Montag, 18. Oktober 2010

Alles was ich will (3)

Die Gegend in der ich ausgestiegen war roch nach faulenden Eiern. Irgendein Industriegebiet. Ein Schornstein ragte am Ende der Straße in den nebeligen Himmel.
Ich stellte mir vor, mit meiner besten Freundin dort oben auf dem Schlot zu sitzen. Ganz nah nebeneinander und Kakao trinken. Und unten würde der Typ aus dem Bus, der sie umarmt hatte, stehen und etwas rufen, aber es wäre nicht zu hören. Ich würde ihm den Kakao ins Gesicht kippen. Und meine beste Freundin würde es lustig finden und mich umarmen und mir sagen, dass ich echt cool drauf bin.
Die Lagerhallen von beiden Seiten der Straße wirkten bedrückend, auch wenn dauernd Autos vorbei fuhren oder mir Menschen entgegen kamen. Ich ging am Schornstein vorbei, er stand unter Denkmalschutz.
Ich stellte mir vor, dass ich in den Schornstein einzog und fortan dort lebte. Ohne Fenster und ohne eine Tür. Man hörte gelegentlich nur mein Husten oben aus dem Schlot herausklingen. Und dann stellte ich mir vor, dass sich meine beste Freundin zu mir abseilte von obenherab und mich umarmte -
Ich atmete, wie beim Rennen und schloß meine Augen, wie beim genießen und dann lachten zwei Jugendliche die an mir vorbei gingen und das mitbekamen. Mit roten Kopf seuftzte ich laut und dann hustete ich und ich gähnte übertrieben und schließlich war ich still und ging einfach weiter.
Ich stellte mir vor, wie wir es uns in dem runden Raum im Schornstein gemütlich machten. Mit Daunen-Kissen und Daunen-Decken und mit einem Teekocher und vielen Teesorten.
Dann wurde mir übel und ich musste mich auf eine Bank setzen. Der Schornstein war immer noch zu sehen. Bis zur Schule würde ich es nicht mehr rechtzeitig schaffen. Vielleicht würde es niemand merken.
Ich stellte mir vor wie sich meine beste Freundin um micht sorgte... Sie suchte nach mir. Sie fand mich und umarmte mich und dann... Ich stellte mir vor, dass sie ein Junge war und... nein, sie war ein Mädchen!

