JANUAR 833
Axii (12) wartete auf
Alicen (15). Er schaute hin und wieder die Straße runter, ob er kam.
Wie immer ließ er sich Zeit. Er kramte die Schachtel Zigaretten aus
seiner Tasche, die er auf dem Schrottplatz vor einer Woche gefunden
hatte. „Parlament“, stand auf der Schachtel. Axii hatte sie noch
nie gesehen. Er zündete sich eine an. Das Feuerzeug hatte kaum noch
Flame. Er schüttelte es.
Alicen kam die Straße
entlang zu ihm hoch. Im Wald bewegtwn sich drei Riesenhirsche durch
die Schatten. Sie stampften durch das Unterholz und verschwanden
hinter einer zugewachsenen Ruine.
„Hey, Axii“, sagte
Alicen.
Axii stand auf und
streckte seinem Freund die Hand aus. Sie berührten sich mit den
Fingerspitzen und machten sich auf dem Weg. Entlang am Wald verlief
ein Schotterweg und endete irgendwann bei einem Spielplatz in der
Nähe des Feuerwehr-Landeplatzes. Dorhin gingen sie.
„Hast du eine für
mich?“, fragte Alicen. Axii gab ihm die Schachtel, die er immer
noch in der Hand hatte.
„Seit wann rauchst
du?“, fragte Axii.
„Seit keine Ahnung
wann – machen wir heute wieder Fotos?“
Axii zuckte mit den
Schultern.
„Alles klar“, sagte
Alicen. Er ließ seinen Rucksack von der Schulter hängen, machte den
Reisverschluss auf und holte seine Kamera heraus. „Ich wollte noch
einige Fotos mit der Knarre machen, hast du Lust?“
„Okay“, sagte Axii.
Alicen machte die Kamera
an und begann zu filmen. Erst den Wald, den Himmel und dann Axii, der
erst nichts davon merkte.
„Du hast dir deine
Haare selbst geschnitten“, sagte Alicen.
Axii grinste.
„Hab ich nicht und hör
auf mich aufzunehmen!“
Der Schotterweg hörte
auf. Sie standen auf dem Spielplatz.
„Axii? Komm schon –
du hast dir deine Haare selbst abgesäbelt.“
Axii seufzte.
„Was machen wir
heute?“, fragte er.
„Du nimmst die Knarre
und tust so, als wolltest du dir in den Kopf schießen.“
Axii verdrehte die Augen.
Er ging zu einer Sitzbank am Waldrand. Da stand ein Mülleimer der
nie geleert wurde. Dort hatten sie die Knarre versteckt. Er nahm sie
raus.
„Yeah!“, rief
Alicen.
Axii hielt sich die Waffe
an den Kopf. Alicen drückte den Auslöser halb herunter. Wind kam
auf und Axiis langes Haar kam in Bewegung, als Alicen abdrückte.
„Zack!“, rief er.
„Leg dich mal auf den Rasen!“
Axii ließ sich ins hohe
Gras fallen. Alicen stand über ihm.
„Halt die Knarre an
deinen Kopf!“
Axii drückte die Mündung
gegen seine Stirn. Alicen drückte den Auslöser.
„Mist, genial, das
sieht echt psycho aus!“
Axii streckte ihm die
Zunge entgegen und er drückte wieder ab. Dann stampfte Alicen mit
seinem Fuß Axii leicht auf den Bauch. Er krümmte sich erschrocken
und setzte sich auf. Alicen lachte, Axii auch.
„Komm mit“, sagte
Alicen plötzlich. Er rannte zur Rutsche auf dem Spielplatz. „Leg
dich mal ganz verkrüpelt hier hin!“
„Wie?!“
„Na, so, als wärst du
da runtergestürzt – wart ma, gib mir mal die Knarre, ich lege sie
in deine Nähe und- ….“
„He!“
Ein Polizist kam über
den Landeplatz auf sie zu.
„Was für einen
verdammten Mist macht ihr da?“
Die beiden rannten los.
