Donnerstag, 17. Dezember 2009
Mittwoch, 16. Dezember 2009
Objektophilie
Es klopfte an der Türe. Jeden Samstag kam seine Tochter zu Besuch und brachte viel lautes Gerede mit. Sie redete über ihre Arbeit, ihren Mann, ihren Sohn und über sich und sich und ihre Probleme und über noch vieles andere. Wenn sie ging war es still, als hätte jemand einen lauten Staubsauger ausgeschaltet. Dann saß er immer noch am Fenster und sah sein Boot. Der Bug hob und senkte sich. Er hatte nun lange genug zugesehen.
Den Abhang lies er sich hinunter rollen. Die Arme an die Brust gepresst rollte er bis zur Treppe. Er setzte sich auf - dass seine Glieder schmerzten nahm er mit Freude an. Stufe für Stufe bewegte er sich auf seinem Gesäß und nur mit der Hilfe seiner Hände und Arme hinunter. Von hier an zog er sich liegend vorwärts, wie ein Soldat der sich durchs Dickicht heranpirscht. So kam er gut voran - er hatte Beine in den Armen.
Vor dem Boot setzte er sich auf. Es schlug gegen das Holz. Mit beiden Armen hob er sein Bein und lies es von der kleinen Hafenmauer hängen. Das Boot drückte sein Bein gegen die Hafenmauer. Nicht zu feste aber auch nicht zu lasch, freundschaftlich eben. Er streichelte das Holz vom Boot, es war genauso alt wie er selbst.
"Na, meine Gute?"
Es schlug gegen sein lebloses Bein. Er versuchte das Tau zu entknoten, welches das Boot gefangen hielt.
"So ein hübsches Boot sollte frei sein, meine Kleine."
Es gelang ihm. Er hielt es fest.
"Dein Holz ist so schön."
Er lächelte mit Tränen in den Augen. Mit der freien Hand hob er sein Bein nun ins Boot, dann konnte er es los lassen um sein anderes Bein hinein zu werfen. Dann stieß er sich mit einer Hand von der Hafenmauer fort und landete ganz in seinem Boot. Er legte sich flach auf den Boden und streichelte und kraulte das Holz - seine Wange legte er behutsam auf ein Stück Styropor das dort lag und schloss seine Augen.
Sonntag, 13. Dezember 2009
Solare Vergessenheit (1)
Ihm fielen die Augen wieder zu, heftig schüttelte er seinen Kopf und stand mit einem Ruck auf. Der Stuhl kiepte und fiel krachend zu Boden. Jan hielt sich seine Ohren fest. Er konnte seit einiger Zeit keine lauten Sachen ab. Fast schleichend, um keine weiteren unnötigen Geräusche zu verursachen, betrat er das Badezimmer. Er zog sich sein Hemd aus. Im Spiegel über dem Waschbecken blickte ihn ein unrasierter Penner an - er runzelte die Stirn. Seine Augen waren rot unterlaufen und er hatte deutliche Ringe um die Augen.
"Meine Fresse", flüsterte er, "was zum Teufel ist los mit mir?"
Er stieg in seine Duschkabine, das Wasser regnete auf ihn herab.
"Verdammt noch mal!"
Er sprang aus der Kabine, setzte sich wütend auf den Boden und begann sich die nassen Socken und Hosen aus zu ziehen.
"Verdammt noch mal", murmelte er.
Das Telefon klingelte. Er schmieß die Hosen weit von sich -gegen die Wand- lief nackt zum Computer und nahm an.
"Ja?!"
Es war Honda vom Besprechungsraum aus.
"Hör mal, hast du mal... hör mal... warte."
Der alte Mann sah ziemlich fertig aus. Das Haar ungekämmt, an seinem Hemd fehlten Knöpfe und er rieb sich die Augen.
"Was gibts?", fragte er.
Jan musste grinsen.
"Du hast mich angerufen Honda, verdammt."
"Ja - ja, ich weiß... wo bleibst du?"
Hinter Honda tauchte Rebekka auf. Sie wirkte relativ frisch, schien aber auch lieber ins Bett gehen zu wollen.
"Ich komme sofort - hallo, Rebekka."
Sie winkte ihm zu.
"Ich komme gleich, Honda."
Der alte Mann nickte und legte auf.
Jan nahm eine frische Hose aus dem Schrank und zog sich wieder an. Als er sich aufs Bett setzte, um sich die Schuhe anzuziehen, überkam ihn das dringende Bedürfniss sich hin zu legen und einfach weiter zu schlafen. Ächtzend aber erhob er sich wieder und verließ sein Zimmer.
Donnerstag, 10. Dezember 2009
Die Unbedeutung des Lebens für das All
Der Asteroid besaß genug Maße um den dritten Planeten beim Aufprall aus seiner gewohnten Bahn zu werfen und ihn drei Jahre lang, die Bahn des zweiten Planeten kreuzen lassen bevor beide Planeten schließlich zusammen stoßen würden und die Zivilisation auslöschten.
