Eigentlich hätte der
Kaffee schon fertig sein müssen. Er musste sich beeilen, irgendwie
wurde ihm bereits etwas schwindelig. Er warf sich einen halben
Zahntab ein und nahm einen Schluck Wasser und hielt den Mund
geschlossen, während sich der Tab auflöste und in seinem Mund zu
schäumen begann. Aus Gewohnheit griff er nach seinem Rasierapparat,
da fiel ihm ein, dass er sich nicht mehr zu rasieren brauchte. Mit
der Hand strich er über seine glatte Wange und lächelte. Er
schluckte den Schaum im Mund hinunter, legte seinen Finger auf den
Blutzucker-Tester und wartete das Ergebnis ab. 214 mg/dl, etwas hoch
für seinen Fall – er musste endlich seinen Kaffee haben.
Im kleinen Wohnzimmer mit
Wandküche dampfte bereits eine fertige Tasse. Er nippte vorsichtig
an ihr, dann machte er die Kühlschranktür weit auf.
„Es fehlen:
Gouda von Biofarm, Biofit-Produkt,
Gouda von Biofarm, Biofit-Produkt,
Salami von Genzer,
Biofit-Produkt,
Senf von K und K.
Möchten sie die Produkte
bestellen?“
„Ich gehe heute selbst
einkaufen“, murmelte er.
Seine Tasse stellte er
auf den Tisch vor dem Sofa und setzte sich. Der Fernseher ging an.
„TiVi, Kanal Phönix“,
sagte er.
In den Nachrichten kam
nichts Neues, immer wieder die selben Bilder. Staubige Gebäude
dienten als Kulisse für ein körniges Video und Soldaten die man
kaum erkennen konnte. Beliebt waren auch Nachtaufnahmen einer
bombardierten Stadt. Man sah nur viele kleine Lichter und
zwischendurch leuchtete etwas helleres kurz auf.
„Sie haben Post“,
kündete TiVi an.
Er nahm einen weiteren
Schluck von seinem Kaffee. Langsam kam er zu Kräften und seine
Lebensgeister erwachten. Der Tag konnte also beginnen.
„Tivi, Lese Post
Betreff“, sagte er.
„Im Posteingang liegen
drei ungelesene Mails:
Mail von gestern 17 Uhr 33, Betreff: Hi,
Mail von gestern 17 Uhr 33, Betreff: Hi,
Mail von gestern
18 Uhr 45, Betreff: Unisoft,
Mail von gestern
23 Uhr 12, Betreff: Dienst.“
Er seufzte. Nichts
wichtiges also.
„Tivi, Lese Mail mit
Betreff Dienst“, sagte er.
„Mail von gestern 23
Uhr 12 mit Betreff Dienst:
Hallo Lukka,
hier sind deine Dienste
für nach dem Urlaub.
Schönen Urlaub noch –
Kiara.
Mail enthält einen
Anhang im t x t Format.“
„Tivi, sende Anhang
nach Lukka2801“, sagte er.
„Anhang von Mail mit
Betreff ….“
„Tivi, tschau“,
unterbrach er.
„Bis später“,
verabschiedete sich Tivi und ging aus.
Er stand auf, um sich
eine Jacke umzuwerfen, setzte sich auf dem Boden hin und streifte die
neuen Turnschuhe über. Er hielt inne. In weiter Ferne irgendwo
donnerte es gewaltig. Er stand auf und ging zum Fenster, die
Rollladen rollten hoch. Die aufgehende Sonne biss ihm in die Augen.
Die Stadt breitete sich vor ihm aus, wie ein unendlicher Haufen
Betonkacke in dem es sich ekelhaft regte, kräuchte und fläuchte.
„Ich gehe jetzt
einkaufen“, ermahnte er sich.
Er nahm die Hausschlüssel
von der Mikrowelle und steckte sie in seine Jackentasche. Und bevor
er die Tür öffnete nahm er noch einmal tief Luft. Jetzt stand er
schon mal in dem langen, gebogenem Flur – hinter ihm ging die
Haustüre ins Schloss. Er machte sich auf dem Weg zu den Liften. Zu
seiner Linken bestand die Wand aus einem gewölbten Glas das vom
Boden bis zur Decke reichte. Manchmal fühlte man sich, wie in dem
langen Bauch einer gläsernen Anakonda. Er konnte auf den Südteil
des Beton- und Glasfeldes unter sich blicken. Es gab kein Ende.
Ein Flugzeug nahm
Landeanflug auf den Flughafen Gates und gäbe es ein Fenster das er
hätte öffnen können, so hätte er auf die Maschine runter spucken
können. Er kam an den Liften an und musste warten. Hier endeten
seine Reisen vorwiegend, denn während er wartete überlegte er es
sich oft anders und kehrte um. Oder er trieb ihn zu den
Aussichtsplattformen. Dort verbrachte er manchmal seine Tage, wenn
nicht allzu viel los war. Am liebsten saß er an See One, die anderen
wurden zumeist von Familien mit Kleinkindern beansprucht, weil man in
ihnen baden konnte und sie nicht allzu tief waren.
