Donnerstag, 18. September 2014

Colovia Highlands


Flusswäsche


Die Outlands

Die Outlands lagen außerhalb der Dusonstadt. Sie bestanden zu 95 Prozent aus Feldern. Diese Felder waren um die Stadt herum angelegt und reichten bis zum Gebirge im Süden, 800 Kilometer von der Dusonstadt entfernt. Sie versorgten die 68 Millionen-Stadt mit Nahrung, Strom und Wasser. Nur einige Hunderttausend Menschen lebten auf dieser gewaltigen Fläche.

Es gab nur wenige Bauern, die sich zu Siedlungen zusammenschlossen. Eine dieser Siedlungen lag knapp 100 Kilometer von den Stadtgrenzen entfernt an der alten Grenze zu den Niederlanden. Hier lebte Sabodek zusammen mit seiner Mutter, den Großeltern und einem Farmer auf einem Hof in der Nähe eines großen Frachthofes.

Colina und Sabodek standen an den Schienen. Gerade wurde ein Güterzug beladen. Sie beobachteten die Arbeiter auf den Wagons und in den Hallen oder an den Silos. Sabodeks Mutter kletterte in die Trägermachine und steuerte sie in eine der Hallen. Die breiten Füße der Maschine stampften auf dem trockenen Boden und wirbelten Staub auf. Sabodek fand, dass die Träger wie Hühner aus Metall aussahen.
„Bringst du mich zur Probe?“, fragte Colina.
„Ja“, sagte Sabodek, „ich hole mein Fahrrad.“
„Ja“, sagte Colina, „ich hole meine Geige.“
Zehn Minuten später holte Sabodek seine Freundin beim Nachbar-Hof ab. Sie setzte sich hinten drauf und Sabodek fuhr los, der Straße entlang.

Colina probte in der Siedlungs-Halle. Der Ratsherr grüßte die beiden Kinder. Er hatte eine Mistgabel in der Hand und eilte aus der Halle. Die Mistgabel warf er auf den Rücksitz seines Landfahrzeugs, stieg vorne ein und fuhr los.
„Wo will er hin?“, fragte Colnina.
„Wollte er nicht bei der Probe dabei sein?“, fragte Sabodek.
Colina nickte. Beide sahen dem Landfahrzeug nach, wie es sich auf der langen Straße entfernte.
„Ich fahre zum Strand“, sagte Sabodek.
„Ja“, sagte Colina.
Sabodek fuhr davon.

Sabodek fuhr an den Ruinen aus der alten Zeit vorbei. Sie standen weit weg in einem großen Maisfeld auf dem eine Erntemaschine fuhr. Über dem Feld flog ein Conolonibus auf der Stelle. Seine Rotoren machten soviel Wind, dass die Maisstauden umgebogen wurden, einige flogen durch die Luft. Ein Wagen der OPD fuhr an ihm vorbei.
„Was ist den hier los?“, fragte sich Sabodek.
Der Conolonibus bewegte sich nun auf die Ruinen zu und blieb über ihnen schweben. Ein Seil kam herunter. Sabodek konnte nicht genau erkennen, ob jemand in den Ruinen war, weil die Maisstauden zu hoch gewachsen waren.
„Mist“, sagte er.
Das Seil wurde wieder hochgezogen. Am Ende des Seils hing etwas aber es war kein Mensch, obwohl Sabodek Arme zu erkennen glaubte und auch ein Bein war dabei. Es war ein großer Klumpen, vielleicht so groß wie ein Rind. Sabodek strich sich durch sein schiefes Gesicht.
„Was ist das?“
Wieder kam ein Wagen der OPD vorbei. Da musste etwas schlimmes geschähen sein.

Sabodek kam beim Hof an. Seine Mutter schimpfte im vorraus, dabei hatte er heute noch nichts blödes angestellt.
„Komm, ich habe dir Maiskolben mit Salz gemacht“, sagte sie, als sie fertig mit Schimpfen war. Sie drückte ihm einen Schokoladen-Riegel in die Hand.
Dann kam die Kolone der OPD am Hof vorbei. Die zwei Fahrzeuge, die Sabodek vorhin an sich vorbei fahren sah und ein Frachter der etwas geladen hatte, dass mit einer Plane abgedeckt war. Sabodek war sofort klar, dass es das sein musste, was vorhin am Seil des Conolonobus gehangen hatte.
„Ich esse später“, rief er, nahm sein Fahrrad und raste der Kolone hinterher.
„Dann musst du es kalt essen, du Blödmann“, schrie ihm seine Mutter nach“, Trottel, du isst es kalt, ich sage es dir!“
Die Kolone hielt auf der anderen Seite der Siedlung auf einer Ranch an. Gerade kam eine Rinderherde zurück von den Wiesen. Die Polizisten mussten warten, bis alle Tiere vorbei gelaufen waren bevor sie auf den Hof der Ranch fahren konnten.
Sabodek stellte sich an einer Häuserwand hinter einem Strauch und beobachtete den Tierarzt der Siedlung, wie er auf den Frachter stieg und unter die Plane schaute. Er sprang zurück, beugte sich über den Rand des Frachters und würgte aber ea kam nichts raus.
„Tut mir Leid“, sagte einer der OPD-Leute. Es war ein Mann mit grauen Haaren und Halbglatze, mit einem Schnautzbart. „Der Anblick muss gräslich sein, nicht wahr?“
„Nein“, sagte der Tierarzt. „Es ist nur – ich vertrage den Geruch nicht.“
Der OPD-Mann mit Halbglatze hob die Augenbrauen.
„Ich habe gar nichts gerochen.“
Der Tierarzt schüttelte den Kopf. Er schaute wieder unter die Plane und würgte wieder. Dieses Mal kletterte er aber ganz unter die Plane und man hörte ihn darunter dumpf würgen und husten.
„Was sagen sie dazu?“, fragte der OPD-Mann mit Halbglatze.
Unter der Plane kam ein lautes Würgen zurück. Die OPD-Leute sahen sich unter einander mit ekelerfüllten Mienen an.
„Brechen sie am besten daneben“, rief der OPD-Mann mit Halbglatze, „nicht auf die Leichenteile... wenns geht!“
Der Tierarzt kam zurück.
„Nun“, sagte er, „soweit ich das beurteilen kann, sind es drei, vielleicht vier Leichen.“
Der OPD-Mann mit Halbglatze nickte. Er kratze sich an der Nase und dann am Ohr und dann am Kinn und nickte noch einmal.
„Keine Köpfe“, sagte der Tierarzt.
Der OPD-Mann mit Halbglatze sah auf. Er kratzte sich am Ohr und am Kinn.
„Keine Köpfe?“
Der Tierarzt schüttelte den Kopf.
„Keine Köpfe.“
Der OPD-Mann mit Glatze nickte zweimal hintereinander – kratze sich an der Nase. Er sah die anderen OPD-Männer an, nickte ihnen zu und sah sich dann auf dem Hof um.
„Wir müssen die Köpfe finden“, sagte er dann.