Montag, 11. Oktober 2010

Knallrot

Edith lächelte schwach. Der Zug hinter ihr kam zum Stehen. Ihr Blick – diese dunklen Augen – traf den Olivers – das Licht der schwindenden Sonne sich in ihnen spiegelnd, durch das schmutzige Glas des Bahnhofdachs softer wirkend, schimmerte als würde sie in warme Glut blicken. Nur ein Augenblick, denn sie senkte den Kopf zu Boden, das Haar – schmutzigblond, verwegen – fiel ihr, Strähne um Strähne, traurig ins Gesicht. Eine Sekunde folgte der nächsten – hinter ihr zischte es hydraulisch; die Türen öffneten sich.
„Ich will nicht, dass du gehst“, murmelte er – ganz leise, dass es selbst die Brise Wind übertönte, die nun auch ihm sein Haare stähnenweise ins Gesicht blies, seine hellbraunen Augen – in diesem Moment fast grau, wie im Schatten – diskret zensierte, denn das Spülwasser stand in ihnen.
„Ich auch nicht“, murmelte sie flüsternd ihm zu.
Ohrenbetäubendes Flügelschlagen schreckte beide auf, Tauben flatterten, wie verrückt in die Höhe, störten diesen Moment auf eine grässliche Weise, rüttelten alles auf, zerstörten – so kam es beiden vor – diesen Moment, der ansonsten ewig gewehrt hätte.
Edith spürte eine Taubheit um ihren Kopf und darunter ein Chaos welches ziemlich schmerzte, schlimmer als eine tiefe Messerwunde. Ihre Hände – versunken in den Ärmeln des Wollhemdes welches sie getragen hatte, als sie her gekommen war – zitterten, sie hatte nicht die Macht dies zu stoppen, doch daran dachte sie gar nicht.
Die Brise Wind – ausdauernd in das Haar der beiden pustend, als versuchte sie sie ohne viel Hoffnung aufzuheitern – brachte ein zusammengeknülltes Papier mit sich und einige Dutzend Papierherzen. Die Herzen flatterten vorbei, klatschten gegen Bänke, fielen unter den stehenden Zug, flogen zur Decke herauf.
Oliver lenkte sich damit ab, diesen kleinen Herzen nach zuschauen, er folgte ihnen mit seinen Augen bis zum Bahnhofsdach. Hinter den verdreckten Scheiben strahlte ein heller Himmel ohne Wolken, so hell, dass er blendete. Er kniff die Augen zusammen – eine Träne tropfte herab – er lächelte schwach, zuckte mit der Schulter.
„Vergiss bitte nie, dass es mich gibt“, sagte er.
Edith lachte auf.
„Wie stellst du dir vor, soll ich dich je vergessen können?“
Beide lächelten sich ziemlich überzeugend an. Ein Papierherz schwebte herbei, drehte sich in der Luft, landete zu ihren Füßen.
„Bis dann“, sagte er irgendwann. Sie machte einen abrupten Schritt auf ihn zu, schloss ihn in ihre Umarmung.
„Ja, bis dann“, sagte auch sie, lies von ihm, ging rücklinks zur Wagontür, trat ein, die Türen schlossen sich automatisch, der Zug zog – bewegte sich ganz langsam vorwärts, als würde er ihnen die Gelegenheit geben wollen, es sich noch mal anders zu überlegen, es gab nichts zu überlegen – wurde fast mit einem Mal schneller, verschwand hinter Baumkronen.
„Komm wieder zurück“, dachte Oliver. Ihre Augen schimmerten noch immer in dieser Sonne. Der Wind fuhr ihm noch immer durchs Haar, diese scheiß Herzen flogen immer noch durch die Gegend. „Bitte, komm gleich wieder zurück.“
Er wartete eine halbe Stunde. Er wartete dann noch eine, weil eine nicht ausgereicht hätte, um zurück zu kommen. Schließlich wartete er eine dritte halbe Stunde, weil es vielleicht doch länger dauerte und am Ende wartete er auch noch die vierte halbe Stunde, weil es Mittag erst um halb zwei gab und außerdem wollte er doch nichts essen.
„Ed…“, flüsterte er. „Ed.“ Einen so schönen Namen gibt es nur einmal, dachte er, stand auf und machte sich auf den langen Rückweg dahin wo er wohnte, nicht mehr lebte.

Ein langer Schotterweg führte zum Hof seiner Großeltern, weit von der Stadt entfernt, in den Feldern, inmitten von Bäumen, wo es sonst niemanden gab.
Gezwungen setzte er einen Fuß vor den anderen, der schwache Wind schien ihn zu schieben oder zu stützen, vielleicht führte er ihn. „Na komm“, schien er zu sagen, „es bringt ja doch nichts, du musst zurück nach Hause.“
Die Sonne ging vor einer Woche unter – vom Felsen aus sahen sie beide zu – verbrannte den Horizont, versank in ihrer eigenen Glut. Sie saß nah bei ihm, blickte in die Ferne und sie lächelte. Er sah ihr dabei unauffällig zu und auch er lächelte, versuchte ihr Lächeln zu imitieren – sie hatte ein besonderes Lächeln – ganz unauffällig und trotzdem so echt wie kein anderes.
„Ich möchte gern nach Olympus Village“, hatte sie gesagt. Der Mars leuchtete blass am dunkler werdenden Himmel.
„Ich auch“, sagte er und sie gluckste – die Erinnerung an diesen Ton lies ihn stoppen, so abrupt, dass der Wind nicht rechtzeitig abbremsen konnte und mit Wucht an ihm vorbei zog, sein Haar, seine Sachen mit sich riss – er hatte sie angeguckt, sie den Kopf geschüttelt.
„Du würdest eh alles das tun, was ich auch tue“, hatte sie gelächelt, er zurück gelächelt – ihr Gesicht – braun gebrannt von viel Sonne – so nah bei seinem – keine Berührung doch eine Aura, wie Elektrizität, streifte seine Wangen, denn sie hatte ihn behutsam geküsst.
Oliver atmete durch, setzte seinen Rückweg fort. Ihre Aura umgab ihn auch jetzt noch – wie eine Kugel inmitten der er ging – und das woraus sie bestand wirbelte um ihn herum, durcheinander, stürmisch und voller Gedanken an sie und voller Erinnerungen.
„Bitte komm zurück“, flüsterte er plötzlich vor sich hin. Er flüsterte es ein paar mal, faltete seine Hände, wie in der Kirche beim Gebet – der Zug musste schon einige Dutzend Kilometer weit weg sein.
„Mach, dass sie zurückkommt.“
Er lies sich zu Boden fallen – auf seine Knie – der Schotter schnitt durch die Jeans, in seine Haut, doch dieser Schmerz war nicht mächtig genug, als dass Oliver in registrieren hätte können in diesem Moment. Er setzte sich mit den Hintern auf seine Schuhsohlen, seine Hände im Schoss – der Wind blies kalt, die Sonne wollte nicht mehr wärmen – seinen Kopf lies er hängen, das Haar baumelte herab.
Ein Papierherz landete vor ihm auf den Boden – er sah das Rot durch die Haare durch, erkannte zwei Worte darauf gedruckt. Knallrot – und mit schwarzer geschnörkelter Schrift auf dem Herzen stand:
„Liebe ist….“

