Cara und
Vierundzwanzig-Null-Eins saßen auf dem Stuhl vor dem Fenster. Es
stand weit geöffnet.
Der Vollmond sah heute
Nacht aus wie mit Kakao übergossen. Hinter dem Landeplatz bewegte
sich der Wald auf sie zu aber er kam niemals an. Während er einen
Schritt auf sie zumachte, machte er einen Schritt von ihnen weg und
immer wieder wiederholte es sich und so wippte er hin und her, hin
und her. Und vierundzwanzig-Null-Eins wurde nervös, es langweilte
ihn, er fühlte sich eingesperrt und das nicht nur in einem Zimmer.
Cara wippte mit den Bäumen, um ihr klopfendes Herz zu beruhigen –
was würde Zehn-Städte jetzt tun?
Das Mädchen stand
plötzlich auf, die kühle Luft weckte sie mit einem Mal. Zehn-Städte
kam nicht. Vierundzwanzig-Null-Eins entfuhr ein langer Schrei, wie
der einer Eule. Er lachte, als er den Hall hörte und das Gefühl das
man hat, wenn man laut schreit.
„Ich will raus, Cara,
ich will raus, ich will raus, ich will raus, ja?“
Cara schüttelte den
Kopf.
„Nein.“
Vierundzwanzig-Null-Eins
verlor sein Lächeln. Seine Miene verfinsterte sich. Er fing an
schnell und übertrieben zu atmen an.
„Hör auf“, zischte
Cara ausser Puste.
Er wirbelte herum und
sprang vom Stuhl weg.
„Ich will raus, Cara,
Cara, ich will raus, raus und du fick dich!“
Cara setzte sich auf den
Stuhl. Sie hatte Tränen in ihren Augen.
„Das sollst du nicht
sagen“, weinte sie.
Vierundzwanzig-Null-Eins
sprang vom Stuhl auf und kletterte auf die Fensterbank. Er blutete
wieder aus den Augen. Das Blut lief heiß über sein Gesicht.
„Ich will raus, Cara.“
Cara lies sich vorsichtig
vom Fenstersims zu Boden fallen. Jetzt war sie schon im Garten.
Vielleicht, wenn sie nur kurz mit ihm weg gehen würde, nur für
kurz, dann würde es niemand merken und dann würde sie wieder zurück
sein und er wäre abgekühlt.
„Cara, ich hasse
Menschen, lass uns ein Tier töten, lass uns... ein Tier töten!“
Cara legte ihren Finger
auf die Lippen.
„Du musst leise sein.“
Er nickte aufgeregt. Er
nahm sie am Handgelenk und zog sie auf die Rollbahn. Sie lief zum
Hangar und verschwand dahinter. Dort war ein Loch im Zaun.
„Ich will eine Katze
töten, Cara.“
„Ja.“
Sie folgte eilig einem
sandigen Weg in Richtung Stadt.
Als die ersten
Straßenlaternen auftauchten verschwand sie zwischen den Büschen.
Hier hatte sie einmal oft gespielt, deshalb gab es jetzt einen Tunnel
durch das Buschwerk bis zum Nachbarn. Dort lebte eine Katze. Kitkat.
Und sie aß gerne Kitkat.
„Miau“, sagte sie.
Sie kannte nur dieses eine Wort. Aber Vierundzwanzig-Null-Eins hatte
sie schon vor langer Zeit durchschaut. Sie spionierte manchmal im
Garten seiner Eltern oder lief provokant über die Landebahn, wenn
gerade jemand um Starterlaubnis bat.
„Ich schneide ihr den
Schwanz ab, Cara, Cara lass mich den Schwanz abschneiden, ich will...
ihr den Schwanz abschneiden.“
Cara nickte und schlich
näher heran. Kitkat blickte kurz in ihre Richtung dann spazierte sie
einfach weiter. Cara hatte eine Idee.
„Komm“, rief sie,
„komm her.“
Kitkat musterte sie noch
einmal kurz, hatte aber kein Interesse zu kommen und
Vierundzwanzig-Null-Eins wurde ungeduldig.
„Dreckiges Stück!“
Kitkat zuckte zusammen.
Vorwurfsvoll blickte sie Cara an.
„Miau?“
„Komm zu mir, Kitkat –
hör auf Vierundzwanzig-Null-Eins!“
Das Licht im Haus des
Nachbarn ging an und sogleich wurde auch die Gartentür geöffnet.
Der große Mann, der Nachbar stand im Eingang.
„Cara?“, fragte er
verblüfft.
Vierundzwanzig-Null-Eins
sprang ihn an.
„Hit!“
Seine Krallen gruben tief
in seine Wange, wie mit einer Tigerpranke zog er mit seiner Hand
durch das Gesicht des großen Mannes. Und noch bevor dieser überhaupt
ein Ton von sich geben konnte, hatte er ihm auch schon seine andere
Wange zerkratzt. Und beinahe im selben Moment landete er zurück auf
den Boden und Cara sah das Blut in dem freundlichen Gesicht und
erinnerte sich daran, dass der Nachbar beim letzten Grillfest am
Flugplatz gewesen war und dann rannte sie so schnell sie konnte.
Die Blätter und Äste
peitschten ihr durchs Gesicht. Vierundzwanzig-Null-Eins heulte laut
wie ein Werwoölf aber sie konnte ihn nicht mehr sehen. Sie hörte
noch das Stöhnen des Nachbarn und sah wie er seine Hand hob um sich
im Gesicht anzufassen in ihrem Kopf. Sie fing an zu weinen – laut
und irre weil sie keine Ahnung hatte was sie tun sollte. Sie traute
sich nicht einmal zurück nach Hause. Sie rannte so lange, bis sie
den Wald erreicht hatte.
„Cara?“
Cara rannte auf den
Jungen im Arztkittel zu und umarmte ihn. Eigentlich fiel sie in ihn
hinein oder ließ sich einfach fallen und er fing sie auf. Und sie
weinte weiter.
„Zehn-Städte“,
schluchzte sie. „Vierundzwanzig-Null-Eins – er- … er hat den
großen Mann angegriffen und hat ihn mit seinen Krallen verletzt.“
Zehn-Städte streichelte
ihr Gesicht.
„Ist schon gut. Hör
auf zu weinen, ich kann dir helfen, dass weißt du doch.“
Zehn-Städte nahm ihre
Hand.
„Zuerst gehen wir nach
Hause“, sagte er. „Dann wecken wir meine Eltern und erzählen
ihnen was beim Nachbarn passiert ist – nicht mehr und nicht
weniger.“
Cara schüttelte den Kopf
und machte einen Schritt von Zehn-Städte weg.
„Nein, sie werden
denken, dass ich wieder krank bin.“
Der Junge im Arztkittel
blieb ruhig und schüttelte den Kopf.
„Warte, Cara.
Erinnerst du dich, was der Arzt gesagt hatte? Dr. Johannson?“
Cara zuckte mit den
Schultern, aber es fiel ihr langsam wieder ein.
„Es kann Rückschläge
geben, deshalb auch diese Medikamente. Im Großen und Ganzem aber,
wird Cara ein relativ normales Leben führen können. Erinnerst du
dich?“
Zehn-Städte reichte ihr
seine Hand und umschloss ihre. Zusammen gingen sie zurück zum
Landeplatz und kletterten durch das Fenster zurück in Caras Zimmer.
Vierundzwanzig-Null-Eins war nicht da.
„Bist du bereit?“,
fragte Zehn-Städte.
Cara nickte. Sie ging in
den Flur und klopfte an die Zimmertüren ihrer Eltern.
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