„Wartet doch!“
Axii sprang über einen
niedrigen Busch und rannte zwischen den Bäumen tiefer in den Wald
hinein.Irgendwo in der Nähe hörte er seinen Freund schnaufen.
„Bist du da?“,
schrie er ohne stehen zu bleiben.
„Renn weiter“, kam
es von Alicen zurück.
Axii stolperte und
stürzte. Alicen fiel fast über ihn drüber. Er zog ihn stattdessen
wieder auf die Beine.
„Weiter, weiter!“
Axii rannte.
Die beiden kamen an einer
Schienen-Straße zum Stehen. Axii ließ sich auf die Knie fallen und
keuchte.
„Wenn-“, fing Alicen
an, musste aber auch erst mal Luft holen. „Wenn der Capymann uns
mit der Knarre erwischt hätte, wäre ich dran.“
„Glaubst du, er hat
Fotos von uns gemacht?“, fragte Axii.
Alicen setzte sich auf
den Boden.
„Mist,erzähl nicht so
einen Dreck!“
„Aber vielleicht
hatte er eine Kamera in seiner Brille gehabt.“
Alicen boxte Axii in die
Schulter.
„Au!“
„Gib mir das Ding“,
sagte er. Axii warf ihm die Waffe vor die Füße.
Er hob sie auf,
betrachtete sie noch einmal und warf sie dann in den Wald hinein.
„Dann komme ich ins
Gefängnis, du Miststück.“
Axii zuckte mit den
Schultern.
„Du Ratte“, murmelte
Alicen.
Axii wischte sich die
schweißnassen Haare aus dem Gesicht.
„Miststück“, sagte
Alicen.
„Hör auf damit“,
sagte Axii.
Alicen sah zu seinem
Freund auf und fing an zu lachen. Und Axii, ob er nun wollte oder
nicht, musste auch lachen.
„Hör zu, die Bilder
kommen nicht ins Netz“, sagte Alicen nach einer Weile. „Los,
gehen wir zurück ins Viertel.“
Alicen kam mit zwei
Pommes-Tellern zurück.
„Die sind mit Gemüse,
das ist gesund, Axii.“
Axii nahm ihm einen
Teller ab. Sie setzten sich an einen Tisch am Straßenrand.
„Mist, diese Fotos
sind verdammt gut. Ich will sie lieber nicht löschen“, sagte
Alicen. Er hatte seine Kamera in den Händen und sah sich die
Aufnahmen auf dem Display an.
„Der Polizist wir dich
schon nicht verfolgen“, sagte Axii.
„Du bist so ein
Volldebiler! Klar, wird er versuchen heraus zu finden wer ich bin.
Knarren sind verboten. Dafür kommt man in den Knast!“
„Dann wird er nach mir
suchen, weil ich die Knarre in der Hand hatte“, entgegnete Axii
ruhig.
„Du bist 12,
Miststück!“
Axii zuckte mit den
Schultern. Alicen warf eine Fritte nach ihm und traff ihn an der
Wange.
„Bastard!“
Axii warf eine von seinen
Fritten nach Alicen, traff aber nicht.
„Dir kann das egal
sein, dir werden sie nichts tun“, zischte Alicen. Er hielt den
Zeigefinger an seine Lippen und sprach leiser. Einige der anderen
Gäste schauten zu ihnen herüber. „Mit 15 kriege ich eine richtige
Strafe!“
„Okay“, sagte Axii.
„Iss deine Pommes und
halt den Mund“, sagte Alicen.
Die Sonne ging unter und
spiegelte sich in den Wolkenkratzern.
Axii und Alicen bogen in
eine Seitenstraße. Auf der anderen Seite kamen sie auf dem Platz der
Radioaktivität heraus. In der Mitte stand ein hoher schwarzer Block
aus Stein.
„Wo warst du
eigentlich in den Winterferien?“, fragte Alicen.