PsyFantasy

Alice erwachte. Ihr Körper lag unter ihrem Kopf. Sie bemerkte die Fliege auf ihrem Knie erst, als
diese ihre Flügel abwarf. Alice setzte sich mit einer einzigen Bewegung aufrecht hin. Sie blickte direkt in den Rüssel des Insektes - es beschnupperte sie. Alice hielt still, ihr Blick wanderte nach links. Sie hörte das Schnuppern der Fliege in ihrem Ohr. Ihr Blick ging weiter nach links. Alice spürte die feinen Härrchen auf dem Rüssel der Fliege an ihrer rechten Wange. Ihr Blick ging
weiter nach links und stoppte. Alice verharrte, das Schnuppern verstummte, ein Grollen erklang. Ihr Blick wanderte in Richtung Kopfkissen - das Nachthemd war auf dem Rücken nass von Schweiß. Alice Blick wirbelte zurück, als das Grollen mit einem Mal so laut wurde, dass es einem sich drehenden Propeller glich. Alice starrte in die Rüsselröhre der Fliege - aus dem Inneren kam das Propellergrollen. Etwas näherte sich ihr, mit unglaublicher Geschwindigkeit, doch es war noch nicht da. Alice griff nach einem der abgeworfenen Flügel, holte aus, gähnte schnell und schlug mit aller Wucht zu. Der Kopf der Fliege rollte im nächsten Moment über den Fußboden und dann unter die Kommode. Grüne Flüssigkeit stieß aus dem Rüssel und schäumte sogleich auf - Säure!
Alice atmete einmal tief durch. Sie legte den Fliegenflügel behutsam in eine leere Streichholzschachtel, welche sie in dem Gerümpel unter dem Kopfkissen fand. Alice kramte noch eine Weile zwischen den Medikamenten, den Taschentüchern und einigem anderen Zeug. Sie fand einen alten Lippenstift, den sie nie benutzt hatte und warf ihn zum Fenster hin - er prallte von der Scheibe ab und landete wieder in dem Gerümpel unter dem Kopfkissen. Alice schreckte auf. Sie starrte zum Fenster hin - nichts passierte zunächst und dann zersplitterte die Scheibe, als sei sie explodiert und ein Backstein donnerte, wie aus der Kanone abgefeuert, gegen die schwere Zimmertüre. Alice stieg aus dem Bett. Sie stellte sich vor die Kommode und runzelte die Stirn. Der Stein rollte langsam zu ihr hin - neben ihrem rechten Fuß kam er zum Stillstand. Der Wind blies ihr das sehr lange Haar ins Gesicht. Alice machte den obersten Knopf ihres Nachthemdes auf - der Knopf löste sich und fiel in die Tiefe. Alice machte die Kommode einen Spalt weit auf. Die schwere Zimmertüre wurde aufgestoßen - ein Typ in einem langen, schwarzen Mantel betrat das Zimmer. Er sah sich leicht verwirrt um, dann drängte er an Alice vorbei und zwängte sich durch den Spalt ins dunkle Innere der Kommode - er kam nicht wieder raus. Alice spürte den fallenden Knopf auf ihrem Zeh aufschlagen. Sie lächelte.