Bedenkt man, dass es gerade zu unendlich viele Planeten gibt im Universum und bedenkt man, dass in derselben Sekunde überall im Universum genau das gleiche oder Ähnliches passierte, so erscheint die kleine Zivilisation auf diesem zweiten Planeten im Barnards Pfeilstern System unbedeutend und wenn würde es kümmern wenn sie weg wäre? Wo doch niemand weiß, dass es sie überhaupt gibt.
Mittwoch, 9. Dezember 2009
Der Drang
Es ist ein guter Tag um ins Kino zu gehen, denkt er, weil ihn der Drang etwas tun zu müssen gepackt hat. Dem kann er nicht widerstehen.
Er kann es nicht mal versuchen, weil eine eigenartige Nervosität seine Macht ergriffen hat. Es gibt nur noch das eine Ziel und zwar „ins Kino gehen“. Er packt ein paar Sachen in seine Tasche, die er immer dabei hat, wenn er in die Stadt fährt. Sachen, die er gar nicht braucht, aber man weiß ja nie. Ein Notizbuch, für den Fall, dass er was aufschreiben muss, den MP3-Player, um sich vielleicht die Zeit im Zug zu vertreiben auch wenn er nach knappen 10 Minuten wieder aussteigen muss, die Kamera, weil er sie immer dabei hat, aber in der Stadt ohnehin niemals Fotos macht, wegen der vielen Leute – er glaubt, man würde ihn für einen Touristen halten oder so was – zumindest denkt er das heute. Er nimmt auch eine Zeitschrift mit, weil er wahrscheinlich im Café warten muss, bevor der Film anfängt – wann es genau losgeht, weiß er so gut wie nie – er will sich nicht mit solchen Nebensächlichkeiten aufhalten – die Hauptsache ist ja, dass er ins Kino will an eben diesem Tag – dass der Tag 24 Stunden hat bedenkt er nicht. Er interessiert sich für viele Naturwissenschaften, dafür aber kaum für den ganzen anderen Kram den man braucht, um in der heutigen Welt zurecht zu kommen. In der Zeitschrift will er sich den Artikel über „nackte Singularitäten“ nochmals durch lesen, weil er solch' komplexen Sachen niemals auf Anhieb versteht – im Grunde versteht er so gut wie nichts auf Anhieb und vielleicht ist er auch müde geworden die wirklich lebenswichtigen Sachen zu verstehen. Bei den Naturwissenschaften ist das anders, die interessieren ihn, auch wenn er auch diese nicht sofort versteht. Wozu sollte man sich mit dem bedeutungslosen Leben auf diesem schönen zwar, aber ebenso bedeutungslosen Planeten, beschäftigen, wenn die Dimensionen des Universums 100 Millionen mal größer sind, wieso sollte man sich auf so was bedeutungsloses beschränken? Solche Gedanken gehen ihm oft durch den Kopf, weil sie heilsam wirken – Entschuldigungen dafür, dass er nicht voran kommt mit seinem bedeutungslosen Leben.
Er zieht sich an. Schuhe, Jacke. Er schaut nach Pickeln oder anderen Unstimmigkeiten im Gesicht und er kämmt sein Haar. Es muss schon irgendwie so aussehen, dass er sich selbst gut aussehend findet, was ansonsten nicht der Fall ist, weil es eh schon zu spät ist zu glauben, dass man eigentlich ganz nett anzusehen ist. Auf den Fotos von früher findet er sich niedlich und süß und hübsch. Als diese Fotos entstanden, fand er sich dürr, schief und einfach ganz hässlich. Heute findet er sich auch dürr, schief und und einfach ganz hässlich, aber wenn er mal ein alter Mann ist, wird er denken, dass er ein hübscher, knackiger Bursche war nur dann wird das Leben schon fast vorbei sein.
Soll er jetzt gehen oder nicht? Der Drang etwas tun zu müssen verpuffte gerade relativ schnell. Er stieg die Treppe herunter...
… die Reise führte ihn einmal um das Dorf in welchem er lebte und dann wieder zurück in das kleine unscheinbare Nest auf dem Dach. Was sollte er schon im Kino?
Dienstag, 8. Dezember 2009
Die erste Erinnerung
Ich habe gehört, dass sich viele daran erinnern wie es war ein einjähriger oder zweijähriger Mensch zu sein. Sie erinnerten sich sogar daran, was sie gemacht haben. Ich frage mich, ob sie es wirklich wissen, oder ob nicht ihr Gedächtnis ihnen etwas vorgaukelt. Ich habe keine Ahnung was passiert ist, als ich noch so klein war. Für mich fängt mein Leben erst mit vier Jahren an und eine Erinnerung sitzt besonders unauslöschbar in meinem Gehirn fest.
