Es waren bestimmt 6000 Sterne zu sehen in dieser Nacht. Sophie zeigte
auf einen besonders großen.
„Kommst du von da?“
„Ja.“
Sie zeigte auf einen anderen Stern.
„Und von da?“
„Ja, auch von da.“
Sie schwiegen lange. Sophie dachte an den Mann der gestorben war. Sie
fragte sich, wo er jetzt ist.
„Er liegt noch im Krankenhaus, im Kühlhaus.“
„Du sollst meine Gedanken nicht lesen.“
„Gut, ich werde sie nicht mehr lesen.“
Sophie drehte sich auf die Seite. Die Bank war hart und zu schmal,
sie konnte nicht einschlafen obwohl sie müde war.
„Auf wie vielen Sternen wart ihr schon?“
„Wir leben im gesamten Raum, der Raum ist unser Zuhause.“
„Ist es nicht einsam im Raum?“
„Wir sind immer zusammen.“
„Jetzt auch?“
„Ja.“
Ein Polizeiwagen kam langsam über den Weg gerollt und hielt nicht
weit entfernt.
„Warum sprechen die anderen nicht mit mir?“
„Wir sprechen alle zu dir, aber nur mit einer Stimme.“
Ein Polizist und eine Polizistin stiegen aus und kamen auf Sophie zu.
Sie blieben direkt vor ihr stehen und sagten nichts.
„Hm“, machte Sophie. „Kinder dürfen in der Nacht nicht
alleine herumlaufen.“
„Ich weiß.“
Die beiden Polizisten standen wie angewurzelt da. Beide sahen sie
sehr nachdenklich aus.
„Was hast du gemacht?“
„Sie denken über das Verhalten von Katzen nach.“
Sophie lachte.
„Wie seht ihr aus?“
„Wie das Spiegelbild des Nichts, das Etwas oder das Alles.“
Sophie runzelte die Stirn.
„Es lässt sich nicht mit Worten erklären, Sophie.“
„Was ist das Spiegelbild des Nichts?“
„Das Spiegelbild des Nichts ist das Etwas. Ich werde es dir
zeigen.“
Sophie stand auf.
„Wohin gehen wir?“
„Siehst du meine Hand?“
Sophie machte große Augen, als eine gewaltige Hand direkt hinter den
beiden schwer nachdenkenden Polizisten aus dem Nichts erschien. Diese
Hand gehörte zu einem langen Arm der bis zu den Sternen reichte und
vielleicht irgendwo im Orbit zu einem Körper gehörte.
„Steige auf die Handfläche.“
Sophie kletterte rauf und die Hand hob sie in den Nachthimmel, weit
hinauf, bis sie die leuchtende Erdkugel unter sich sehen konnte. Die
Erde entfernte sich mit rasantem Tempo, innerhalb von Sekunden
schrumpfte sie zu einer Erbse und kurz darauf war sie überhaupt
nicht mehr zu sehen. Stattdessen konnte Sophie immer mehr Sterne
sehen, sie waren überall. Als sie merkte, dass sie sich nicht auf
die Sterne zubewegte, sondern von ihnen weg, hatte sie schon die
ganze Milchstraße in ihrem Blickfeld. Und dann tauchten plötzlich
andere Milchstraßen auf, manche doppelt so groß, wie die aus der
sie kam. Und diese Galaxien schienen sich zu unförmigen Haufen
zusammen zu ballen, während überall wo sie hinsah noch mehr dieser
Galaxienhaufen auftauchten und diese Haufen reihten sich wie Perlen
an einer Kette zu langen Fäden auf und bildeten schließlich ein
gewaltiges Netz aus leuchtenden Fäden, die scheinbar kein Ende
hatten.
„Das ist das Universum?“, fragte sie.
„Ein Teil davon.“
„Wie groß ist es?“
„Es ist unendlich groß, aber es hat einen Anfang und
irgendwann auch ein Ende.“
Sophie stand auf und drehte sich einmal um ihre eigene Achse. Das
Netz war überall.
„Können wir noch weiter weg?“
„Das könnten wir aber wir würden nichts anderes mehr sehen
außer das, was wir jetzt auch sehen. Das ist das Universum.“
„Aber ich würde es gerne vom Rand aus sehen, wirklich alles.“
„Es gibt keinen Rand, einen Rand gibt es nur auf einem Blatt
Papier aber nicht in einem Raum mit den dir drei bekannten
Dimensionen.“
„Dimensionen?“
„Dimension Eins: Nach vorne und nach hinten, Dimension Zwei:
Nach links und nach rechts und Dimension Drei: Nach oben und nach
unten.“
Sophie konnte es sich trotzdem nicht vorstellen aber ein Gefühl
sagte ihr, dass sie es verstehen könnte, wenn sie nicht so dumm
wäre.
„Na gut“, sagte sie nach einer Weile. „Und wo ist das
Spiegelbild des Nichts?“
„Du hast es vor dir. Dieses leuchtende Netz, ist das
Spiegelbild des Nichts.“
„Also, das Universum ist eigentlich Nichts? Es ist eigentlich gar
nicht da?“
„Natürlich ist es da, du siehst es doch. Das Spiegelbild des
Nichts ist ja nicht das Nichts, genau wie dein Spiegelbild nicht du
bist.“
„Aber dann ist das Universum also nur ein Spiegelbild und ein
Spiegelbild ist… ich verstehe das überhaupt nicht.“
„Ich habe dir ja gesagt, dass man das nicht mit Worten erklären
kann, jedenfalls nicht so, wie es tatsächlich ist. Du darfst nicht
denken, dass irgendwo da draußen ein Spiegel herum schwebt in dem
sich das Nichts gerne ansieht und dadurch Universen erschafft.“
Sophie saß wieder auf der Bank. Die beiden Polizisten dachten immer
noch über Katzen nach und immer noch waren nur 6000 Sterne am
Nachthimmel zu sehen.
„Du wolltest wissen, wie ich aussehe. Jetzt weißt du es.“
„Ja, du siehst aus, wie das Universum, was eigentlich nur ein
Spiegelbild des Nichts ist…
… es ist nichts.“