Montag, 10. März 2014

Arche 016


Zwischen Dusonstadt und Cornarea - Odyssee durchs Weltraum 2


Aufzug 6 zog sich am hauchdünnen Filmband immer weiter in die Höhe. Irgendwo am Ende dieses Films raste die Andock-Stelle um die Erde herum und zog ihrerseits am Band. Die Reise dauerte einen ganzen Tag lang.

Erdzeit: 22104836 Archenzeit: 00000000

Der Aufzug dockte an. Im Inneren merkte man nichts davon. Lichter über ihren Köpfen gingen an, das Hologramm an der Decke ging aus und gab die Schleuse dahinter frei.
Lösen sie jetzt bitte ihre Gurte“, sagte der Pilot, der Crisin beim Start mit ihrem Anzug geholfen hatte. „Beachten sie, das keine Schwerkraft herrscht, bewegen sie sich daher umsichtig – langsam.“
Die 88 Passagiere lösten nacheinander ihre Gurte und schwebten langsam zur Decke. Im selben Moment zischte es kurz an der Schleuse und sie ging langsam auf.
Seien sie vorsichtig an den Schleusentoren“, sagte der Pilot. „Sie werden nicht stoppen wenn sie ihnen im Weg sind.“
Die ersten Reisenden schwebten in den Tunnel dahinter. Das Ende war hell erleuchtet und dort standen Menschen in weißen Uniformen.
Crisins Mutter nahm sie an den Arm und ihr Vater klemmte sich auf der anderen Seite bei ihr ein. Dann stieß sie sich mit einem Bein vom Sitz weg und zusammen schwebten sie auf die Schleuse zu.

Die Leute in den weißen Uniformen nahmen sie in Empfang.
Hüpfen sie vorsichtig bis zur Fähre“, sagte einer von ihnen.
Die Piloten des Aufzugs kamen als Letzte in die Andock-Stelle. Sie fingen an sich mit den Leuten in Weiß zu unterhalten.
Wir haben ein Problem“, hörte Crisin. Sie sprachen leise.
Der Gang endete bei einer weiteren Schleuse, die bereits offen stand. Sie führte ins Innere einer Fähre, die zur Arche fliegen sollte.
Nehmen sie ihre Plätze ein“, sagte eine Frau die ebenfalls eine weiße Uniform trug. „Wir haben noch eine Stunde zu warten – bis alle Aufzüge angekommen sind und alle Fähren besetzt. Dann nehmen wir zusammen Kurs auf unser neues Zuhause.“


Eine Stunde später starteten 16 Fähren. Die Arche lag nur knapp 100 000 Kilometer entfernt. In drei Stunden kamen sie an.

Erdzeit: 22104836 Archenzeit: 01010000

Arche 016 sah aus wie eine selbst gedrehte Zigarette aus dessen beiden Enden noch sehr viel Tabak herauslugte. Die Struktur hatte einen Durchmesser von 16 Kilometern und eine Länge von ca. 130 Kilometern. Es war die größte Arche, die gebaut worden war und sollte Platz für eine halbe Million Menschen bieten. Die Fähren sahen neben ihr aus wie Staubkörner.
Arche 016 beherbergte eine ganze Welt. Von außen sah man nur die Ummantelung dieser Welt, die sich in einem zylindrischen Raum innerhalb dieser Ummantelung befand. Die Wände in diesem Zylinder bedeuteten den Boden auf welchem man laufen würde – abgesehen von den Wänden an den beiden Enden des Zylinders. Man konnte auf die andere Seite dieser Welt schauen, wenn man den Blick in den Himmel hob, wo sich ein langer Schacht über die ganze Länge des Zylinders lang zog und mit grellem Licht leuchtete – er stellte die künstliche Sonne dar. Damit diese Welt nicht auseinander brach und die Böden auf einander zustürzten und damit die Menschen auf dem Boden blieben und nicht in den künstlichen Himmel davon schwebten, drehte sich dieser Zylinder innerhalb der Ummantelung in eine Richtung. Durch die Geschwindigkeit der Bewegung wurde jegliches Material an die Wände gedrückt und auch alle Lebewesen in dieser Welt bekamen festen Boden unter den Füßen. Und weil alles so gewaltig groß war, spürte man von diesen Kräften kaum etwas – das Leben würde genau so sein, wie auf der Erde bei 1 G.
Nun könnte man meinen, dass ein Raumschiff mit einer zylindrischen Form mit einem seiner Enden voran fliegen würde, Arche 016 flog jedoch in die Richtung in die sich auch die Zylinder-Welt im Inneren drehte. Man könnte sagen, Arche 016 rollte durch den Raum, was es natürlich nicht ganz traf. Arche 016 flog natürlich mit der Nasenspitze voran, nur saß die Nasenspitze bei diesem interstellarem Raumschiff da, wo es niemand erwarten würde.

