Sonntag, 1. August 2010

Ich und Ich

Ich habe mich von außen gesehen. Es war schlimm und zugleich faszinierend.

Eigentlich war es schon letzten Freitag gewesen, aber erst heute wird mir so richtig klar, was ich da erlebt habe, weil ich davor noch in einer Art Wachkoma durch die Gegend wandelte.

Woran ich mich erinnere:

Auf der Suche nach Ablenkung sitze ich irgendwann im Zug nach Euskirchen. Vor mir sitze ich in weiblicher Person, was jedoch keinen Unterschied macht. Genau so gut hätte ich vor mir in männlicher Person sitzen können oder wie auch immer...
Dann ging es auch schon los: Die Knöchel am Handgelenk waren das erste was ich zu verstecken versuchte, was sie zu verstecken versuchte. Ich verstand sie auf anhieb, wenn auch ich darüber hinaus bin meine Knöchel vor den Blicken anderer Menschen zu verstecken. Es war mir, nein ihr, peinlich, ganz klar und ich weiß warum. Es sah nicht gut aus, die Ärmel waren zu kurz, ich bin einfach zu dünn, ja, sie war extrem dünn – na und? Ich versuchte zu lächeln, das half manchmal und manchmal verwirrte es mich und es verwirrte mich, ich meine sie. Ich wurde leicht rot, ich werde nie ganz rot aber immer ein bisschen so wie sie. Ich verstehe, dass ich, nein sie, nicht ganz rot werden konnte, das versteht sie.
Die Verbindung wächst um so länger wir da sitzen und unsere Geister kommunizieren. Dann kommt der Schafner. „Fahrkarten.“
Sie sucht, die Haare fallen ihr ins Gesicht. Niemand soll in ihre Tasche schauen. Ich sehe eine Zeitschrift die ihr peinlich ist. Eine Zeitschrift die ihr peinlich ist. Wenn jemand sieht, dass sie sich diese Zeitschrift gekauft hat, wird man blöde Sachen über sie denken. Man wird sie gedanklich auslachen oder gar laut mit Stimme. Sie findet die Fahrkarte nicht. Man wird blöde Sachen über sie denken, man wird sie auslachen... bla bla bla.
Ich habe die Fahrkarte gesehen. „Da“, sage ich und zeige in ihre Tasche.
„Was? - Ach so, ja. Ich suche eigentlich nach meinem Handy. Habs wohl verloren – egal.“ Sie zuckt mit den Schultern und grinst. - Ich bade in in einem komischen Gefühl – Nein, du suchst nicht nach deinem Handy und du hast es auch nicht verloren und wenn, dann wäre es dir nicht egal. Sie ist ich!
„Kann ich aber brauchen“, sagt sie und hält das Ticket hoch. Etwas zu hoch – das ist peinlich. Ich verstehe das. Es ist gar nicht peinlich, aber es ist peinlich. Ich weiß es. Sie wird etwas rot, aber dann hat sie ihre Maske wieder auf. „Rauchst du?“ Ich verneine, aber eigentlich würde ich gerne nicken, weil es „cooler“ wäre, doch darüber bin ich auch hinaus. Ach egal. Ich nicke. Sie gibt mir eine ganze Packung – ich soll mich bedienen; vollkommen egal ob ich die ganzePackung einstecke oder mir nur eine Zigarette rausnehme. Vollkommen egal nach außen hin, aber ich weiß, dass sie ihre Packung gerne behalten würde. Ich weiß aber auch, dass ich sie ihr jetzt nicht einfach zurück geben könnte, weil ich dadurch ihre Maske angreifen würde. Ich halte sie einfach fest.
„Wo musst du hin“, frage ich. „Euskirchen“, sagt sie. „Da fahre ich auch hin.“ Ich schaue mir die Packung an und sie schaut sich ihre Tasche an. Blickkontakt ist verboten denn die Augen sind nackt. „Du bist unsicher“, sage ich und lächel. Ich sage es ganz leise, damit es niemand anderes mitbekommt. Zum einen wegen mir und zum anderen wegen ihr. „Ob ich aussteigen soll?“, fragt sie ohne zu wissen was ich will – glaube ich. „Warum hast du mir die ganze Packung gegeben, du willst doch auch noch rauchen.“ Sie zuckt nur mit den Schultern – irgendetwas stimmt mit dem Typen nicht sehe ich sie denken – jedenfalls sowas in die Richtung.
Wir müssen aussteigen, ich will sie nicht verlieren. Das bin ich – ich will mehr über mich erfahren! Und sie auch... „Wohnst du hier?“, fragt sie, als wir auf dem Bahnsteig sind. „Nein, in Mechernich.“ Sie nickt und wir stehen immer noch da. Ich muss retten.
„Oh!“, mache ich und biete ihr eine von ihren Zigaretten an. Wir rauchen zusammen. Und dann reden wir. Was wir können, haben und gerne tun würden. Das Vertrauen ist da – wir werden uns nicht auslachen aber wir werden uns auch nicht zu viel verraten. Das Gespräch ist zäh aber ich kriege es hin es so hin zu kriegen, dass es nichts ausmacht. Wir schauen uns die Lichter über den Gleisen an und sagen hin und wieder mal was. Ich sitze echt neben mir. Ich erkenne jede Bewegung, jedes Wort und beinahe die Gedanken meines Ichs neben mir.

Der Zwang den ich sehe, der Druck, das mit sich kämpfen... es ist sehr schlimm. Ich will ihr/mir etwas sagen, aber da gibt es nichts zu sagen. Wir sind wie Membrane die auf jede Kante und Spitze acht geben müssen, um nicht aufzuplatzen.

Die Packung teilten wir uns. Ich ging nach Hause mit einem Kopf voller Gedanken und ich ging einen Milchkaffee trinken mit einem Kopf voller wiederkehrender und anderer Gedanken.

Und jetzt sitze ich hier und denke nach. Und ich will mich in anderen Personen entdecken. Ich bin nämlich nicht der einzige und nicht allein.

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