„Wir waren bei meiner
Oma im Outland.“
„Die ganzen Ferien?“
Axii nickte.
„Habt ihr Wein-nachten
gefeiert?“, fragte Alicen weiter.
Axii nickte.
„Ouuuuuh“, machte
Alicen. „Lasst euch ja nicht erwischen.“
„Schon gut“,
murmelte Axii. „Es heißt übrigens Weihnachten und nicht
Wein-nachten.“
„Warum nicht Wein?“
Axii zuckte mit den
Schultern.
„Ich dachte, dass hat
was mit Wein zu tun, warum nicht Wein?“
„Weil nicht.“
Sie betraten ein großes
Gebäude aus der alten Zeit – die Bibliothek. Die Frau an der Theke
grüßte Axii freundlich und Axii lächelte zurück.
„Dein Kätzchen?“,
flüsterte Alicen. Axii antwortete nicht.
Beide stiegen die Treppen
hinauf in den ersten Stock. Durch eine Glastür gelangten sie in den
Musikbereich der Bibliothek. Axii stellte sich an die Wand mit dem
Player und nahm die Kopfhörer vom Hacken. Er schaute in die Kameras.
„Hallo Axii, was
willst du dir anhören?“, fragte der Computer.
Alicen stellte sich an
den Player daneben und setzte seine Kopfhörer auf.
„Atlantic Train“,
sagte Axii, „Urban.“
Elektronische Musik
schallte durch seinen Kopf. Neben ihm tanzte Alicen ein wenig.
„Atlantic Train –
Notre KI.“
Als sie die Bibliothek
verließen war es schon dunkel. Sie gingen über den Platz. Alicen
zeigte auf eine riesige Werbetafel an einem der Türme die in den
Himmel ragten. Sie zeigte kleine Hundebabys die über eine Wiese
rannten. Die beiden fingen an sich zu schubsen, dann rannte Axii vor
Alicen davon und als dieser ihn schnappte jagte Axii ihm hinterher,
weil er nun davon rannte.
Das bunte Licht blendete
wie immer. Axii fragte sich, wie die Menschen schlafen konnten,wenn
es draußen taghell war. Alicen blieb an einem Laden mit Kameras
stehen. Ein Taxi hielt am Straßenrand und eine betrunkene Frau stieg
aus. Sie taumelte und fiel hin. Die beiden fingen an zu lachen –
die Frau fing an zu fluchen und schimpfte sie aus. Sie rannten in
eine Gasse. Über ihnen schwebte ein Werbe-Zeppelin. Alicen sprang in
die Luft und versuchte den Zeppelin zu greifen und Axii sprang auf
eine Mülltonne, um an eine Rettungsleiter zu kommen. Und während er
von der Leiter herunter hing machte Alicen Fotos davon. Der Zeppelin
bewegte sich schwerfällig davon.
Sie traffen auf einige
Leute aus ihrer Klasse. Sie versuchten eine alte Waschmaschine
auseinander zu nehmen. Der eine sprang mit aller Kraft gegen das
Ding, der andere schlug mit einem Besen dagegen und ein anderer hielt
dieses Fest auf seiner Videokamera fest.
„Sperrstunde!“,
schrie ein alter Mann, der zufällig vorbei kam. Sie warfen mit Dosen
nach ihm. Axii und Alicen verschwanden schnell wieder.
Es war kurz vor 20 Uhr.
Axii verabschiedete sich von Alicen. Sie berührten sich mit den
Fingerspitzen – wie beiläufig. Alicen ging davon. Axii klingelte.
„Willkommen zurück,
Axii“, grüßte das Tor und ging auf.
Axii ging über den Rasen
auf das große Haus zu. Drei große Autos standen vor der Eingangtür.
Er blieb stehen und horchte. Langweilige Musik war zu hören und ganz
viel Stimmengewirr.
„Fuck you, fuck –
fuck you, fuck, fuck...“, summte Axii als er weiter ging und dann
im großen Haus verschwand.
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