Donnerstag, 19. Januar 2012

6,9 Milliarden (1)


Und dann war es wieder früher Morgen. Wie gerne wäre sie im Schlaf gestorben. So, ohne es zu merken – ganz einfach. Nicht noch einen Tag wollte sie erleben, nicht hier, nein, einfach nicht mehr leben, egal wo und wie. Etwas anderes konnte sie sich ohnehin nicht mehr vorstellen. Nur der Schlaf und die Hoffnung nicht mehr wach zu werden ließ sie weiter machen. Es blieb still. Vielleicht war es noch zu früh? Sie wollte schnell wieder einschlafen. Jede Minute Schlaf war so kostbar wie das Leben eines glücklichen Menschen.
„Aufstehen!“
Angst durchflutete ihr Herz. Sie kroch in jedes ihrer Glieder und in den Kopf. In ihrer Brust pochte es so sehr, dass sie es deutlich hören konnte. Diese Angst und Panik ließ sie sofort ihre löchrige Decke aufschlagen und aufstehen. In ihrem Kopf drehte sich alles, ihr Kreislauf war noch nicht soweit. Kurz wurde ihr Schwarz vor Augen aber sie blieb stehen. Auch die anderen standen alle und starrten ins Nichts wie Zombies. Niemand von ihnen sah aus wie ein Mensch.
„In einer Reihe!“
Es gab kein Gedränge. Alles passierte wie schon hundert Mal geprobt. Jeder hatte seinen Platz und jeder tat die gleichen Schritte, um sich an seinen Platz zu stellen. So dauerte es nur einen Augenblick und es hatten sich zwei Reihen gebildet. Jeden Morgen das gleiche, jeden Tag. Man könnte meinen, immer wieder den gleichen Morgen zu erleben.
Und auf einmal geschah etwas Neues. Ein Stöhnen aus der Reihe nebenan und im nächsten Moment lag ein Mann auf dem Boden. Er fiel einfach hin und blieb liegen, fast so, als hätte er nie gelebt.
„In einer Reihe!“
Er blieb einfach liegen. Man spürte eine unsichtbare Unruhe aufsteigen. Niemand zuckte auch nur, geschweige den, gab einen Ton von sich und trotzdem spürte man die Nervosität und Angst eines Jeden. Und als die Schritte des Chefs durch die Halle hallten waren die Nerven kurz vor dem Zerreißen.
„Stell dich wieder hin!“
Der Chef stoppte abrupt vor dem Liegenden und stieß ihm mit seinen Stiefeln eine Wolke Dreck ins Gesicht. Trotzdem rührte sich der Tote nicht mehr. Eine Weile starrte der Chef mit hasserfüllten Augen auf den knochigen Haufen unter sich, dann drehte er sich auf dem Absatz um und marschierte zurück an die Spitze der beiden Reihen. Niemand rührte sich.
„Folgen!“
Die Reihen setzten sich in Bewegung. Vor ihnen war das große Tor. Es führte aus der Halle raus in einen Hof. Auch dort kannte jeder seinen Platz, wenn es in der Nacht nicht geschneit hätte, würde jeder in seinen eigenen Fußstapfen vom Vortag stehen.
Der kalte Schnee biss durch das dünne Leder ihrer Schuhe. Es waren zwei rechte Schuhe und der rechte Schuh an ihrem Linken Fuß drückte etwas. Aber das war nicht so schlimm, wie die nasse Kälte des Schnees. Nach einer viel zu kurzen Weile brannten ihre Füße bereits wie in Feuer. Trotzdem wollte sie sich nicht beklagen. Viel schlimmer waren diejenigen dran, die überhaupt keine Schuhe mehr hatten.
„Stehen bleiben, nicht rühren!“
Der Chef ging wie ein Offizier an den zerlumpten Reihen vorbei und begutachtete sie, wobei er angewidert seinen Mund verzog. Dann blieb er vor ihr stehen.
„Wieso stinkst du nach Urin?“
Tränen schossen ihr in die Augen. Nicht, weil sie sich wegen ihres Körpergeruchs schämte, Hygiene hatte für sie alle schon seit Langem keine Bedeutung mehr, sondern aus Angst vor dem Chef. Sie wusste, dass er ihr etwas Schlimmes antun würde, egal was auch immer sie jetzt sagte oder tat.
„Weiß nicht“, weinte sie.
Er nahm tief Luft.
„Du stinkst, wie ein Schwein und du weißt nicht warum?!“, donnerte er. „Du hast dir in die Hosen gemacht, du Schwein!“
Wieder holte er Luft.
„Es gibt Toiletten! Da geht man hin! Und da wird gekackt und gepisst! Und du kackst dir in die Hosen du faules Schwein!“
Beim Schreien flogen feine Tropfen aus seinem Mund und flogen durch die Luft.
„Glaubst du, ich will dein dreckiges Innenleben in meiner Nase haben?!“
Sie weinte aber es kamen keine Tränen. Eigentlich war ich überhaupt nicht nach Weinen zumute. Aus irgendeinem Grund jedoch, glaubte sie, sie müsste gerade weinen, weil der Chef sonst noch schlimmer werden würde. Sie zitterte am ganzen Körper und hatte Mühe sich nicht einfach fallen zu lassen, einfach loslassen. Aber dann würde genau das passieren, weswegen sich der Chef gerade lauthals und brutal beschwerte.
„Du stinkendes Schwein! Du steigst jetzt da rein!“ Er zeigte auf eine Wassertonne voll eiskaltem Regenwassers. „Und dann wäscht du dir deinen Arsch!“
Er hatte sich einen Gummihandschuh angezogen während er ihr seine letzten Worte ins Gesicht spuckte und packte sie am Hals. Wie einen Kadaver hob er sie vom Boden, um sie dann in den Schneeschlamm Richtung Wassertonne zu schleudern.
„Beweg dich!“
Sie stand schnell wieder auf. Ihr Hemd hing nass, dreckig und schwer an ihr herab und ihre Hose rutschte ihr herunter. Sie achtete nicht darauf, lief stolpernd und schluchzend zur Tonne, zog ihr Hemd aus und stieg in das kalte Wasser. Augenblicklich schienen ihre Beine auf zu platzen und verkrampften stark. Der Schmerz stach bis in ihren Bauch, als hätte eine Hand in ihr nach all ihren Därmen gegriffen, um sie nach unten zu ziehen.
Der Chef schrie sie an. Er stand ganz in der Nähe aber sie hörte ihn so gut wie gar nicht. Sie hörte überhaupt nichts mehr. Und sie spürte auch nicht das Wasser – es war bloß ein bisschen kalt.

