Sonntag, 25. Mai 2014

833 Axii (der Russe)


JANUAR 833

Axii (12) wartete auf Alicen (15). Er schaute hin und wieder die Straße runter, ob er kam. Wie immer ließ er sich Zeit. Er kramte die Schachtel Zigaretten aus seiner Tasche, die er auf dem Schrottplatz vor einer Woche gefunden hatte. „Parlament“, stand auf der Schachtel. Axii hatte sie noch nie gesehen. Er zündete sich eine an. Das Feuerzeug hatte kaum noch Flame. Er schüttelte es.
Alicen kam die Straße entlang zu ihm hoch. Im Wald bewegtwn sich drei Riesenhirsche durch die Schatten. Sie stampften durch das Unterholz und verschwanden hinter einer zugewachsenen Ruine.
„Hey, Axii“, sagte Alicen.
Axii stand auf und streckte seinem Freund die Hand aus. Sie berührten sich mit den Fingerspitzen und machten sich auf dem Weg. Entlang am Wald verlief ein Schotterweg und endete irgendwann bei einem Spielplatz in der Nähe des Feuerwehr-Landeplatzes. Dorhin gingen sie.
„Hast du eine für mich?“, fragte Alicen. Axii gab ihm die Schachtel, die er immer noch in der Hand hatte.
„Seit wann rauchst du?“, fragte Axii.
„Seit keine Ahnung wann – machen wir heute wieder Fotos?“
Axii zuckte mit den Schultern.
„Alles klar“, sagte Alicen. Er ließ seinen Rucksack von der Schulter hängen, machte den Reisverschluss auf und holte seine Kamera heraus. „Ich wollte noch einige Fotos mit der Knarre machen, hast du Lust?“
„Okay“, sagte Axii.
Alicen machte die Kamera an und begann zu filmen. Erst den Wald, den Himmel und dann Axii, der erst nichts davon merkte.
„Du hast dir deine Haare selbst geschnitten“, sagte Alicen.
Axii grinste.
„Hab ich nicht und hör auf mich aufzunehmen!“
Der Schotterweg hörte auf. Sie standen auf dem Spielplatz.
„Axii? Komm schon – du hast dir deine Haare selbst abgesäbelt.“
Axii seufzte.
„Was machen wir heute?“, fragte er.
„Du nimmst die Knarre und tust so, als wolltest du dir in den Kopf schießen.“
Axii verdrehte die Augen. Er ging zu einer Sitzbank am Waldrand. Da stand ein Mülleimer der nie geleert wurde. Dort hatten sie die Knarre versteckt. Er nahm sie raus.
„Yeah!“, rief Alicen.
Axii hielt sich die Waffe an den Kopf. Alicen drückte den Auslöser halb herunter. Wind kam auf und Axiis langes Haar kam in Bewegung, als Alicen abdrückte.
„Zack!“, rief er. „Leg dich mal auf den Rasen!“
Axii ließ sich ins hohe Gras fallen. Alicen stand über ihm.
„Halt die Knarre an deinen Kopf!“
Axii drückte die Mündung gegen seine Stirn. Alicen drückte den Auslöser.
„Mist, genial, das sieht echt psycho aus!“
Axii streckte ihm die Zunge entgegen und er drückte wieder ab. Dann stampfte Alicen mit seinem Fuß Axii leicht auf den Bauch. Er krümmte sich erschrocken und setzte sich auf. Alicen lachte, Axii auch.
„Komm mit“, sagte Alicen plötzlich. Er rannte zur Rutsche auf dem Spielplatz. „Leg dich mal ganz verkrüpelt hier hin!“
„Wie?!“
„Na, so, als wärst du da runtergestürzt – wart ma, gib mir mal die Knarre, ich lege sie in deine Nähe und- ….“
„He!“
Ein Polizist kam über den Landeplatz auf sie zu.
„Was für einen verdammten Mist macht ihr da?“
Die beiden rannten los.
„Wartet doch!“
Axii sprang über einen niedrigen Busch und rannte zwischen den Bäumen tiefer in den Wald hinein.Irgendwo in der Nähe hörte er seinen Freund schnaufen.
„Bist du da?“, schrie er ohne stehen zu bleiben.
„Renn weiter“, kam es von Alicen zurück.
Axii stolperte und stürzte. Alicen fiel fast über ihn drüber. Er zog ihn stattdessen wieder auf die Beine.
„Weiter, weiter!“
Axii rannte.
Die beiden kamen an einer Schienen-Straße zum Stehen. Axii ließ sich auf die Knie fallen und keuchte.
„Wenn-“, fing Alicen an, musste aber auch erst mal Luft holen. „Wenn der Capymann uns mit der Knarre erwischt hätte, wäre ich dran.“
„Glaubst du, er hat Fotos von uns gemacht?“, fragte Axii.
Alicen setzte sich auf den Boden.
„Mist,erzähl nicht so einen Dreck!“
„Aber vielleicht hatte er eine Kamera in seiner Brille gehabt.“
Alicen boxte Axii in die Schulter.
„Au!“
„Gib mir das Ding“, sagte er. Axii warf ihm die Waffe vor die Füße.
Er hob sie auf, betrachtete sie noch einmal und warf sie dann in den Wald hinein.
„Dann komme ich ins Gefängnis, du Miststück.“
Axii zuckte mit den Schultern.
„Du Ratte“, murmelte Alicen.
Axii wischte sich die schweißnassen Haare aus dem Gesicht.
„Miststück“, sagte Alicen.
„Hör auf damit“, sagte Axii.
Alicen sah zu seinem Freund auf und fing an zu lachen. Und Axii, ob er nun wollte oder nicht, musste auch lachen.
„Hör zu, die Bilder kommen nicht ins Netz“, sagte Alicen nach einer Weile. „Los, gehen wir zurück ins Viertel.“

