Freitag, 5. August 2016

Trocken Und Staubig

Am Ende des Tunnels gab es Neonlicht von oben.

Friska nahm die Hand des kleinen Mädchens und schritt zum Ende.

Außerhalb regnete es stark.

300 Meter gegenüber des Tunnelausganges saß ein Mann auf einer Bank. Er trug einen weißen Anzug mit schwarzer Krawatte und einen Computer in seinen Händen – und er hatte nichts an.
300 Meter dahinter stand sein Wagen.

Friska und das kleine Mädchen standen am Ausgang und Friska hielt ihre flache Hand in den strömenden Regen.
„Fallout“, flüsterte sie, damit der Mann sie nicht hörte. „Wir bleiben hier, bis es aufgehört hat zu regnen.“
Das kleine Mädchen nickte. Der Mann erinnerte sie an ihren Vater. Sie drehte sich um und schaute in die Dunkelheit. Es kam ein Fahrradlicht auf sie zu.
„Da!“, rief sie.
Friska drückte das kleine Mädchen gegen die Tunnelwand und stellte sich vor sie.
„Keine Angst“, flüsterte die Gestalt auf dem Fahrrad. Er hielt, das Licht ging aus. „Ich bin Ronko von Aubeck aus dem Untergeschoss, ihr erinnert euch?“
Friska schüttelte den Kopf.
„Ronko aus dem Untergeschoss, verdammt?! Ihr habt mir die Eier verkauft!“
Friska nickte.
„Gut, was willst du, Ronko?“
Ronko stieg vom Sattel ab. Er trat aus dem Dunkel ins Halbdunkle.
„Mein Comunicator ist aus gegangen“, erzählte er. Er zeigte Friska sein Gerät. Es war aus.
„Mach es doch wieder an“, sagte Friska.
Ronko verdrehte seine verschlafenen Augen.
„Sag mal, hältst du mich für vollkommen verblödet, oder was?“
Friska hielt ihre Hand in den Regen, ohne Ronko aus dem Untergeschoss aus den Augen zu lassen.
„Okay, Ronko, ich habe echt keine Zeit für dich, wir reden ein anderes Mal.“
Ronko heulte auf wie ein getretener Hund.
„Bitte! Du musst mir helfen, meine kleine süße Jennifer ist auf meinem Comunicator – bitte!“
Friska machte „Psst!“.
„Ist ja gut aber bitte… meine Jennifer!“, heulte Ronko leiser.
„Sie ist ein Programm, Ronko! Sie wird ewig auf dich warten, wenn du willst.“
Ronko lächelte kurz.
„Ja, nicht so wie die Echten! - aber… ich vermisse sie, ich kann nicht ohne sie sein, nicht eine Stunde! Bitte, Friska!“
Friska riss ihm den Comunicator aus der Hand, starrte ihn jetzt wütend an. Er war ein Waschlappen, ganz anders, als sie anfangs gedacht hatte – dieser Ronko aus dem Untergeschoss jetzt.
Fast hätte sie das Gerät fallen lassen. Ronko hielt die Luft an. Sie legte das Ding mit der Akkuseite auf ihre flache Hand. Ronko schaute ihr nickend, mit weit offenen Augen zu, nah dran zu sabbern.
„Sag, Friska… wie lange?“
„Eine Stunde.“
Ronko drehte sich auf dem Absatz um, drehte sich zurück, raufte sich die Haare. Warf seine Arme nach vorne und seufzte. Dann setzte er sich in die Pfütze unter seinen Füßen.
„Friska, der Androide bewegt sich“, sagte das kleine Mädchen.
Friska kniete sich hin und zog das kleine Mädchen mit sich herunter,
„Er darf uns nicht erkennen, du musst jetzt an deine Wand voller Graffiti denken“, flüsterte Friska.
Ronko kam auf allen Vieren zu ihnen.
„Ist das eine Netzwerkwache?“
Friska antwortete nicht.
„Warum steht er da?“, fragte Ronko.
Friska zuckte mit den Schultern und entfernte sich etwas von Ronko, der ihr etwas zu nahe gekommen war. Er bemerkte es und grinste und bekam einen bösen Blick geschenkt.
„Du weißt, was ich mag“, flüsterte er.
„Und du stinkst nach Kohl“, sagte sie.
Das Grinsen verschwand aus Ronkos Gesicht.
„Was erzählst du? Ich habe… habe geduscht.“
„Wann?“
Ronko schnaubte zur Antwort.

Jemand trat eine Dose. Sie flog lange durch die Luft, denn es verging eine Ewigkeit bis das scheppernde Geräusch ihres Aufpralls zu hören war.

Friska legte sich flach auf den Bauch und robbte wie einer dieser Soldat bis zum Rand des Tunnelausganges und dabei dachte sie mit allen Sinnen an die chinesische Mauer in all ihrer Pracht. Nur in dem Bruchteil der Sekunde, in dem sie den Jungen auf dem leeren Parkplatz erblickte, nicht. Für die Netzwerkwache eine halbe Ewigkeit.
„Friska von Turm Einhundertundeinundachtzig aus der hundertdreiunddreizigsten Etage – du bist enttarnt – stelle dich jetzt!“
Ronka sprang auf und rannte in die Dunkelheit des Tunnels, lauthals schreiend, wie ein Irrer: „Tut mir Leid, Jennifer!“
Die Netzwerkwache kam mit zunehmendem Tempo auf den Tunnelausgang zu. Friska griff wie aus Reflex nach dem Fahrrad, packte es und warf es mit Wucht dem ankommenden nackten Mann entgegen, der nun fast die Geschwindigkeit eines Geparden erreichte.
„Lauf!“, schrie Friska.
Das kleine Mädchen sprang nun auch auf, da sie bisher erstarrt auf dem Boden sitzen geblieben war. Sie rannte los, Ronkos Spuren hinterher.
Die Netzwerkwache kam an. Das Fahrrad hatte ihr die Wange aufgerissen - nun sah sie mit dem freiliegendem Gebiss und dem künstlichen Blut aus, wie ein Ungeheuer. Friska schrie nur kurz auf, als er sie an den Schultern packte und sie mit knapp 60 Stundenkilometern gegen die Wand hinter ihr rammte. Das Licht hinter ihren Augen erlosch.

Draußen hatte es zu regnen aufgehört. Vor dem Tunneleingang lag ein verbogenes Fahrrad. Der Junge starrte dem nackten Mann hinterher. Er hatte sich rücklings von ihm entfernt aber der Mann marschierte einfach an ihm vorbei ohne ihn zu beachten. Dann trat er auf seine Dose und plättete sie so flach wie eine Dampfwalze.

Im Tunnel lag Friska zerstört am Boden. Das kleine Mädchen näherte sich aus der Dunkelheit.
„Friska?“
In ihrer Hand hielt sie noch immer Ronkos Comunicator. Das Gerät war an.
„Friska?“

Der Junge stand im Tunnelausgang.

Das Display blinkte auf.
„Ich bin noch da“, sagte Friska.
Das kleine Mädchen stand auf.

„Bist du eine Ratte?“, fragte der Junge.

„Nein.“

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