Jetzt nickten die anderen OPD-Leute.  

Donnerstag, 11. September 2014

Dusonstadt, Frühjahr: 1023, Sektor 345 - Drindrin

Sie sahen aus wie eine Horde Wikinger. Ein Kerl an vorderster Stelle hatte sich sein Hemd ausgezogen. Er musste mehr als 2 Meter groß sein und war bepackt mit Muskeln die bei jeder Bewegung andere Formen annahmen. Wie eine Maschine stampfte er über die Straße vorwärts und würde selbst Autos aus den Weg walzen.
Drindrin blieb stehen und nahm die Meute auf, die schnell an ihr vorbei zog. Sie schrien irgendetwas aber sie verstand gar nichts. Laute Rock-Musik überschalte alles. Agil-Droiden des DSPD liefen neben ihnen her und bewachten die Demonstration. Und von beiden Seiten auf den Gehwegen hielten Menschen an, um zu filmen oder um zu gaffen.
Drindrin beendete die Aufnahme. Ihr kleiner Tieger sprang aus dem Schaufenster eines Ladens. Sie sah darin Spielekonsolen und Zubehör. Im Inneren tummelten sich einige Freaks, einige von ihnen schauten durch die Scheibe nach draußen. Drindrins kleiner Tieger jaulte.
„Ich will das nicht“, sagte Drindrin.
Der kleine Tieger lief weiter und verschwand. Drindrin sah der demonstrierenden Meute nach.
„Wir sind wahre Menschen“, hörte sie jemanden rufen.
Etwas weiter landete ihre Schwebebahn in einer Haltestelle. Sie rannte los.

Drindrin hörte Musik. Sie brauchte keine Kopfhörer. Sie wurde taubstumm geboren und bekam noch im Bauch ihrer Mutter interne Hörgeräte eingepflanzt – gebaut von ganz kleinen Robotern, nicht größer als ein Molekül. Das sie taubstumm sein würde, wussten die Ärzte schon, als sie gar nicht geplant gewesen ist.
Die Schwebebahn sauste zwischen den Türmen des Sektors an gewaltigen Werbetafeln vorbei. Hier und da grüßte sie ihr kleiner Tieger aus einer dieser Tafeln und wenn die Bahn durch einen Tunnel sauste, sah sie auf dem Fensterglas die Bücher die sie gerade las. Wenn sie sich vom Fenster abwandte löste sich das Buch das sie mit ihren Augen fixiert hatte aus dem Fenster und schwebte als holographische Darstellung direkt vor ihr.
Ihre Oma war 132 Jahre alt und sie konnte sich nicht vorstellen, wie ein Mensch soviele Dinge auf einmal aufnehmen kann. Überall Bilder, fliegende Aufnahmen von anderen Orten, Videospiele die sich im Bistro auf dem Tisch ausbreiteten, Werbungen die mit einem sprachen, Hologramme, Lichter, geisterhafte Pfeile auf den Straßen, die einem den Weg wiesen und vieles mehr. Sie sagte, sie würde verrückt werden, wenn sie so wäre wie Drindrin.
Tatsache aber war, dass Oma gar nicht wusste, wie Drindrin wirklich war, weil Oma das Haus schon seit 12 Jahren nicht mehr verlassen hatte und sie erlebte ihre Enkelin nur in ihrer Wohnung, wenn sie zu Besuch kam. Und dann saß Drindrin meistens nur herum, spielte mit Oma alte Videospiele oder machte ihre Hausaufgaben.