Das man seinen Geburtsort kennt, hat damit natürlich nichts zu tun. So etwas bekommt man ja mit der Zeit gesagt. Für mich aber war das nie wichtig und selbst jetzt verstehe ich nicht, warum es wichtig sein sollte. Die Frage ist zwar trotzdem da, aber ich sehne mich nicht gerade nach der Antwort.
Und diese erste Erinnerung -ich nenne sie so, weiß aber nicht, ob es tatsächlich meine erste Erinnerung ist- ist keine gute Erinnerung.
Ich schrieb meinen Namen auf ein Stück kariertes Papier. Ich schrieb: „Jan Lucca“. Ich verstand nicht, warum ich zweimal das „c“ schreiben musste, wenn doch ein „k“ gesprochen wurde und ich fand es ziemlich kompliziert, weil es doch viel einfacher sein könnte. Ich schrieb in Großbuchstaben obwohl ich auch die kleinen Buchstaben kannte, aber auch das gehört zu den komplizierten Sachen die ich nicht verstand. Ich hatte meinen Namen geschrieben und war ziemlich stolz darauf, da ich selbst nicht daran geglaubt habe, dass ich es kann, als er durch die türlose Tür in den Raum trat. Ich mochte ihn schon damals nicht, wenn er hinter mir stand. Es war, als würde ein Riese hinter mir stehen, mit dem Gedanken spielend mich zu zerquetschen. Ich drehte mich nicht um. Er lobte mich dafür, dass ich meinen Namen geschrieben habe und sagte noch andere „nette“ Sachen mit der Stimme einer schnurrenden Katze – einer nackten, fetten Katze – einer Höllengeburt. Er umarmte mich von hinten. Er legte seine Hand auf meinen Bauch und dann unter mein Hemd und „streichelte“ mich...
Das ist meine erste Erinnerung und ich finde, eine passende für den Verlauf vom Rest dieses Lebens.
Montag, 7. Dezember 2009
Sonntag, 6. Dezember 2009
Das Wippen der Bäume
Ich war im Wald. Kein Park. Ein Stückchen Wald inmitten der Felder. Ein kleiner Berg, der sich von einer Seite mit Bäumen schmückt. Wild wachsende Gegend – ein Stückchen echter Natur. Nur eine einsame Kapelle auf diesem kleinen Berg zeugt von Menschenhand und die asphaltierte Straße die hinauf auf die Spitze führt. Der Wald ist belassen wie er auch schon vor Urzeiten war... nun, ich muss zugeben, einige Futterkrippen für die Rehe sind überall am Waldrand platziert. Aber wenn man tiefer reingeht, wechselt man die Welten. Ich begebe mich durch ein unsichtbares Tor in eine andere Welt. …
Hier wippen die kahlen Baumkronen noch im Rhythmus des Lebens – es ist Winter aber nicht kalt. Vor – und zurück. Vor – und zurück. So gelassen, als hätten sie alle Zeit der Welt und im Grunde haben sie sie auch. Vor – ich wippe fast mit, nicht weil ich es will, weil es einfach mit mir geschieht – und zurück. Und wieder vor – und die Zeit vergeht wie verlangsamt – und wieder zurück. Und vor – es vergehen unglaubliche Zeitspannen, ich kann in meiner Bewegung über viele Sachen nachdenken – und zurück. …
Dann fangen sie an zu mir zu sprechen. Sie sprechen durch den Wind und durch ihr Knarren genauso wie durch ihre Gestik. Sie sprechen die ganze Zeit, schweigen nie, denn sie haben eine Millionen Jahre lange Geschichte zu erzählen, weiter gegeben durch den Boden auf welchem sie leben, durch die Luft in der sie sich ihr Leben lang vor – und zurück bewegen und durch das Wasser durch welches ihr Erlebtes von Ort zu Ort getragen wird. …
Ich stehe eine ganze Weile in ihrem Bann. Wippe im Rhythmus des Lebens vor – und zurück und werde nach und nach zum Teil vom Ganzen. Ich spüre den Wind der tausende Kilometer zurückgelegt hatte und sanft an mir zehrt, mir vielleicht von Orten flüstert, an denen er vor kurzem noch war – von dem Flügelschlag eines Adlers, von Stimmen in einer fremden Sprache. Die Tropfen, deren Reise an meinen Kleidern und dem Waldboden nicht endet, schreiben mit jedem Aufprall den Teil einer unendlichen Geschichte. Unter meinen Füßen spüre ich den gesamten Planeten – seine Bewegung, seine ungeheure Masse und seinen Geist. …
Ich glaube, in diesem Zustand könnte ich selbst zu einem Baum werden und wenn ich mich nur öfters in den Bann der Bäume begeben würde, würde ich meinen Planeten verstehen lernen.