Kurze Schlacht im All


Das Forschungsschiff raste auf den Zerstörer zu. Lasersalven zogen vorbei. Der Zerstörer feuerte mit allen Geschützen. Vom Forschungsschiff ging ein Laserstrahl weg, wie eine Lanze aus gebündeltem Licht in die Richtung des Zerstörers. Der Abstand zwischen den beiden Schiffen schwand von Sekunde zu Sekunde – 100 Kilometer – 90 Kilometer – 80 Kilometer...
Dann kamen die ersten Raketen seitens des Zerstörers. Sofort unternahm das Forschungsschiff Gegenmaßnahmen indem es einen Satz Ablenk-Körper abfeuerte. Die kugelförmigen Objekte rasten den Raketen entgegen. Drei der zehn Raketen ließen ihr Ziel aus den Augen und nahmen Kurs auf die Ablenk-Körper, der Rest behielt den Kurs bei.
Und dann schossen die beiden Schiffe an einander vorbei und die Raketen trafen das Forschungsschiff an mehreren Stellen. Der Zerstörer drehte sich im Vorbeifliegen seinem Opfer zu und feuerte aus allen Rohren. Ein Dutzend Rettungskapseln sprangen aus dem instabil-werdenden Schiff und entfernten sich von ihm. Dann drehte sich das Forschungsschiff ebenfalls. Beide Schiffe entfernten sich nun rasch voneinander. Ein letztes Mal feuerte das Forschungsschiff mit seinem Laserstrahl nach dem Feind und traf präzise. Die Kommandobrücke explodierte in einem kurzen Aufflammen. Dann explodierte auch das Forschungsschiff.

Dienstag, 17. Januar 2012

Urknall-Singularität


Wenn der Raum unendlich klein ist, gibt es keinen Raum mehr den man messen könnte. In dem Moment, in dem der Raum unendlich klein ist, ist der Anfang des Raums gleichzeitig auch das Ende des Raumes. In einem unendlich kleinem Raum kann man sich nicht bewegen, weil man bereits an jeder Stelle des Raumes ist. Somit kann auch keine Zeit vergehen, weil man keine Zeit mehr braucht, um von einem Ort zum anderen Ort zu kommen. In einem solchen Moment ist Alles ein einziges Ding.