Drindrin musste aussteigen. Die Schwebebahn landete in einer Haltestelle in der Nähe der Türme in denen Drindrin mit ihren Müttern wohnte. Ihr Vater lebte nicht mehr. Er kam bei einem Arbeitsunfall im Orbit um – er war Raumschrott-Sammler gewesen. Danach lernte ihre Mutter eine Frau kennen und lebte fortan mit ihr zusammen.
„Hallo Drindrin“, grüßte der Agil-Droide, der das Viertel sauber machte.
„Hallo“, sagte Drindrin.
Beide standen vor dem Eingang der Haltestelle. Sie hatten einen tollen Ausblick auf die Nordsee. Sie waren 800 Meter über dem Meeresspiegel auf einer hängenden Straße. Drindrin stellte sich gerne an den Rand und schaute herunter in die Tiefe. Erst dann merkte man, dass sich die Straße im Wind hin und her schaukelte. Langsam hin und her, wie im Traum. Und wenn sie zu lange runter schaute wurde ihr schwindelig und sie taumelte, dann musste sie sich am Geländer festhalten.
„Soll ich dir bei deinen Hausaufgaben helfen?“, fragte der Agil-Droide.
„Gerne“, sagte sie.
Sie ging voraus und der Droide folgte ihr. Sie hatte ihn kennen gelernt, als ihre Mutter sie einmal ausgeschimpft hatte, weil sie kein gutes Zeugnis mit gebracht hatte. Der Droide ging dazwischen, als ihre Mutter sie schlagen wollte. Eigentlich waren alle Droiden darauf programmiert dazwischen zu gehen, wenn Menschen ihre Beherrschung verloren aber es war nun mal dieser eine Droide gewesen der zu dieser Zeit an diesem Ort gewesen war und danach grüßte sie ihn jedes Mal. Droiden waren zwar auch darauf programmiert Freundschaften mit Menschen zu schließen aber manchmal glaubte Drindrin, dass der Droide sie wirklich gerne hatte.
„Mathematik? Physik? Informatik?“
Drindrin seufzte.
„Ich befürchte alles.“
Der Droide nickte.
„Das machen wir in einer Stunde fertig und danach kannst du etwas anderes machen.“
Sie setzten sich in ein Cafe das ebenfalls in der Luft hing. Der Boden bestand aus Glasplatten, man konnte nach unten schauen und kam sich beim Essen seiner Pommes vor, als würde man frei in der Luft schweben. Nicht jedermans Sache.
„Cola?“, fragte der Droide. Drindrin nickte. „Ich bezahle.“
„Danke“, sagte Drindrin.
Nebenan am Tisch saß eine Frau mit Glatze. Sie hatte überall Piercings. Ihre kleine Tochter malte auf E-Papier und fragte immer wieder, ob ihre Mutter ihr dieses oder jenes auf ihr Bild malen könnte. Vor ihnen saß ein Mann mit gräulicher Haut der in einem holographischen Comic blätterte und laut seinen Milchkaffee mit Sahne schlürfte. Und dahinter schraubte ein Agil-Droide der Müllentsorgung an seiner Hand herum, die anscheinend nicht mehr das tun wollte, was er wollte.
„Kennst du die Formel, um diese Aufgaben hier zu lösen?“, fragte ihr Freund.
„Ja.“
Sie nahm ihre Schultafel und schrieb ihm die Formel mit dem Finger auf. Er betrachtete sie eine Weile und es sah aus, als dachte er nach, auch wenn sein metallischer Schädel natürlich zu keiner Regung im Stande war.
„Gut, ich verstehe diese Aufgaben.“ Er reichte ihr die Tafel. „Fang mit der ersten Aufgabe an und ich schaue dir zu, dann finde ich bestimmt heraus, wo du Schwierigkeiten hast.“

Drindrin grinste und fing an.  

Mittwoch, 10. September 2014

Axii - Androide

Axii - Androide

Axii saß alleine in seinem Zimmer. Er schaute alte Nachrichten auf dem GlobeNetNews-Kanal.
„Suche nach Androide“, sagte er.
Der Bildschirm an der Wand zeigte eine Auswahl von Videos an.
„Android hilft Androide“, sagte Axii.
Das Video lief:
Irgendwo in der Dusonstadt. Sah aus wie im Asakusa-Sektor. Alte Gebäude, mehrere Stockwerke hoch – Gebäude an Gebäude mit einem Netz aus Kabeln über der Straße. Zwei Agil-Droiden gingen über den Bürgersteig und überprüften die Mülltonnen am Straßenrand.
„Diese ist hier falsch beladen“, sagte der eine, der einen roten Streifen auf seinem Schädel hatte.
Beide packten die Mülltonne und stellten sie zurück an die Hauswand.
Aus einer Gasse zwischen zwei Wohnblöcken kamen Männer heraus. Sie gingen direkt auf die Droiden zu und fingen an einen von ihnen zu tretten und zu schlagen.
