Sonntag, 18. Juli 2010

Alles was ich will (1)

So schlimm sehe ich wirklich nicht aus. Vielleicht mache ich mir einfach zu wenig daraus. Jemand hatte mal gesagt, dass ich keine richtige Frisur habe und ob ich schon mal etwas von Make-up gehört hätte. Nicht wegen der Pickel, ich habe gar keine, sondern aus dem einfachen Grund, weil es beinahe schon eine Regel ist, dass man Make-up aufträgt als Mädchen in meinem Alter.

Ach scheiße!“

Ich fluche meistens nur im Flüsterton. Ich habe nie gelernt aus meiner Haut zu fahren und keine Macht der Welt wird mich dazu bringen. Dachte ich.


Das ich extrem verkehrt oder absonderlich bin habe ich kurz nach meinem 14. Geburtstag erfahren müssen. Heute denke ich, dass alle anderen verkehrt und anders sind, aber heute bin ich schon lange nicht mehr 14.

Das Schulfest fand nur zufällig im Frühjahr statt, aber ich möchte gerne bezweifeln, dass sich die Ereignisse nur zufällig in dieser Jahreszeit ereigneten. Die Vorführung der Theatergruppe sollte der Höhepunkt des Festes sein und es durfte niemand fehlen, damit die Aula ordentlich besetzt aussah.

Das Mädchen das die Hauptrolle in dem Stück hatte - ich weiß nicht mehr, worum es in dem Stück ging - war mir schon früher aufgefallen. Eigentlich schon am ersten Tag nachdem ich auf die weiterführende Schule kam. Sie hatte für mich von Anfang an etwas besonderes an sich. Ihre Art, das Verhalten, die Freude und das Selbstbewusstsein, die Sicherheit ihres Auftretens - das alles fehlte mir und ich wäre gerne so wie sie gewesen. Ich beneidete sie.

Verdammt, wie konnte man bloß so sein wie sie? Wie konnte man das?! Warum kann ich es nicht? Manchmal hätte ich sie ohne ersichtlichen Grund treten wollen, nachts träumte ich wach, sie zu zerstören. Aber ich blieb ruhig. Ich explodierte niemals, denn diese Schwäche kannte ich nicht und wollte ich nicht kennen.

Irgendwann klatschten sie. Ich klatschte auch, obgleich ich nichts von der Vorführung mitbekommen hatte. Meine Augen und meine Gedanken galten niemanden anderem als ihr. Ich verstand nicht, was sie sagte aber ihre Stimme ergriff mich und zog mich in einen Bann - wie eine verzauberte Melodie. Der Beifall weckte mich allmählich aber ich blieb sitzen. Sie stand noch hinter dem Bühnenvorhang der soeben zugefallen war und sie umarmten sich und beglückwünschten sich untereinander.

Bei solchen Gedanken spürte ich wie sich bei mir im Bauch die Gedärme zusammen zogen. Sie umarmte andere Menschen, als sei dies das einfachste der Welt. Für mich war es unverständlich. Wie konnte sie so etwas bloß tun?

Was dann in mir passierte ist schwer zu beschreiben, wie jedes Gefühl. Ich wollte nicht, dass sie von anderen umarmt wird. Gleichzeitig wollte ich, dass sie so bleibt wie sie ist, jedoch müsste sie dann von anderen umarmt werden, um so zu bleiben wie sie ist, was ich aber nicht wollte. Was ich wollte, war, dass sie mir gehörte, wenn ich nicht so sein konnte wie sie, dann sollte sie wenigstens mir gehören... Im Großen und Ganzem war es aber nicht das, was ich empfunden habe. Es schien eine schwere Last auf meinem Brustkorb zu liegen und Zorn sammelte sich zu einem Kloß in meinem Hals.

Ich möchte glauben, dass es sich nicht nur um einen Zufall handelte, dass es Frühjahr war und das sie mir auf dem Weg nach Hause hinter der Schule begegnete. Meine Gedanken hätten mich durch Wände rennen lassen und beinahe hätte ich sie über den Haufen getrampelt. Erschrocken starrte ich sie einen Moment lang an, die Aufregung breitete sich wie eine Flüssigkeit aus Nadeln in meinem Körper aus.

'tschuldigung“, rief ich.

Das Adrenalin lies mich schnaufen, als hätte ich einen 2000-Meter-Lauf hinter mir. Es unter Kontrolle zu bekommen, bedeutete kaum Luft zu bekommen.

Du warst in der Vorführung, ich habe dich gesehen von der Bühne aus“, sagte sie plötzlich. Das war etwas viel für mich.

Oh, ich hab dich nicht bemerkt“, sagte ich.

Bevor mir klar wurde, was ich da von mir gegeben hatte, war sie mit einem knappen „Ah“ hinter mir verschwunden. Ich ließ die Schultern hängen. Wahrscheinlich meine einzige Chance ihre Freundin zu werden.

In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich hasste sie auf einmal. Sie hatte mich einfach stehen lassen. Glaubte, sie sei etwas Besseres, dass man sie überall beachtete. Ich konnte froh sein, dass ich nicht so eingebildet war, dass ich meine Freunde nicht stehen ließ, dass ich von niemanden erwartete gesehen zu werden. Ich konnte froh sein, wenn ich irgendetwas sein konnte. Ich hab danach geweint bis ich zu müde dazu war.


Meine Mutter war mein Spiegelbild. Alles was ich nie tun würde, tat sie gerne. Sie benahm sich oft wie ein Kind und mir sagte man nach, ich sei zu erwachsen für mein Alter. Ich bevorzugte „zu ernst für mein Alter“. Sie hatte eigentlich keine Übermasse aber im Vergleich zu mir, war sie einfach fett. Meine Verwandten konnte ich glaube ich nie davon überzeugen, dass ich nicht mager-süchtig bin.

Bei McDonalds wollte sie unbedingt die Junior-Tüte haben, wegen dem Spielzeug. Sogar darum zu streiten war sie bereit. Der Verkäufer bekam schließlich Mitleid - entweder mit ihr oder mit mir, die ich so rot wurde wie der Ketchup auf meinen Pommes.

Es tut mir heute Leid, dass ich sie damals hab alleine sitzen lassen mit all dem Fresskram. Oft habe ich es mir anders gewünscht, aber etwas Geschehenes lies sich nicht mehr ändern - nur wieder gut machen. Ich schenkte ihr einen Kaktus.

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