Sonntag, 15. Januar 2012

Wir haben noch genug Party vor uns!


Arthur stellte sich mitten in den Raum. Beate stellte sich hinter ihn und legte ihm ihre Hände auf die Schultern. Die linke Hand auf die linke Schulter und die rechte Hand auf die rechte Schulter. Und dann bewegten beide ihre Köpfe zum Sound. In einem relativ merkwürdigen Entenmarsch durchquerten sie die den Garten. Ihnen schloss sich Claudia an. Auch sie legte ihre linke Hand auf Beates linke Schulter und ihre rechte Hand auf Beates rechte Schulter. Und dann wippte und kreiste auch sie im Takt mit ihrem Kopf. Die Drei nahmen Kurs auf das Gartentor. Arthur öffnete es ohne mit seiner relativ bescheuerten Kopfbewegung auf zu hören. Auf der Straße schloss sich ihnen Daniel an. In seinen Augen spiegelten sich die Straßenlaternen und sein Mund verformte sich zu einem relativ irrem Lächeln. Die Vier marschierten mehr oder weniger über den Mittelstreifen der Straße mit einem ungefähren Ziel irgendwo in der Stadt. An einer Kreuzung hing sich Erwin an die kurze Gruppe an. Er wippte mit dem Kopf nach Links und Rechts und Links und Rechts...
Die Fünf verursachten einen Stau hinter sich. Sechs Autos folgten ihnen im Schritttempo und der Fahrer an vorderster Stelle hupte ununterbrochen. Bis sie die nächste Kreuzung überquerten. Franziska kam aus ihrer Wohnung über dem Waschsalon und legte ihre Hände auf Erwins Schultern und auch sie verfiel in den relativ merkwürdigen Entenmarsch mit relativ geistesgestörtem Kopfnicken. Nun waren es sechs. Sechs Zombies in einem Nick-Wipp-Marsch aber dabei sollte es nicht bleiben. Der Fahrer des Autos an zweiter Stelle stieg aus und ließ seinen Wagen einfach mitten auf der Straße stehen. Er, Georg, schloss sich der menschlichen Schlange mit Zappelanfall an. Eine Straßenbahn nahm seine Karre ein Stück mit und fiel auf die Seite. Hannah, legte ihre Hände auf Georgs Schultern. Sie kannte die Menschen nicht, aber das war egal. Im Moment war etwas ganz anderes Wichtig. Spaß!
Die Acht bogen auf eine Hauptverkehrsader der Stadt ab und marschierten fröhlich auf dem mittleren Straßenstreifen. Ein Van musste ausweichen und parkte mit quietschenden Reifen in einem Spielzeug-Laden. Ina stellte ihren Geigen-Koffer am Straßenrand ab, um sich der lustigen Truppe anzuschließen und auch ihre Freunde Jenny machte gerne mit. Und während die Zehn ihres Weges marschierten, verlängerte sich der Stau auf der wichtigen Straße minütlich. Selbst die gerufene Polizei kam nicht so schnell durch. Jennys Schultern schloss sich Kai an und Kais Schultern wurden im nächsten Moment von Lenas Händen gewärmt. Die Lichter der Stadt und mittlerweile auch der Mond am Nachthimmel spiegelten sich in den Augen der zwölf relativ Bewusstlosen. Und es ging weiter...
Sie nahmen die Auffahrt zur Autobahn – es ging aufwärts. Jeder warf seinen Kopf hin und her und vor oder zurück und Schritt auf Schritt im Entenmarsch gelangten sie dem Himmel etwas näher. Martina und Nicole rannten als ginge es um ihr Leben, um die Gruppe noch erreichen zu können, bevor sie auf der Autobahn waren. Sie knöpften sich den anderen an und verfielen sofort in den Rausch. Nichts konnte sie aufhalten, nur das Ende der Musik. Nicht einmal der 20-tonner der hart bremsen musste, um nicht in die Schlange hinein zu rasen. Die Fracht krachte in die Führerkabine und nahm sie, mitsamt relativ müdem Fahrer, mit, um auf den Autobahn-Platten zu zerschellen. Die Verkehrsteilnehmer hinter dem Unfall bremsten reflexartig doch viele vergebens.