„Hören sie auf damit, ich werde die Polizei verständigen“, sagte der andere.
Axii erinnerte sich daran, dass er das auch schon einmal von einem Agil-Droiden gesagt bekommen hatte. Es war noch gar nicht so lange her.
„Die Polizei ist unterwegs....“
Der Agil-Droide machte eine Pause.
„Sie zerstören Eigentum der Regierung, das ist eine Straftat.“
Währenddessen hatten die Männer den anderen Agil-Droiden zu Boden geworfen und traten hart auf ihn ein. Einer löste sich aus der Gruppe, ging auf den stehenden Droiden zu und schlug ihm mit der Faust auf den Schädel. Der Agil-Droide taumelte zurück und wirkte auf diese Weise tatsächlich etwas betäubt.
„Lass abhauen.“
Die Männer verschwanden wieder in der Gasse aus der sie gekommen waren. Der auf dem Boden liegende Droide versuchte aufzustehen aber seine Beine waren zertrümmert. Der andere Droide stellte sich neben ihn und blieb stehen. Eine Weile geschah nichts weiter. Einer versuchte aufzustehen und der andere stand neben ihm und wartete.
Axii wollte gerade auf das nächste Video schalten als etwas ungewöhnliches passierte. Der stehende Droide blickte auf den demolierten Droiden herunter.
„Die Polizei ist unterwegs“, sagte er.
Axii zog die Augenbrauen hoch aber dann kniete sich der Droide auch noch hin und packte den Kaputten am Arm.
„Bleib liegen, du kannst nicht mehr aufstehen, weil deine Beine zerstört sind.“
Der Kaputte blickte auf seine Beine.
„Wir können unsere Arbeit nicht fortsetzen“, sagte er.
Der andere schüttelte den Kopf.
Eine Polizei-Drohne landete auf der Straße und das Video war zu ende.
Axii legte die Speicherkarte aus Alicens Kamera in den Slot am Rechner.
„Speicherkarte 001 eingelegt, Träger enthält Videomaterial, soll es angezeigt werden?“
„Ja“, sagte Axii.
Das Video zeigte Alicen beim Klettern auf einem der Stabilisierungskabel beim Raumhafen. Alicen hatte etwas gesagt, als er dort oben gewesen ist aber Axii hatte ihn nicht verstehen können.
„Auschnitt markieren ab 14 Punkt 36.“
Das Video sprang an die Stelle und lief von dort aus weiter.
„Stopp! Audio filtern, Stimmen.“
Der Auschnitt lief noch einmal über den Bildschirm.
„Da tanzen drei Agil-Droiden“, sagte Alicen im Video und lachte.
Axii lehnte sich im Sessel zurück. Er blickte in die Kameras überall in seinem Zimmer. Sie klebten überall an seiner Zimmerdecke und sahen aus wie kleine Spinnen.
„Hey, Axii?! So spät noch wach?“
Tokio, sein holographischer Begleiter in Form eines Delphins rauschte hinter dem Display an der Wand hervor und tanzte schwimmend vor ihm in der Luft.
„Ich kann nicht schlafen, Tokio.“
Der Delphin sauste an die Decke und kam dann wieder herunter. Er blieb auf Augenhöhe mit Axii schweben.
„Wo sind deine Pflegis?“
Axii runzelte die Stirn.
„Sie... sind nicht da?“
Der Delphin drehte sich einmal um die eigene Achse.
„Was tun sie?“
„Ich weiß es nicht... sind sie von der Kinder- und Jugendregelung?“
Tokio sauste einmal durchs Zimmer.
„Nein, Axii, ich bin es, Tokio!“
„Das glaube ich nicht, Tokio fragt mich so etwas nicht.“
Das Hologram verpuffte und Axii blieb erschrocken sitzen. Was sollte das?
„Sicherheit“, sagte Axii, „sind alle Türen und Fenster zu?“
„Alle Türen und Fenster sind verriegelt.“
Axii stand auf und ging in den Flur. Im Haus herrschte Stille. Er seufzte. Eigentlich musste er sich gar keine Gedanken machen. Das Haus würde niemanden auf das Gelände lassen. Und Tokio spielte nicht zum ersten Mal verrückt. Einmal tauchte er mitten in seinem Unterricht auf und hatte Werbung für ein neues Outfit gemacht. Alicens Bär kotzte einem über die Füße, wenn Alicen sich über jemanden oder etwas ärgerte, obwohl das eher kein Fehler war, sondern aus Alicens eigener Hand stammte.
Axii ging runter ins Wohnzimmer und durch die Tür in den Garten.
„Tür zum Garten ist nun offen – sie hatten vor 4 Minuten gefragt, ob alle Türen und Fenster verriegelt sind.“
„Ja, schon gut“, sagte Axii.
Er lief barfuß über den nassen Rasen und dann fing es an zu schneien.
„Wow“, hauchte er.