- habe ich vor langer Zeit geschrieben...

Freitag, 8. Oktober 2010

Gedanken (8)

Könnt ihr glauben, dass unsere Welt 11 Dimensionen hat? Den Raum, die Zeit, die wir wahrnehmen und 7 weitere, die für uns nicht sichtbar sind? Könnt ihr das nicht?
Könnt ihr euch denn einen Gott vorstellen, den man im Kopf wahrnehmen kann, der aber unsichtbar ist? Könnt ihr das?
Warum könnt ihr dann nicht an 11 Dimensionen glauben?

Warum glaubt ihr, dass wir im Mittelpunkt stehen müssen, um etwas besonderes zu sein? Wieso muss es einen Anfang geben, damit ihr an Gott glauben könnt? Warum ist es wichtiger von ihm erschaffen worden zu sein, als von ihm geliebt zu werden?

Bittet nicht ihn um Hilfe, wenn ihr Hilfe braucht, er hat uns, wenn er es hat, schon alle Hilfe gegeben, die wir brauchen, denn wir haben die Gabe zu sein wie er... nur wenige nutzen sie!

Wisst ihr wirklich, wie er ist? Wenn nicht, dann vergesst, was ich im letzten Satz sagte.

Und, Amen!

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Das Pflanzenmädchen

Gewiss kennt jeder den Wolkenkratzer in der 166. Straße im 133. Sektor. Es ist der höchste Turm in der ganzen Stadt. Es heißt, dort lebt ein Wesen, dass sich so sehr von den Menschen unterscheidet, dass man es kaum noch einen Menschen nennen kann. Man erzählt sich, es hätte grüne Haut und wäre von langer, schlanker Statur mit langem Haar, das bis zur Hüfte reichte. Wie eine Pflanze soll es die Nährstoffe aus dem Boden heraus filtern und sonnt sich täglich auf einem Balkon in der Sonne.
Ihr Zuhause soll die ganze 311. Etage sein, das entspricht zwei Fußballstadien und setzt sich zusammen aus 33 Räumen. Jemand hatte mal behauptet, auf dieser Etage würde nie ein Aufzug halten und wenn man mit den Außen-Aufzügen am Turm entlang hoch fährt kann man durch die Fenster dieser Etage sehen, dass dort überall Pflanzen wachsen und wenn man seine Ohren spitzt, kann man sogar einen Wasserfall rauschen hören.
Alles Gerüchte, habe ich immer gedacht, da ist überhaupt nichts dran. Im KI-Tower gab es keinen Pflanzenmenschen und auch keine Etage wo die Aufzüge nicht halten, habe ich gedacht. In diesem Wolkenkratzer, der weit über die Wolken reichte und der zurecht „Turm ins Universum“ genannt wurde stand der leistungsfähigste Computer der Welt, der selbst beinahe so groß war, wie der Turm. Doch dann brachte ein Junge, dessen Mutter im KI-Tower arbeitete, ein Foto von diesem Wesen mit. Es zeigte im Grunde doch einen Menschen, aber nicht wirklich. Die Beine und Arme waren viel länger, Bauch und Brust auch und die Haut war tatsächlich leicht grünlich, wie mit einer hauchdünnen Schicht grünem Pulver bedeckt. Der Körper war zierlich und zugleich wirkte er sehr stark oder stabil. Dunkle Augen starrten, wie ein erschrockenes Tier starrt, wenn es Gefahr wittert. Die kleine Nase schien dunkler, als der Rest der Haut und auch die sehr schmalen Lippen hoben mit ihrer dunkleren Tönung ab vom helleren Rest. Den nackten Körper säumten die langen, pechschwarzen Haare, die sich wie ein Umhang um die Gestalt legten.
Obwohl so fremdartig, die Schönheit des Wesens fesselte. Ein Tier in Menschengestalt. Oder ein unberührter Mensch.