Donnerstag, 20. Mai 2010

Nur ein Denkmal

Der Friedhof wirkte nicht besonders düster. Die Grabreihen und die Wege dazwischen waren sauber und nach einem Schachbrettmuster angelegt. Obwohl es eine stark bewölkte Nacht war, war es dennoch nicht dunkel. Die Anlage wurde von dem Licht der Straßenlampen erhellt, die entlang der Landstraße standen. Die Landstraße verlief an der kleinen Stadt und direkt am Friedhof vorbei und schlängelte sich später durch eine bergige Landschaft.
Oliver stand vor dem frischen Grab seiner Mutter das über und über mit Blumenkränzen bedeckt war und noch keinen Grabstein hatte. Er stand schon eine ganze Weile dort und dachte nach. Über Dinge, die gar nichts mit ihm oder seiner Mutter zu tun hatten. Er dachte über Luftschiffe nach und Flugzeuge; über eine Welt im Himmel und über den Wolken. Er dachte an Fallschirmspringer und über Abenteurer der Lüfte. Er stellte sich eine Welt vor die keinen Boden hatte und man sich in alle Richtungen bewegen konnte - auch nach oben und unten.
Und egal wie sehr er sich anstrengte, er konnte mit seinen Gedanken nicht bei seiner Mutter bleiben. Er wusste, dass ihr Körper dort unter der Erde in einer Kiste lag und er verspürte kein Gefühl deswegen, dabei konnte er es sich sehr bildlich vorstellen. Für ihn war es nur noch ein Ding, dass mal mit Leben gefüllt war. Jetzt hatte es seine Bedeutung verloren und war nicht mehr, als ein Farbfoto seiner Mutter von denen er sehr viele auf dem Dachboden hatte. Das Grab hatte die Funktion eines Denkmals.
Seine Mutter aber war nicht verschwunden. Sie war bei ihm wenn er es wollte. Im Moment wollte er es nicht, aber das machte nichts. Sie schaute sich eben ihr eigenes Denkmal an danach würden sie beide nach Hause gehen wenn er es wollte. Für seine Mutter spielte nichts mehr eine Rolle. Sie konnte überall sein und überall gleichzeitig - warum sollte sie nicht für ihr Kind da sein, wenn es dies wollte?

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