Einen Augenblick später rieselte der Schnee so dicht herunter, dass der Himmel ganz weiß wurde. Er lief im Garten herum und versuchte die Schneeflocken zu fangen. Sie schmeckten wie Wasser...  

Axii - Raumhafen

Alicen stand auf einem der Stabilisierungskabel des Weltraumlifts. Wenn man nicht gerade Höhenangst hatte, konnte man ohne viel Anstrengung bis zur Spitze des Raumhafens spazieren. Das Kabel war so breit wie eine kleine Straße, so brauchte er sich zunächst keine Gedanken darum zu machen nicht runter zu fallen. Erst später musste er über die Verankerungen der Stabilisierungsseile klettern, die das Stabilisierungskabel stabilisierten. Dokrit hatte ihm alles erklärt, jede Etappe einzeln in jeder Einzelheit.
Axii stand unten auf dem Dach der Bodenverankerung und filmte ihn. Er musste jetzt fast einen halben Kilometer entfernt sein und zwei Dutzend Meter unter ihm.
Alicen hatte von hier oben einen großartigen Überblick über den Raumhafen. Eine Millionenstadt war um das Baugebiet entstanden. Es sah aus, als würde die Dusonstadt um das riesige Gelände herum wachsen. Ein beinahe perfekter Kreis im ehemaligen Waldgebiet.
Axii setzte sich hin. Der Himmel war mit schweren Wolken behangen. Am Horizont leuchtete ein Streifen Sonnenlichts und färbte die Wolkendecke orange. Axii hörte Musik.
„I'm not looking for the answers, I'm not looking for the truth, I'm not looking for the death, I'm not looking for the god....“
Er zoomte Alicen heran. Er wischte sich die Stirn und sagte etwas. Axii verstand es nicht aber auf dem Video würde man es herausfiltern können. Irgendwo hörte er eine Sirene aufheulen. Vielleicht hatte man sie entdeckt? Er blieb sitzen. Er fühlte sich ruhig und konzentriert, wie beim letzten Mal, als Alicen über die Etagen im Encea-Sektor geklettert ist.
Für Axii hörten die Worte der Musik auf eine Bedeutung zu haben. Er wusste nur, dass sie dunkel, bösartig oder hell und gutartig waren.
„Many of the people breathing like fucking rats... wenn du tot bist, blutest du einfach aus....“
Ein Grollen kam von oben. Vielleicht gab es da oben einen Gott für die Menschen, dachte Axii, aber die meisten Menschen waren nun mal hier unten.
„Was ist hier los!? Sind wir schon abgestumpft? Ist unser Hirn auf Minimal herabgeschrumpft? Du sagst „Ja“, ich sage „Nein“, denn verdammt noch mal, ich kann nicht anders sein! ….“
Der Kommunikator zeigte „Brain Blasting Music“ und darunter „Since 2003“. Er hatte das lange nicht verstanden, bis ihm Alicen erzählt hatte, dass die Menschen früher schon im Jahr 2003 gelebt haben und man die Zeit nach dem Impact von neuem zu rechnen anfing. Damals hatte man die Zeitrechnung auch wegen eines Mannes neu begonnen, soviel er wusste. Eine ganze Religion ging von diesem Mann aus, eine der drei größten damals. Heute war es nicht viel anders. Die Menschen feierten den Dyson-Tag und verehrten ihn wie einen Gott und beteten die künstliche Intelligenz geradezu an, ohne die, wie die meisten glaubten, die Welt untergehen würde – zum wie vielten Mal?
„Tief in deiner Zelle, hockst du auf deinen Knien, wartest auf ein Zeichen, hoffst, er hat dir verziehn, du betest zu dem Kreuze, die Stille bringt dich um!“
Ein Wind kam auf. Axii konnte Alicen nicht mehr sehen. Er suchte ihn mit der Kamera. Verdammt, jetzt hatte er ins Leere gefilmt. Wo war er?
„... kein Mensch! Kein Gott wird dich erhören – Zoelibat!“
Axii nahm die Kopfhörer aus seinen Ohren und stand auf. Wo war Alicen? Die Nacht war herein gebrochen und er hatte es gar nicht mit bekommen. Im Nachtmodus der Kamera suchte er das Stabilisierungskabel ab aber Alicen blieb verschwunden. Hatten sie ihn erwischt?
Axii packte das Tablet ein und die anderen Sachen, die er zum filmen brauchte, warf sich die Schultertasche um und sprang vom Dach herunter. Unten landete er auf allen Vieren. Schnell rappelte er sich auf und rannte über das schlammige Gelände auf den Grenzzaun zu.
„Kommi, verbinde mich mit Alicen“, keuchte er während er rannte.
„Alicen - wird angerufen.“
Er erreichte den Zaun und kniete sich ins hohe Gras. Auf dem Gelände blieb es still.
„Axii?“
Axii hob seinen Kommunikator-Arm und sah auf dem Display Alicens Gesicht.
„Verdammt, wo bist du, man?“
„Pst“, machte Alicen. Er flüsterte. „Du wirst es nicht glauben, aber ich bin schon wieder auf eine dieser Erbauer-Einheiten gestoßen.“
„Was?!“
Alicen nickte.
„Komm runter“, flüsterte Axii.
„Ich kann nicht, das Ding isoliert hier gerade eine aufgerissene Stelle – hör zu, warte am Zaun auf mich. Ich versuche herunter zu kommen, wenn das Ding etwas weiter weg ist.“
„Pass auf – du weißt, wie schnell die sein können.“
Alicen nickte noch einmal und schloss die Verbindung.
Das Licht ging aus, es wurde dunkel. Im Himmel grollte es wieder. Axii hockte im Gras und wartete. Die Stille schien durch seine Ohren in seinen Kopf vorzudringen und ihn taub zu machen. Und der Wind blies stärker. Er patschte sich seine Haare ins Gesicht aber sie flogen wieder davon. Er schaute hinauf. Die Wolken stauten sich, sahen aus wie Wellen aus zähflüssiger Brühe.
„There's a shadow just behind me...“, sang er leise für sich. „shrouding every step I take – making every promise empty – pointing every finger at m....“ Er fröstelte, der Wind blies nun fast wie ein kleiner Sturm. „Waiting like a stalking butler... who upon the finger rests... murder now the path of must we....“ Er stellte seinen Kragen auf. „Just because the son has come – Jesus, won't you fucking whistle – something but the past and done – Jesus, won't you fucking whistle – something but the past and done – Why can't we not be sober?“ Es fing an in Strümen zu regnen. „Wo bleibst du?“
Eine dicke Raupe kletterte ihm am Hosenbein hoch.
„Trust me, trust me, trust me....“
Und dann tauchte Alicens Schatten auf dem dicken Kabel auf. Er rannte herunter. Axii sprang auf, die Raupe flog ins Gras. Es blitzte, ein helles Licht erhellte den Raum.
„Alicen! Hier!“
Alicen kam auf dem Gebäude an von dem Axii ihn gefilmt hatte. Dahinter gingen Lichter an und sie bewegten sich – Taschenlampen.
„Alicen!“
Alicen sprang vom Dach, machte eine Rolle über den Boden und kam auf Axii zu. Drei Agil-Droiden kamen ihm hinterher. Sie hatten Taschenlampen in ihren Händen und alle drei Lichtkegel fingen Alicen ein und ließen nicht mehr von ihm ab. Er sprang über einige Betonplatten, die zerbrochen im Schlamm lagen, um die Droiden zu behindern aber sie sprangen alle drei gleichzeitig mit Leichtigkeit darüber.
„Schneller!“, schrie Axii. Er lief am Zaun entlang, halb zu Alicen gedreht und stolpernd.
Alicen kam am Zaun an und lief Axii hinter her.
„Renn“, schrie er zurück.
Alicen holte schnell auf und beide quetschten sich gleichzeitig durch das Loch im Zaun dass sie auch benutzt hatten, um auf das Gelände des Raumhafens zu gelangen. Die Agil-Droiden blieben nur wenige Meter hinter ihnen stehen.
„Ich habe die Polizei verständigt“, sagte einer der Droiden.
Axii und Alicen schnauften, der Ragen prasste auf sie herab und der Wind zerrte an ihren durchnässten Sachen. Die Droiden waren nicht darauf programmiert, das Gelände zu verlassen aber die Polizei hatten sie bestimmt informiert, also blieb ihnen nicht allzu viel Zeit.
„Komm“, sagte Alicen, „weg hier!“

Sie saßen eine halbe Stunde später an der Haltestelle in der Nähe von Axiis Haus.
„Es ist gleich 23 Uhr“, sagte Alicen. „Ich muss langsam.“
„Bist du morgen wieder bei den Wandläufern?“
„Ja.“

Sie berührten sich mit den Fingern und Alicen ging davon. Es regnete immer noch.  

