Sie
nahm den Schlüssel aus der Seitentasche ihres Rucksacks und schloss
die Tür auf. Im Flur zog sie sich die Schuhe aus, ging in ihr
Zimmer, legte die Tasche aufs Bett und setzte sich an den
Schreibtisch. Sie machte ihren Computer an und wartete einen
Augenblick bis das System hochgefahren war. Sie meldete sich an,
stand wieder auf und nahm den Camcorder vom Regal über ihrem
Schreibtisch.
Draußen
brannte die Sonne auf die Plattenbauten und die einfachen Parkanlagen
darum. Man hörte das Rauschen der Stadt, etwas Wind und ein
schwarzer, großer Vogel landete auf Beton, um einige Schritte zu
machen, um dann wieder davon zu fliegen. Er verschwand in einem Baum.
Jemand
machte eine Balkontüre auf. Eine Frau stellte einen Plastikeimer
raus und verschwand still im Schatten ihrer Wohnung. Die Hitze machte
ein eigenes Geräusch, wie das Rauschen der Stadt.
Sie
hatte den Camcorder an ihren Computer angeschlossen und vor sich
aufgebaut. Dann sah sie ihr Gesicht in einem Fenster auf dem Display.
Sie fing an zu reden und mit ihren Händen zu gestikulieren. Nach
einer Weile stand sie auf zwinkerte in die Kamera, schob den Stuhl
weg, damit die Kamera freie Sicht auf sie hatte, als sie sich mitten
im Zimmer hinstellte und einen Handstand machte. Dann kam sie wieder
näher heran und plapperte fröhlich. Und dann entfernte sie sich
wieder und machte einen Radschlag.
Die
Wohnungstür ging auf und eine Frauenstimme rief etwas und sie rief
zurück, plapperte wieder in die Kamera, zwinkerte und wieder rief
die Frauenstimme etwas. Sie verdrehte die Augen, lächelte, sagte
etwas und kicherte, dann verschwand sie für eine Minute. Als sie
zurück kam hatte sie zwei Zuckerstangen (oder so etwas in der Art)
in beiden Händen und tanzte damit wie ein Ninja mit zwei asiatischen
Schwertern. Wieder redete sie in die Kamera, sie schien etwas über
die Süßigkeiten zu erzählen und sie hatte viel zu sagen, selbst
über das durchsichtige Plastikpapier in das die beiden Stangen
eingepackt waren.
Norwegen.
Er wachte zum zweiten Mal auf, vorhin konnte er sich nicht dazu
bewegen aufzustehen. Er setzte sich im Bett auf. Sein Tablet-Computer
fiel von seiner Brust. Er machte ihn an und tippte das neueste Video
von Mikhailova an. Was sie sagte, wusste er nicht wirklich aber er
konnte es sich fast vorstellen. Sie machte einen Handstand, einen
Radschlag und dann kam sie mit Zuckerstangen (oder so etwas in der
Art) und tanzte. Diese Zuckerstangen gab es hier nicht.
Er
stand mit dem Tablet in den Händen auf und ging blind durch den
Flur, seine Augen unentwegt auf das Display gerichtet. Im Badezimmer
stellte er sich vor den Spiegel. Das Video war zu ende. Thumbs up!
Draußen
schien auch hier die Sonne. Häuserreihen bildeten mit ihren kurvigen
Straßen einen frischen Wohnpark. Niemand zu sehen.
Er
stellte seinen Tablet-Computer vor dem Spiegel auf, um mit der
internen Kamera ein Video aufzunehmen. Er begrüßte seine Fans im
Netz und erklärte einige Dinge. Er wusch sich vor laufender Kamera
sein Gesicht, zuerst mit Wasser, dann mit einer speziellen Seife (die
er vorher auch erklärte) und schließlich mit einem Wässerchen aus
einer Kristallflasche. Er puderte sich sein Gesicht, verwendete
Make-up, Eyeliner und plapperte während dessen sehr viel.
Ob
er sich später wieder abschminkte, bevor er das Haus verließ, würde
in seinem Video nicht mehr zu sehen sein aber wahrscheinlich verließ
er das Haus ohnehin nicht. Es war Wochenende.
Frankreich.
Sie tippte das Video von Hedge Hog an. Er grüßte und sie grüßte
sehr glücklich zurück, dabei konnte er sie gar nicht hören, es war
ja nur eine Aufnahme. Sie küsste immer wieder ihren Tablet, wenn er
direkt in die Kamera blickte. Nachdem das Video zu ende war lud sie
es herunter, um es anschließend auf ihrem eigenen Account zu
veröffentlichen, auf dem bereits all seine anderen Videos zu sehen
waren neben Videos von Menschen aus aller Welt, Menschen die sie
liebte, mal geliebt hatte oder immer mal wieder liebte.
Japan.
Er untersuchte das Video-Portal-Profil, manchmal waren auch E-Mail
Adressen zu finden, Links zu anderen Account auf denen Links zu
anderen Accounts zu finden waren auf denen Links zu Freunden waren.
Er kannte manchmal Menschen die auf der anderen Seite der Welt lebten
besser, als seine eigenen Kinder.
Die
Wohnung wurde ihm manchmal zu eng obwohl sie für tokioter
Verhältnisse relativ groß war. Draußen regnete es. Er wusste nicht
welche Stadt in der Vergangenheit nicht japanische Hauptstadt gewesen
ist und der Mann im Fernsehen in einer Quizsendung auch nicht.