Arche 016 beschleunigte mit einem Inter-Impuls-Antrieb und wurde durch mehrere Fusionskraftwerke stabilisiert und korrigiert. Diese Fusionskraftwerke würden dass Schiff irgendwann auf halber Strecke der Reise langsam und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt abbremsen, bis die Arche in eine Umlaufbahn von Cornarea ging.

Arche 010 … Impuls!“
Aten bemerkte drei gewaltige Lichtblitze von der Fähre aus. Irgendwo in der Tiefe des Alls, begab sich die erste Arche auf ihre lange, lange Reise.
Arche 008 … Impuls!“
Wieder drei Blitze in der Tiefe.

Arche 003 hatte eine Länge von 68 Kilometern und gehörte damit zu den größeren Generations-Schiffen. Sie beherbergte jetzt schon seit mehr als einem Jahr knapp 400 000 Menschen die alle auf den Start warteten. Und plötzlich war es soweit.
Der Inter-Impuls-Antrieb funktionierte auf solch einfache Weise, dass er geradezu peinlich war: Drei stark gewölbte Teller, jeweils zwei an den beiden Enden und einer in der Mitte dienten als eine Art Schutzschild vor der Explosion. Vor jedem Teller wurde eine sehr starke Bombe platziert – im Fall von Arche 003 eine 100 Megatonnen-Wasserstoffbombe – und alle Bomben würden synchron gezündet werden. Durch den Impuls der von der Explosion ausgehen würde, würde die Arche in den Raum geschubst werden.

Aten sah jetzt seine Arche. Arche 016.

Zwischen Dusonstadt und Cornarea - Odyssee durchs Weltraum


Erdzeit: 21104836 Archenzeit: 00000000

Dusonstadt, Sektor 1131, afrikanischer Kontinent, Space-Hafen „Namibia“.

Der Space-Hafen sah aus wie eine gewaltige Röhre mit abgerundeten Kanten, die 100 Meter in den Himmel ragte. Oben auf dem flachen Dach standen die 10 Aufzug-Startrampen. Kein Mensch da.
Unten auf dem Boden vor der Megastruktur drängten Massen auf die Mauern ein. Die Vordersten wurden gegen das Gebäude gedrückt, stürzten hin, wurden zertrampelt.
Wie ein wahnsinnig-gewordener Ameisenhaufen, der sich durch eine Stahlmauer zu drücken versuchte.
Das Rauschen der Stimmen – mit der Zeit hörte es sich nur noch an wie ein Rauschen – schallte durch die Luft, wahrscheinlich bis zum Horizont, wo die Sonne im Wasser versank. Schon bald würden sich die Polarlichter aus dem Nichts ergießen und am Nachthimmel leuchten wie Wasserfälle aus Licht.
Das Magnetfeld ging jetzt täglich aus und an manchen Orten ging es nicht mehr wieder an. In den südafrikanischen Sektoren starben vor einigen Wochen viele Menschen. Die meisten lebten jetzt in ihren Kellern.
In Sektor 1 in Zentral-Europa brachte eine solche Schwankung des Magnetfeldes der Erde alle Kraftwerke zum erliegen und Ki (die künstliche Intelligenz) stürzte ab. Die Dusonstadt stand vor ihrem Ende.

Crisin saß auf einem viel zu großem Sitz zwischen ihren Eltern in Aufzug 6. Ki hatte sie noch rechtzeitig ausgewählt, bevor sie die Kontrolle über die gesamte Stadt-Sphäre verloren. Sie drei hatten einen Platz auf der Arche 016 bekommen, einem von 138 Generations-Schiffen, die im Orbit der Erde schwebten. Die meisten dieser Archen waren noch lange nicht fertig aber den Menschen auf der Erde blieb keine Zeit mehr. Die Erde würde in einigen Jahren nicht mehr bewohnbar sein, da sich das Magnetfeld auflöste – es polte sich um. Irgendwann in der Zukunft würde es zwar wieder auftauchen – der Süden ist dann der neue Norden und umgekehrt – aber bis es sich wieder aufgebaut hat, wird die Strahlung der Sonne das meiste Leben ausgelöscht haben.
Crisin merkte, dass der Handschuh ihres Anzugs, der die erhöhten G-Kräfte beim Start zum Teil absorbieren sollte, nicht richtig saß. Sie versuchte ihn fester mit dem Rest des Anzugs zu verbinden. Irgendwie mochten sich die beiden nicht besonders. Der Handschuh ging eine Verbindung ein, der Ärmel des Anzugs löste die Verbindung aber sogleich wieder auf.
Einer der Piloten bemerkte Crisin und kletterte über die Leiter zu ihr herunter.
Ich helfe dir“, sagte er und nahm ihre Hand in seine und hob ihren Arm weit in die Luft.
Crisins Mutter wandte sich zu ihr um.
Was ist los?“, fragte sie besorgt.
Der Pilot schüttelte den Kopf.
Schon in Ordnung, achten sie darauf, dass die Energiezufuhr im Gewebe nicht zu sehr abgedrückt wird.“
Crisins Handschuh schmiegte sich an ihre Hand und verband sich mit dem Ärmel ihres Anzugs und dieser schmiegte sich ebenfalls eng an ihre Haut.
Legen sie jetzt bitte die Helme an“, sagte der Pilot laut.
Einige der Insassen hatten diese bereits an, die anderen setzten sie jetzt auf. Crisins Mutter half ihr dabei und danach ihrem Mann, der seinen defekten linken Arm nicht mehr nutzen konnte. Er musste ihn mit der rechten Hand festhalten, weil er hin und wieder ein Eigenleben begann und komisch durch die Luft aus schlug.

Die Fahrstühle wurden aus ihren Verankerungen gelöst. Die Rollklammern schnappten zu, umschlossen das Aufzugsband, welches vom Himmel herunter hing.
Zündung!
Irgendwo hinter Crisin explodierte etwas dumpf. Der Ruck danach war gewaltig. Sie wurde in ihren Sitz gepresst. Das Hologramm an der Aufzugsdecke zeigte die Wolkenfetzen schnell näher kommen und schon bald waren sie verschwunden. Das Hologramm zeigte viele Zahlen und Diagramme an. Crisin verstand kaum etwas davon aber sie versuchte sich darauf zu konzentrieren, um den Druck auf ihrer Brust zu vergessen, das Atmen fiel ihr so schwer, dass sie glaubte um 100 Jahre gealtert zu sein.
4 G“, sagte einer der Piloten.
In ihrem Bauch fühlte sie ein Kribbeln, wie auf einer Achterbahn vielleicht, aber es hörte nicht auf und sie befürchtete schon, sich jeden Moment in die Hosen zu machen, als der Druck schnell wieder nachließ.
Merde“, schimpfte ihre Mutter im Flüsterton.
Die Schutzluken an den Wänden des Aufzugs öffneten sich. Crisin blickte in die volle Sonne, die vorhin bereits untergegangen war. Ihr Vater saß am Fenster und konnte hinaus sehen. Er sah den ganzen Kontinenten. Die Erde leuchtete wie ein Diamant aber sie entfernte sich auch schnell und weit über ihnen kam ihnen die Dunkelheit entgegen.