Freitag, 5. September 2014

The Elder Scrolls 4 ever ^^



Nichts dafür können wie etwas ist


Dusonstadt – Sektor 38 – Juni 855

Das Pommes-Restaurant hatte erst letztes Jahr geöffnet. Niemand hätte gedacht, dass Kartoffel in Streifen geschnitten und frittiert, so gut schmecken könnten. Mittlerweile gab es sie nicht nur mit Salz, sondern auch mit Pfeffer, Chilli und anderen Gewürzen.
Die meisten Besucher waren Schüler aus der nahen Schule zwei Straßen weiter oder Studenten und Dozenten von der Universität im Sektor.
Mitten im Juni regnete es draußen noch sehr oft. Die Leute kamen mit dicken Regenjacken und Regenschirmen. Eigentlich waren an diesem Tag nicht so viele da wie sonst. Ein ruhiges Arbeiten für die Besatzung der Küche und für uns Tischpersonal. Normalerweise gab es zwischen den Tischen kaum Platz um einen ganzen Tag unbeschadet hindurch zu kommen – ein Tablet in einer Hand balancierend.
Der Afrikaner kam fast jeden Tag und bestellte jedes Mal das gleiche. Pommes mit Chilli und eine Limo Exotic. Er schien nicht zu den Studenten zu gehören und seiner einfachen Kleidung nach zu urteilen war er auch kein Dozent. Er kam einem vor, wie jemand der sein Geld Nachts verdiente, wenn keiner zusah. Und mehr kann man nicht über ihn sagen, denn er redete nie, abgesehen bei seiner Bestellung.
Eine Frau mit ihrem Freund saßen nah am Eingang. Er hörte ihr aufmerksam zu, doch seine Augenlieder würden nicht mehr lange durch halten. Leider sah es ganz so aus, als hatte sie noch eine Menge zu erzählen. Beim letzten Mal hatte er am gleichen Tisch alleine gesäßen und wirkte eher neben der Spur aber war hellwach.
An der Theke saßen zwei Jungen mit gefestigten Frisuren, die so steif waren, dass man meinen würde, man könnte sie einfach abbrechen. Sie erzählten sich gegenseitig von ihren Freundinnen, von denen jeder bereits ein halbes Dutzend gehabt hatte oder immer noch hat oder so etwas in der Art. Und wenn man ihnen eine Weile zuhörte, stellte sich einem die Frage, ob ihre Gehirne nicht vielleicht auch gefestigt waren und im Gegensatz zu ihren Haaren zu Bruch gegangen waren.
„Ich bin mal mit der Train bis nach Paris, durch die Outlands.“ (Keine Train fuhr weiter, als bis zu den Outlands) „Das sind fast 4000 Kilometer gewesen – weißt du noch, wo ich so lange krank war? Weißt du noch?“ Der andere nickte. „Da war ich gar nicht krank. Da war ich mit der nach Paris von Bahnhof Bremen nach Osten.“ Und der andere: „Ich war da auch fast aber der Train ist abgeschmiert, wir mussten zurück – hab ich dir mal erzählt.“ Und wieder der andere: „Ja aber 4000 Kilometer?“ Der andere nickte. „Klar – ja, fast – aber der Train ist ja abgeschmiert.“
Die anderen Gäste hörten sie selbstverständlich nicht, obwohl sie sich laut unterhielten - hatten andere Sachen zu tun – Pommes essen oder Zeitung gucken oder Kommunikator. Also - man spürte wie peinlich es jedem von ihnen war und hin und wieder schnappte man einen ihrer auflammenden Gedanken auf: „Halt doch deinen dummen Mund – beide!“
Dann kam an diesem Tag eine Familie in das Restaurant, die man hier bisher noch nie gesehen, bzw. noch nie bemerkt hatte. Zwei männliche Europäer, mit Vorfahren, vielleicht weiter aus dem Norden, zusammen mit ihren sehr asiatischen Kindern. Das Mädchen und der Junge mussten Zwillinge sein, sie glichen sich, bis auf die unterschiedlich langen Haare, wie ein Ei dem anderen.
Die beiden Männer umarmten das eine und das andere Kind und gaben ihnen einen Kuss auf den Kopf. Sie flüsterten aber man konnte sie gut verstehen, weil keine Musik lief und alle mit ihren Pommes beschäftigt waren – auch die beiden Jungen an der Theke, die nun Pommes in ihre Münder stopften.
„Wir sind in einer Drei-Viertel-Stunde zurück“, sagte der eine Europäer.
Der andere winkte dem Mädchen noch einmal kurz zu, dann gingen sie zum Ausgang – Hand in Hand. Einige hoben die Köpfe, Blicke folgten zu den beiden asiatischen Kindern und das war es. Draußen küssten sich die beiden Männer und trennten sich. Der eine ging nach Rechts und der andere nach Links.
Das Mädchen und der Junge bekamen ihre Tüten mit Pommes.
„Was hast du drauf?“, fragte das Mädchen leise.
Der Junge gab ihr eine Pommes aus seiner Tüte.
„Basilikum?“
Der Junge nickte.
„Hast du das gesehen?“, zischte einer der Jungen von der Theke.
„Was?“
„Die beiden waren schwul.“
Er drehte sich herum, damit er die beiden Geschwister sehen konnte.
„Das sind die Blagen von denen.“
Der andere drehte sich auch um.
„Waren das eure Eltern?“, fragten sie.
Der asiatische Junge schaute auf den Tisch und tat so, als hätte er die beiden nicht gehört aber seine Schwester nickte.
„Ihr habt schwule Eltern? Das ist ja zum kotzen.“
„Zwei Männer – bah! Wie haben die das gemacht?“
Der andere lachte.
„Was meinst du?“
„Ja, sind das Arschkinder oder wie.“
Beide wiecherten los.
„Die haben sich vor der Tür geleckt – ekelig!“
Das Mädchen fing an zu weinen.
„Könnt ihr damit aufhören?“, sagte der Junge. Er konnte die beiden nicht ansehen. Beide aßen nicht mehr. Ihre Tüten waren noch voll.
„Nein, du Schwulenkind!“
Plötzlich stand der Afrikaner hinter den beiden. Man hatte ihn gar nicht aufstehen bemerkt. Er packte den einen an seiner linken Schulter und den anderen an seiner rechten. Er neigte sein Gesicht zwischen die der beiden Jungen.
„Was soll das?“
Er sprach leise.
„Was meinen sie?“
Die beiden schauten ziemlich erschrocken drein, sie hatten den großen Mann nicht kommen sehen. Er versperrte ihnen die Sicht auf die beiden asiatischen Kinder.
„Warum belästigt ihr die beiden?“
Die Jungen zuckten mit den Schultern. Einer von ihnen fand seinen Mut wieder und wand sich aus dem Griff des Mannes – und der andere seine Stimme: „Die haben zwei Väter, das ist vollkommen abartig.“
„Das ist nicht das Problem. Ich habe euch gefragt, warum ihr die beiden dort belästigt. Ihre Eltern tun gerade nichts zur Sache.“
Wieder zuckten die beiden mit den Schultern. Sie hatten wahrscheinlich wirklich keine Ahnung.
„Was ihr hier tut ist in der Stadt strafbar und ich werde die Polizei verständigen, wenn ihr nicht aufhört. Das Leben anderer ist nicht eure Angelegenheit, egal, was ihr darüber denkt.“
Dann drehte er sich wieder um und ging zurück zu seinem Tisch. Er nahm seinen Kommunikator vom Tisch und wählte.
„Klar, zwei schwule Säcke mit Blagen. Ich würd mich aufhängen, wenn ich die wäre“, sagte einer von den Jungen.
Die Frau am Eingang sprang auf.
„Geht raus!“
Und der Afrikaner meldete eine Straftat.
„Sofort!“
Die beiden Jungen standen auf, nahmen ihe Tüten in die Hand, ihr Jacken und gingen langsam aus dem Laden.
„Sie brauchen die Polizei nicht anrufen“, sagte einer noch.
Die Frau am Eingang schob ihn hinaus.

