Wo war Alicen? Die Nacht war herein gebrochen und er hatte es gar nicht mit bekommen. Im Nachtmodus der Kamera suchte er das Stabilisierungskabel ab aber Alicen blieb verschwunden. Hatten sie ihn erwischt?
Axii packte das Tablet ein und die anderen Sachen, die er zum filmen brauchte, warf sich die Schultertasche um und sprang vom Dach herunter. Unten landete er auf allen Vieren. Schnell rappelte er sich auf und rannte über das schlammige Gelände auf den Grenzzaun zu.
„Kommi, verbinde mich mit Alicen“, keuchte er während er rannte.
„Alicen - wird angerufen.“
Er erreichte den Zaun und kniete sich ins hohe Gras. Auf dem Gelände blieb es still.
„Axii?“
Axii hob seinen Kommunikator-Arm und sah auf dem Display Alicens Gesicht.
„Verdammt, wo bist du, man?“
„Pst“, machte Alicen. Er flüsterte. „Du wirst es nicht glauben, aber ich bin schon wieder auf eine dieser Erbauer-Einheiten gestoßen.“
„Was?!“
Alicen nickte.
„Komm runter“, flüsterte Axii.
„Ich kann nicht, das Ding isoliert hier gerade eine aufgerissene Stelle – hör zu, warte am Zaun auf mich. Ich versuche herunter zu kommen, wenn das Ding etwas weiter weg ist.“
„Pass auf – du weißt, wie schnell die sein können.“
Alicen nickte noch einmal und schloss die Verbindung.
Das Licht ging aus, es wurde dunkel. Im Himmel grollte es wieder. Axii hockte im Gras und wartete. Die Stille schien durch seine Ohren in seinen Kopf vorzudringen und ihn taub zu machen. Und der Wind blies stärker. Er patschte sich seine Haare ins Gesicht aber sie flogen wieder davon. Er schaute hinauf. Die Wolken stauten sich, sahen aus wie Wellen aus zähflüssiger Brühe.
„There's a shadow just behind me...“, sang er leise für sich. „shrouding every step I take – making every promise empty – pointing every finger at m....“ Er fröstelte, der Wind blies nun fast wie ein kleiner Sturm. „Waiting like a stalking butler... who upon the finger rests... murder now the path of must we....“ Er stellte seinen Kragen auf. „Just because the son has come – Jesus, won't you fucking whistle – something but the past and done – Jesus, won't you fucking whistle – something but the past and done – Why can't we not be sober?“ Es fing an in Strümen zu regnen. „Wo bleibst du?“
Eine dicke Raupe kletterte ihm am Hosenbein hoch.
„Trust me, trust me, trust me....“
Und dann tauchte Alicens Schatten auf dem dicken Kabel auf. Er rannte herunter. Axii sprang auf, die Raupe flog ins Gras. Es blitzte, ein helles Licht erhellte den Raum.
„Alicen! Hier!“
Alicen kam auf dem Gebäude an von dem Axii ihn gefilmt hatte. Dahinter gingen Lichter an und sie bewegten sich – Taschenlampen.
„Alicen!“
Alicen sprang vom Dach, machte eine Rolle über den Boden und kam auf Axii zu. Drei Agil-Droiden kamen ihm hinterher. Sie hatten Taschenlampen in ihren Händen und alle drei Lichtkegel fingen Alicen ein und ließen nicht mehr von ihm ab. Er sprang über einige Betonplatten, die zerbrochen im Schlamm lagen, um die Droiden zu behindern aber sie sprangen alle drei gleichzeitig mit Leichtigkeit darüber.
„Schneller!“, schrie Axii. Er lief am Zaun entlang, halb zu Alicen gedreht und stolpernd.
Alicen kam am Zaun an und lief Axii hinter her.
„Renn“, schrie er zurück.
Alicen holte schnell auf und beide quetschten sich gleichzeitig durch das Loch im Zaun dass sie auch benutzt hatten, um auf das Gelände des Raumhafens zu gelangen. Die Agil-Droiden blieben nur wenige Meter hinter ihnen stehen.
„Ich habe die Polizei verständigt“, sagte einer der Droiden.
Axii und Alicen schnauften, der Ragen prasste auf sie herab und der Wind zerrte an ihren durchnässten Sachen. Die Droiden waren nicht darauf programmiert, das Gelände zu verlassen aber die Polizei hatten sie bestimmt informiert, also blieb ihnen nicht allzu viel Zeit.
„Komm“, sagte Alicen, „weg hier!“

Sie saßen eine halbe Stunde später an der Haltestelle in der Nähe von Axiis Haus.
„Es ist gleich 23 Uhr“, sagte Alicen. „Ich muss langsam.“
„Bist du morgen wieder bei den Wandläufern?“
„Ja.“

Sie berührten sich mit den Fingern und Alicen ging davon. Es regnete immer noch.  

Keine Kommentare: