Niemand
beachtete die merkwürdige Wolkenformation am Horizont. Unten
zwischen den Häuserschluchten sah sie niemand. Die Stadt lag unter
freiem Himmel, so ungewöhnlich türkis und mit dem blassen Mond
wirkte es fast nicht real. Doch niemand schien es zu sehen. Trotzdem
genossen es viele. Sie saßen auf dem Platz im Schatten der kleinen
Bäume, spazierten im nahen Park entlang des Kanals. Auf der Wiese
lagen sie in der heißen Sonne, mit Sonnenbrillen, unter
Sonnenschirmen und einfach nur so.
Sophie
stieg aus dem Bus an der Haltestelle beim Park aus. Sie hatte ihren
Schulrucksack noch an aber jetzt legte sie ihn ab auf eine Parkbank.
Sie machte ihn auf und holte ihre Hefte und Bücher raus. Sie legte
alles auf den Boden, dann drehte sie den Rucksack auf den Kopf und
schüttelte ihn. Stifte, eine Schere und zerknülltes Papier fielen
heraus.
„Gut, sammle Blätter, ja?“
Sophie
nickte. Mit dem Rucksack in der Hand lief sie unter den Bäumen und
fing an Blätter vom Boden aufzuheben und sie in ihren Rucksack zu
legen. Sie sammelte aber nur schöne Blätter, die schon bunt
geworden sind. Davon gab es noch nicht viele, weil erst September
war, sie fand aber trotzdem welche.
Zwei
junge Männer und eine Frau setzten sich auf die Bank und fanden
Sophies Schulsachen. Sie hoben sie auf und schauten in die Hefte.
Sophie hatte in jedes ihrer Hefte Kreise, Dreiecke und Quadrate
gemalt. Die Kreise hatten Gesichter, die Dreiecke und Quadrate waren
alle schwarz ausgemalt.
Sophie
kam zu ihnen.
„Das sind meine Hefte, aber ihr könnt sie gerne haben, ich brauche
sie nicht mehr.“
„Ach ja? Gehst du nicht mehr zur Schule?“, fragte einer der
jungen Männer. Er sah vom Nahen viel älter aus und roch nach
Alkohol.
Sophie
schüttelte den Kopf.
„Warum nicht?“, fragte die Frau.
„Weil meine neuen Freunde mir alles beibringen werden“,
antwortete Sophie. „Ich muss ihnen dafür Blätter sammeln.“
Die
beiden Männer lachten.
„Wo sind deine Freunde?“, fragte einer von ihnen.
„Sie sind unsichtbar“, sagte Sophie.
Der
Mann mit der Alkoholfahne hob ein weiteres Heft vom Boden auf.
„Dann kann ich deine Hefte einfach zerreißen und in den Müll
werfen, oder?“ Er riss das Heft in zwei Hälften.
„Hör auf, Walter“, schrie die Frau auf.
„Sophie geh weg da, die sind nicht sehr nett.“
„Okay“, sagte Sophie. Sie drehte sich um und ging weg.
„Warte“, rief Walter. Er machte Anstalt Sophie nach zu laufen,
wurde aber von der jungen Frau gestoppt. Sie beschimpfte ihn.
„Du
bist ein Schwein, Walter – du bist so ein Schwein!“
„Meine Güte, schreit nicht so“, murmelte der andere Mann.
„Er
ist so ein Schwein!“
Sophie
lief wieder zwischen den Bäumen und suchte Blätter.
„Da
sind Pilze, die darfst du nicht anfassen, weil sie etwas giftig
sind.“
Sophie
fand ein großes Ahornblatt. Es war ganz gelb und leuchtete in der
Sonne. Sie schaute hoch zum Himmel und hielt das Blatt hoch. Sie
konnte fast hindurch sehen.
„Der Himmel ist heute türkis“,
sagte sie.
„Kauf dir ein Eis, gleich kommt ein Eiswagen vorbei.“
Da erklang auch schon die Melodie des Eiswagens der schnell näher
kam und vorbei fuhr. Sophie ließ ihren Rucksack liegen und lief
hinter her. Leider war sie nicht schnell genug und der Eiswagen bog
um die Ecke und verschwand hinter hohem Buschwerk.
„Moment, ich hol ihn zurück.“
Sophie setzte sich ins Gras und musste gar nicht lange warten, da
tauchte der Eiswagen auch schon wieder auf und hielt direkt neben
ihr.
„Willst du ein Eis?“, fragte der Verkäufer.
Sophie nickte.
„Eine Kugel mit Schokolade und eine mit Erdbeere und noch eine mit
Vanille.“
Der Eisverkäufer machte sich an die Arbeit und kurze Zeit später
lief Sophie mit einem Eisbecher zurück zu ihrem Rucksack.
Doch ihr Rucksack wurde bereits belagert und zwar vom Walter und
seinen Kollegen. Die junge Frau hatten sie anscheinend
zurückgelassen. Die beiden waren gerade dabei synchron in den
Rucksack zu urinieren.
„Was macht ihr da? Das ist meiner“, rief Sophie.
„Mensch, verpiss dich, wir verrichten hier unser Geschäft“,
sagte der Kollege und Walter fing an zu lachen wie ein Pferd das sich
verschluckt hat.
„Aber doch nicht in meinen Rucksack!“
Der Kollege packte sein Gehänge ein, drehte sich zu Sophie um und
machte einen drohenden Schritt auf sie zu aber Sophie blieb einfach
stehen.
„Lass sie“, sagte Walter. Er war auch fertig und legte seine
Hand auf die Schulter seines Kollegen. Dieser schüttelte sie aber ab
und kam nun schnellen Schrittes auf Sophie zu. Er hob seine Hand und
wollte Sophie gerade schlagen, als sein Körper plötzlich
erschlaffte, wie ein Plastikbeutel voll Wasser und Pudding und er
sang und klanglos zu Boden ging. Walter lachte, glaubte er doch
zunächst, sein Freund machte einen Scherz aber der Kollege stand
nicht wieder auf.
„Scheiße, Jorge – was ist los?“
„Ist er tot?“, fragte Sophie.
„Das spielt keine Rolle, Sophie. Lass sie zurück.“
„Keine Ahnung, Mensch – Jorge?!“
Sophie schaute sich um. Niemand nahm Notiz von ihnen, selbst die
Menschen nicht, die auf dem Weg an ihnen vorbei gingen. Einige warfen
einen kurzen Blick auf das Elend auf dem Boden, wandten sich dann
aber schnell wieder ab. Erst als Sophie etwas irritiert weiter
gegangen war, blieb ein Mann stehen, nahm sein Handy und rief einen
Krankenwagen. Doch Jorge lebte schon nicht mehr, als sein Körper
begann zu Boden zu fallen.
Sophie fand ein neues Ahornblatt. Ihren Rucksack hatte sie
zurückgelassen.
„Warum ist der Mann gestorben?“, fragte sie.
„Ich wollte nicht, dass er dich verletzt. Mach dir keine
Gedanken um ihn. Er hat nur seinen Zustand gewechselt und ist
momentan nützlicher als vorher.“
Später, als die Sonne unterging, fand Sophie einen Korb. Sie legte
die Blätter die sie den ganzen Tag gesammelt hatte in den Korb.
„Bitte bringe keine Menschen mehr um“, sagte sie, bevor sie sich
auf einer Bank am Kanal schlafen legte.
„Versprochen.“
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