Der Afrikaner setzte sich zu den beiden asiatischen Kindern.
„Lasst euch von denen nicht den Tag vermiesen. Die hatten genau so viel Verstand wie die Pommes, die sie gegesen hatten – mit Salz.“ Er schnaubte.
„Das passiert uns in der Schule dauernd“, sagte das Mädchen.
Der schwarze Mann schüttelte den Kopf.
„Macht euch nichts daraus. Wenn sich die Menschen in dieser Welt zwischen den beiden Trotteln und euch entscheiden müssten, dann würden sich die meisten auf eure Seite stellen.“
Die beiden Kinder sagten „Danke“.
„Das würden sie wirklich.“

Montag, 1. September 2014

Cornarea - Rana die mit Tieren spricht (1)


Rana und En-Bonbon kletterten auf einen der gelblichen Felsen, die überall in der Steppe wie verstreut lagen. Rana hatte ihre Tasche von der Schulter hängen. Sie war schon zur Hälfte mit den Totenkäfern gefüllt. En-Bonbon hatte einen Rucksack auf dem Rücken. Er hatte noch keinen einzigen Käfer gesammelt aber heute sammelte nur Rana, damit sie es gut lernte. En-Bonbon konnte es bereits sehr gut und das konnte man daran erkennen, dass viele der blaßgrünen Käfer unter seiner Haut hindurch schienen. Er hatte mindestens 10 Stück auf dem Rücken und 3 auf seinem rechten Arm.
Die Totenkäfer waren sehr merkwürdige Tiere. Sie bewegten sich nämlich nicht und sahen aus, wie ganz kleine Blätter die in der Sonne getrocknet waren. Sie vermehrten sich wie Pollen einer Pflanze, nämlich durch den Wind. Um Nachkommen zu zeugen brauchten sie einen immer-warmen Platz und dafür eignete sich die Haut eines Tieres oder eines Menschen. Dafür klebten sie sich auf der Haut fest und blieben dort solange, bis ihre Kinder, die auf der Oberfläche der Mutter heranwuchsen, einfach vom Wind davon geweht wurden. Das Muttertier blieb jedoch, gefangen durch die extrem klebrige Substanz, die sie abgesondert hatte, um auf der Haut kleben zu bleiben, für immer bei ihrem Wirt. Das Besondere aber war, dass die Totenkäfer anscheinend unsterblich waren, denn obwohl sie sich ihr Leben lang nicht rührten -auch nicht, um zu fressen- leuchteten sie in der Nacht mit einem grünen Schimmer und das taten sie Nacht für Nacht, solange, bis der Wirt selbst gestorben war aber selbst dann leuchteten sie jede Nacht weiter. Und bei Ausgrabungen entdeckte man bei Skeletten Totenkäfer die seit Jahrhunderten vergraben gewesen sein mussten, die aber trotzdem noch ihr Schimmern abgaben sobald die Sonne ganz untergegangen war.
Rana nahm das Einmachglas aus ihrer Tasche. Sie machte es auf und steckte ihre Hand in das Wasser darin. Mit der nassen Hand konnte sie jetzt die Totenkäfer einsammeln ohne dass sie an ihren Fingern kleben blieben. Sie musste trotzdem schnell sein, weil das Wasser bei der Hitze im Nu verdampfte – sie hatte nur Sekunden, um den Käfer in ihre Tasche zu werfen und immer wieder musste sie ihre Hand nass machen. En-Bonbon schaute ihr dabei zu und nickte und sagte immer wieder auf neue: „Jetzt Hand nass machen – Käfer- jetzt in die Tasche und jetzt Hand nass machen – Käfer – in die Tasche und....“
Totenkäfer waren nicht besonders zahlreich, man fand höchstens ein halbes Dutzend auf jedem der gelblichen Steine und sie waren so wertvoll, dass man am besten keinen einzigen vergeuden sollte. Rana warf den letzten Käfer in ihre Tasche und freute sich, weil sie alle sicher geschnappt hatte.
„Hast du gut gemacht“, sagte En-Bonbon.
Er ging zum nächsten Stein und Rana sprang zurück auf den Boden, um ihm zu folgen.
„Guck mal“, sagte sie, „da ist eine Schrecke.“
Das große Tier im hohen Gras sah aus wie ein toter, umgestürzter Baum, der von seinen Ästen über dem Boden getragen wurde.
„Gut“, sagte En-Bonbon. „Was macht er gerade?“
Rana beobachtete die Schrecke eine Weile.
„Ich glaube, er sucht Schleicher“, sagte Rana.
En-Bonbon nickte zufrieden.
„Du verstehst die Tiere schon ganz gut.“
Rana kletterte auf den nächsten Stein. Und auch dieses Mal sammelte sie die Totenkäfer ein, ohne auch nur einen zu vergeuden. En-Bonbon zog ihr zweimal leicht an ihren Haaren – er lächelte. Rana wusste, dass er Stolz auf sie war.

Beim Marker-Stein übergab er das Mädchen wieder ihren Eltern, die auf sie gewartet haben. Er erzählte ihnen in seiner Sprache, das Rana so viele Käfer gesammelt hatte, dass er seinen Stamm für eine Woche damit versorgen konnte.
Die Sonne ging unter, als sie sich von En-Bonbon verabschiedeten, in das Geländefahrzeug stiegen und zurück zum Lager fuhren. Rana hatte viel zu erzählen, soviel, dass der Weg bis zum Lager nicht ausreichte, um alles gesagt zu haben. Und später beim Abendessen schlief sie ein.

Sie träumte von Tu-Tut, ihrem Freund aus dem Grasland. Sie saß auf seinem Rücken und er trug sie durch den Sumpf auf die andere Seite, wo die Berge waren, wo die Sonne in einem Tal zu Lava schmolz, um am nächsten Tag wieder als Kugel aufzusteigen.


Rana kniete sich hin und pinkelte in ein Loch das sie vorher gegraben hatte. Der Schleicher beobachtete sie überrascht. Er selbst hatte gerade das selbe getan. Mit seiner langen Zunge leckte er sich sein Gesicht ab, um zu überprüfen, ob der Geruch des Mädchens auf seinem klebrigen Fell zurückgeblieben war. Er konnte nichts schmecken.
Rana stand langsam auf, blieb aber in einer gebückten Haltung, um das Tier nicht zu erschrecken. Schleicher liefen sofort davon, wenn sie jemanden entdeckten, der größer war als sie. Sie kam einpaar Schritte näher. Das Tier leckte sich wieder sein Gesicht ab und wusste jetzt, dass Rana ein Mensch war, dass sie ein Kind war und dass sie gerade mit einem Gnak gespielt haben muss und dieser Gnak hatte sie nicht gegessen.
Rana sagte „Hallo“.
Der Schleicher leckte sich ein weiteres Mal durchs Gesicht, setzte sich dann hin und streckte seine großen Hände von sich. Für seine verkümmerten Augen saß nun ein kleiner Schatten direkt vor ihm. Er konnte nicht viel mehr sehen aber dafür sah er, dass was er sehen konnte extrem gut.
Rana streichelte seine Hand die vom ständigen Graben in der Erde ganz schwarz war. Diese Hände waren so groß, dass Rana darauf soviel Platz gehabt hätte wie in einem Fahrzeugsitz. Sie streichelte die dicken Kissen auf der Handfläche des Tieres und seine drei langen Finger. Und der Schleicher grummelte zufrieden – er leckte ihr durchs Gesicht.
„Wo sind deine Freunde?“, fragte Rana.
„Yooh, jau!“, sagte der Schleicher.
Rana lächelte.
„Ich bin hier.“
„Yooooh!“
Der Schleicher stand auf, seine großen Hände ballte er hierfür zusammen, sein dicker langer Schwanz diente als Hinterläufer. Er schleckte Rana über den Rücken und den Nacken und Rana kiecherte, weil das kitzelte, dann biss der Schleicher vorsichtig in ihren Nacken und hielt sie fest.
„Ah“, machte Rana und legte sich sofort flach auf den Boden. Der Schleicher ließ wieder los und setzte sich wieder hin, die Hände von sich gestreckt. Rana setzte sich auch wieder auf und streichelte wieder seine großen Hände.
„Ich bin Rana.“
„Yo.“

Ranas Vater kam auf dem Weg vom Lager zu ihr. Er hielt Abstand.
„Wer ist das?“, fragte er.
Rana stand auf – sie musste sich jetzt nicht mehr klein machen. Sie rannte zu ihrem Vater während der Schleicher sie mit einem letzten „Yo“ verabschiedete.
„Das ist Jo-Jo“, sagte Rana. „Er ist schon alt und hat sein Rudel verlassen.“
Der Vater lachte.
„Komm, du musst dich waschen und dann zur Schule gehen.“
„Mit Mama?“
Der Vater nickte.
„Morgen hast du wieder mit mir Schule.“
Sie gingen über den Weg.