Und die Gruppe marschierte weiter, an den Trümmern und um die Trümmer herum und Arthurs Nase nach. Olaf wischte sich das Blut von seiner Stirn. Er hatte überlebt und schloss sich dem ABC an, um mit ihnen zu watscheln. Paul legte seine Hände auf Olafs Schultern. Er hatte dem Lastwagen ausweichen können, doch das war jetzt unwichtig. Er lächelte mit dem Kopf nickend, den Kopf drehend und mit seiner Hüfte relativ geschmeidig wackelnd. Dann erreichten sie alle die nächste Ausfahrt und bewegten sich, wie eine Verschmelzung, zurück in die Stadt. Da wurden sie bereits erwartet...
Eine Polizei-Straßen-Blockade versperrte dem Virus seinen Weg. Doch das Gebilde aus den Siebzehn marschierte unbeirrt weiter. Niemand von ihnen schien die Drohungen der Polizei wahr zu nehmen und schließlich fiel der erste Schuss. Arthurs Kopf fuhr, mitten in einer relativ schwachsinnigen Wipp-Bewegung, nach hinten und wieder zurück. Mitten auf seiner Stirn hinterließ die Kugel ein kleines Loch – auf der anderen Seite ergoss sich sein Gehirn über seinen Rücken. In Beates, mit Blut besprenckeltem, Gesicht, öffnete sich der relativ gestört lächelnde Mund zu einem lautlos-lachendem Schlund. Arthur ging im gleichen Moment zu Boden und blieb zufrieden liegen, wie ein kleiner Schuljunge den man mit relativ übertriebenem Lob gekrönt hatte. Doch die Musik lief weiter, die Feier war noch nicht vorbei, die Truppe setzte ihren Weg fort. Nur Georg tanzte etwas aus der Reihe, als er mit seinem Schuh in Arthurs Schädelknochen hängen blieb und ihn fortan mit sich schleifen musste. Es ging weiter...
Quentin, der Polizist der geschossen hatte, ließ seine Waffe fallen. Starr vor Schreck beobachtete er das Vorbeiziehen der zombiösen Körper in einer Reihe. Er hatte keine Kraft mehr seinen Kollegen, die allesamt nicht in der Lage waren die kriminelle Gruppe aufzuhalten, zu Hilfe zu kommen und als Paul guter Laune an ihm vorbei lief legte auch er seine Hände ins Blut und zog mit. Als dann auch Ralf, der Mann von der Tanke dazu kam und seine Hände auf die Schultern des armen Polizisten legte, erhellte sich Quentins starrer Blick und alle Sorge fiel von ihm. Der Marsch endete noch immer nicht...
Beate führte die lange Schlange über einen Bahnübergang auf die Schienen. Die Steine unter ihren Füßen ließen alle etwas torkeln, aber das machte überhaupt nichts. Auf diese Weise gelangten sie immerhin an die nächste Bahnstation, wo sich ihnen Sandra, die kleine Ticketverkäuferin und Tim der Geschäftsmann auf Reisen, anschlossen. Zusammen erreichten sie einen Tunnel in dem ihnen Ulf, ein Obdachloser und seine obdachlose Freundin Valentina, begegneten. Die Zwei versuchten Beate, mit ihren Händen wild gestikulierend, klar zu machen, dass es sehr gefährlich war, um diese Zeit über die Schienen zu laufen. Es konnte jeden Moment ein Zug kommen. Doch Beate nicht und keiner der anderen wollte sich stoppen lassen. Und nicht einmal dieser Zug würde in der Lage dazu sein. Doch dann kam er...
… und die Musik endete mit einem Mal.

Erst als die Gruppe von relativ totalen Spaß-Zombies in einem Hagel, aus nicht mehr zuordnenden Körperteilen und Flüssigkeiten, durch den Tunnel spritzte, merkten einige von ihnen vielleicht noch: „Hey, ich glaube, die Party ist um.“

Party


Hier ist unser geheimer Ort
hier schaffen wir unser Gold

Es ist wirklich genug für alle da
deinen Teil machst du aber am besten für dich alleine klar

Hier und jetzt bist nur du wichtig
ist nichts Neues, das ist richtig

Zeige deinen Freunden deine neue Haut
zeig ihnen wie man schöne Mauern um sich baut

Dann lassen wir alle eine Party steigen
bis sich die Reihen unserer Six-Packs dem Ende neigen

Es ist das letzte was wir tun
danach wird alles ruhen

Aber das ist es was wir ständig wollen
und es ist uns egal was wir sollen

In dieser endenden Stunde
heben wir unsere Getränke
im Wissen, es gibt keine weiteren Geschenke
in der Hoffnung auf eine neue Runde