Das
Auto aus dem letzten Jahrhundert, dachte sie nackt vor dem Spiegel
stehend. Ihre Brüste hingen ihr bis zum Bauchnabel. Für einen
kurzen Moment war sie beeindruckt von der Dehnbarkeit ihrer Haut.
Dann fand sie das Bild wieder ziemlich traurig aber sie hatte gelernt
sich trotzdem in die Augen zu sehen, nach 80 Jahren lernt man so
etwas. Sie schaute in ihr eigenes Gesicht, ohne Regung, ganz
nüchtern, fest, unnachgiebig. Jemand hätte es „stolz“ genannt,
jemand anderes.
Draußen
ging er durch das lichte Treiben der Menschen ohne sie zu sehen,
geführt von seinem Hund. Dunkler Lidstrich auf heller Haut – wer
hatte ihm geholfen? Der Hund auch etwa? Auch die schwarzen
Fingernägel?
Ein
Punk wartet an den Schienen. Milchgesicht.
Sie
zog ihr Hemd an, die schwarzen Hosen. Ihre Tochter stand hinter ihr.
Sie sah sie im Spiegel. Wenn sie sich doch nur synchron mit ihr
bewegen würde. Doch ihr passte nicht, was sie sah und so stand sie
nur da, mit verschränkten Armen.
Draußen
auf der Straße kniete sich eine Frau im roten Kleid zwischen zwei
geparkte Autos.
Der
Hund führte seinen Menschen über die Schienen. Der Punk lehnte am
Maschendrahtzaun. Seine engen Hosen hatten ausgefranste Beinenden,
darunter trug er gelb-weiß-orangene Socken in schweren Boots. Er
krallte sich mit beiden Händen am Maschendrahtzaun, lehnte sich nach
vorne, lies sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Dann kam der Hund an
und setze sich bei Fuß. Der Blinde und der Punk umarmten sich.
Die
dunkle Hautfarbe fiel ihr sofort ins Auge, sonst hätte sie die
vorbeirauschende Frau vielleicht gar nicht bemerkt. Immer noch kniete
sie zwischen den geparkten Autos und ließ den Urin laufen.
Sie
durchquerte den Platz auf dem nur wenige Menschen gingen. Dann wusste
sie aber nicht mehr wohin sie wollte und blieb stehen. Alle gingen an
ihr vorbei und sie beachtete niemanden außer die eine Frau die dann
kam. Sie erinnerte sie an eine alte Freundin, alte Erinnerungen
erwachten.
Die
Frau bemerkte sie, weil sie da stand wie vergessen. Kurz stoppte sie
beinahe aber was sollte sie sagen? Ging dann doch weiter.
Endlich
fertig. Peinlich. Sie stand auf, zog sich schnell ihren Slip hoch und
reihte sich in die Gangrichtung der anderen Wenigen.
Wohin
sollte sie nun gehen?
Sie
kam bei ihrer Putzstelle an, die Gedanken bei der verlorenen Personen
auf dem Platz. Sie kam in die Wohnung. Es war wie immer. Die Mutter
saß auf dem Sofa mit einem Glas Wein in der Hand. Der Vater
bereitete seine Krawatte in der Küche und war wie immer beschäftigt
auch wenn er Kakao trank und die Nachbarin im Garten beäugte. Die
Tochter saß auf dem Boden und strickte. Die dunklen Augen schauten
kurz auf, lächelten noch viel kürzer. Die Mutter zeigte wo der
Staubsauger stand.
Endlich
bewegte sie sich wieder, trotzdem, nicht wissend wohin, wozu? Alles
umsonst.
Die
Promenade war voller an Menschen. Eine Gruppe Jugendlicher trug
Schilder mit sich herum und protestierten laut. Polizei war auch da.
Die
Mutter redet auf dem Weg zur Tür eine Menge. Ihre Tochter wehrt sie
ab, als sie versucht ihr die Jacke zuzuknöpfen. Die Mutter dreht
sich von ihr weg und verdreht sie Augen. Der Vater kämmt sich eben
noch sein Haar, dann gehen alle aus der Wohnung.
Sie
fängt an den Staub zu saugen.
Die
Polizisten griffen nun ein und schafften die Jugendlichen in den
Einsatzwagen. Sie ließen sich davontragen wie nasse Säcke.
Zwischen
den Blöcken ging sie ziellos durch viele Schatten und grelles Licht
und der Gedanke aß von ihrer Haut: Das war scheiße!
Sie
polierte die Weingläser der Mutter, 6 Stück und alle benutzt. Dann
fiel ihr eines zu Boden und zersplitterte, auf dem Boden verteilten
sich die Scherben. Was wäre wenn? Sie stieß auch ein zweites Glas
herunter und die anderen nacheinander. Was wäre wenn ich nicht mehr
putzen würde? Was wäre wenn? Ihr fiel die vergessene Frau ein.
Es
war zu heiß, es war zu laut. Und sie musste doch nachdenken. Die
Schatten und das Licht wechselten zu schnell. Eine Treppe führte
plötzlich in die Höhe und sie stieg hinauf. Oben angekommen schaute
sie auf den Platz herunter und auf der anderen Seite auf die Wohnung
ihrer Tochter. Du bist weit gekommen…
Die
Mutter bedankte sich, übergab das Geld und lächelte dankbar,
freundlich. Der Vater lief vorbei in die Küche, um einen Kakao zu
machen. Und die Tochter blickte aus ihren müden, wachen Augen auf
und lächelte, wie immer, kurz bedeutungsvoll, wissend. Merkwürdig.
Der
Einsatzwagen fuhr davon. Der Polizist hinten schüttelte den Kopf. Um
ihn herum starrten ihn viele protestierende Augenpaare an.
Sie
eilte auf den Platz. Wo war sie?
Sie
schrie, einfach nur. Es versuchte sie niemand zu beachten.
Sie
stellte sich neben sie. Sie hörte auf zu schreien. Sie legte ihre
Hand auf ihre Schulter.
Über
ihnen strahlte der Himmel, weil es ein sehr schöner Tag war.