Alicen kam mit zwei Pommes-Tellern zurück.
„Die sind mit Gemüse, das ist gesund, Axii.“
Axii nahm ihm einen Teller ab. Sie setzten sich an einen Tisch am Straßenrand.
„Mist, diese Fotos sind verdammt gut. Ich will sie lieber nicht löschen“, sagte Alicen. Er hatte seine Kamera in den Händen und sah sich die Aufnahmen auf dem Display an.
„Der Polizist wir dich schon nicht verfolgen“, sagte Axii.
„Du bist so ein Volldebiler! Klar, wird er versuchen heraus zu finden wer ich bin. Knarren sind verboten. Dafür kommt man in den Knast!“
„Dann wird er nach mir suchen, weil ich die Knarre in der Hand hatte“, entgegnete Axii ruhig.
„Du bist 12, Miststück!“
Axii zuckte mit den Schultern. Alicen warf eine Fritte nach ihm und traff ihn an der Wange.
„Bastard!“
Axii warf eine von seinen Fritten nach Alicen, traff aber nicht.
„Dir kann das egal sein, dir werden sie nichts tun“, zischte Alicen. Er hielt den Zeigefinger an seine Lippen und sprach leiser. Einige der anderen Gäste schauten zu ihnen herüber. „Mit 15 kriege ich eine richtige Strafe!“
„Okay“, sagte Axii.
„Iss deine Pommes und halt den Mund“, sagte Alicen.
Die Sonne ging unter und spiegelte sich in den Wolkenkratzern.


Axii und Alicen bogen in eine Seitenstraße. Auf der anderen Seite kamen sie auf dem Platz der Radioaktivität heraus. In der Mitte stand ein hoher schwarzer Block aus Stein.
„Wo warst du eigentlich in den Winterferien?“, fragte Alicen.
„Wir waren bei meiner Oma im Outland.“
„Die ganzen Ferien?“
Axii nickte.
„Habt ihr Wein-nachten gefeiert?“, fragte Alicen weiter.
Axii nickte.
„Ouuuuuh“, machte Alicen. „Lasst euch ja nicht erwischen.“
„Schon gut“, murmelte Axii. „Es heißt übrigens Weihnachten und nicht Wein-nachten.“
„Warum nicht Wein?“
Axii zuckte mit den Schultern.
„Ich dachte, dass hat was mit Wein zu tun, warum nicht Wein?“
„Weil nicht.“
Sie betraten ein großes Gebäude aus der alten Zeit – die Bibliothek. Die Frau an der Theke grüßte Axii freundlich und Axii lächelte zurück.
„Dein Kätzchen?“, flüsterte Alicen. Axii antwortete nicht.
Beide stiegen die Treppen hinauf in den ersten Stock. Durch eine Glastür gelangten sie in den Musikbereich der Bibliothek. Axii stellte sich an die Wand mit dem Player und nahm die Kopfhörer vom Hacken. Er schaute in die Kameras.
„Hallo Axii, was willst du dir anhören?“, fragte der Computer.
Alicen stellte sich an den Player daneben und setzte seine Kopfhörer auf.
„Atlantic Train“, sagte Axii, „Urban.“
Elektronische Musik schallte durch seinen Kopf. Neben ihm tanzte Alicen ein wenig.
„Atlantic Train – Notre KI.“
Als sie die Bibliothek verließen war es schon dunkel. Sie gingen über den Platz. Alicen zeigte auf eine riesige Werbetafel an einem der Türme die in den Himmel ragten. Sie zeigte kleine Hundebabys die über eine Wiese rannten. Die beiden fingen an sich zu schubsen, dann rannte Axii vor Alicen davon und als dieser ihn schnappte jagte Axii ihm hinterher, weil er nun davon rannte.
Das bunte Licht blendete wie immer. Axii fragte sich, wie die Menschen schlafen konnten,wenn es draußen taghell war. Alicen blieb an einem Laden mit Kameras stehen. Ein Taxi hielt am Straßenrand und eine betrunkene Frau stieg aus. Sie taumelte und fiel hin. Die beiden fingen an zu lachen – die Frau fing an zu fluchen und schimpfte sie aus. Sie rannten in eine Gasse. Über ihnen schwebte ein Werbe-Zeppelin. Alicen sprang in die Luft und versuchte den Zeppelin zu greifen und Axii sprang auf eine Mülltonne, um an eine Rettungsleiter zu kommen. Und während er von der Leiter herunter hing machte Alicen Fotos davon. Der Zeppelin bewegte sich schwerfällig davon.
Sie traffen auf einige Leute aus ihrer Klasse. Sie versuchten eine alte Waschmaschine auseinander zu nehmen. Der eine sprang mit aller Kraft gegen das Ding, der andere schlug mit einem Besen dagegen und ein anderer hielt dieses Fest auf seiner Videokamera fest.
„Sperrstunde!“, schrie ein alter Mann, der zufällig vorbei kam. Sie warfen mit Dosen nach ihm. Axii und Alicen verschwanden schnell wieder.

Es war kurz vor 20 Uhr. Axii verabschiedete sich von Alicen. Sie berührten sich mit den Fingerspitzen – wie beiläufig. Alicen ging davon. Axii klingelte.
„Willkommen zurück, Axii“, grüßte das Tor und ging auf.
Axii ging über den Rasen auf das große Haus zu. Drei große Autos standen vor der Eingangtür. Er blieb stehen und horchte. Langweilige Musik war zu hören und ganz viel Stimmengewirr.
„Fuck you, fuck – fuck you, fuck, fuck...“, summte Axii als er weiter ging und dann im großen Haus verschwand.

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