Er stieg in einen leeren
Lift ein und setzte sich auf einen Sitz direkt neben dem Glas mit dem
Bedienfeld. Er berührte das Glas an der Stelle wo „Ausgang“ in
mehreren Sprachen flimmerte und der Lift setzte sich in Bewegung. Das
Bedienfeld zeigte auch die momentane Höhe des Liftes an – 1876 m –
und er vertrieb sich jedes Mal die Zeit damit zu beobachten wie die
Zahl immer kleiner wurde während der Lift in die Tiefe stürzte. Es
dauerte oft bis zu einer halben Stunde, bevor man unten ankam und die
Arkologie verlassen konnte.
„Goliath –
Geschäftszentrum“, verkündete der Lift mit einer freundlichen
aber sehr künstlichen Stimme. Dann ging es weiter.
„Goliath –
Freizeitpark und Geosphären.“
Und weiter ging es. Eine
alte Frau stieg beim nächsten Halt hinzu.
„Goliath –
Medizinisches Zentrum.“
Der Lift raste dem Boden
entgegen. Die alte Frau legte ihre knochige Hand auf ihre Brust und
atmete einige Male durch. Sie bemerkte, dass er sie besorgt ansah und
schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. Er lächelte zurück.
„Goliath – Bahnhof –
der Lift endet hier.“
Er folgte der alten Dame
aus dem Kasten in eine gigantische Halle, in der mehrere Kathedralen
Platz gefunden hätten. Hier trieben Menschenmassen in gewaltigen
Strömen entweder in die eine Richtung oder in die andere. Eine
Magnetbahn hielt an einem Gleis in der Nähe. Er blickte zurück. Der
Lift war schon weg.
„Okay, ich kaufe nur
einige Sachen ein … mal sehen was.“
Zu seiner rechten sprach
ihn das Bild einer hübschen Frau an.
„Hey, Lukka2801! Was
machst du heute?“
Es war eine überdimensionale Werbetafel, die offensichtlich für
irgendein Nachtclub warb, denn die Frau hielt eine eiskalte Flasche
mit Zitronenbier oder so etwas in der Art in ihrer Hand und hinter
ihr tanzten bunte Menschen mit ausgefallenen Accessoire
(nebensächliche Zubehörteile).
„Treffen wir uns im
Bakku-Club? Bring deine Freunde mit!“
Sie wandte sich lässig
von ihm ab und begann zu tanzen, dann zersprang das Bild in tausend
Teile und regnete auf ihn herab. Und schon war es vorbei. Als
nächstes tauchte ein seriöser Mann auf dem Bild auf. Hinter ihm
prangte das übergroße Banner von Phönix, seinem Lieblingssender.
„Guten Tag, Lukka2801,
schauen sie doch gleich mal nach unseren neuesten Beiträgen die wir
für sie zusammen gestellt haben – wir freuen uns auf ihre
Kommentare.“
Er ging weiter. Wieder
musste er in einen Lift, dieses Mal dicht gedrängt inmitten von
Anzügen, schnatternden und übertrieben gut-riechenden Mädchen und
anderen merkwürdigen Gestalten. Es ging aufwärts, zur Zugangsbrücke
zu den Gleisen. Weit über sich bemerkte er noch mehr Werbetafeln,
die von der Decke hingen und tolle Sachen anpriesen.
„Der ist süß“,
sagte eines der Mädchen im Flüsterton jedoch so laut, dass es auch
ja jeder im Lift mitbekam. Er schaute hinunter auf drei Magnetbahnen,
die wie weiße Schlangen, tot und in Rillen gequetscht darauf
warteten mit Maden jeder Hautfarbe gefüllt zu werden. Dann erwachte
eine von ihnen zum Leben und bewegte sich langsam aus der Halle ins
Sonnenlicht. Der Lift hielt.
Er hörte, wie eines der
Mädchen ihm einen lauten Knutschlaut nach warf, bevor er die
Rolltreppe zu Gleis 36 nahm. Am unteren Ende wurde er von
Jugendlichen mit lauter Musik, die aus einem Kommunikator
in der Hand eines Irokesen stammt, empfangen. Sie wippten leicht mit
ihren Köpfen zum Takt der Musik, der schwer zu ermitteln war, da die
Musik anscheinend aus einigen hundert Tracks bestand.
Als
er an ihnen vorbei ging sahen sie ihn an, als wollten sie ihn zu
irgendetwas herausfordern aber er wusste, sie wollten gar nichts.
„Yo“,
sagte ein Mädchen mit Glatze, als sich ihre Blicke trafen. Er nickte
ihr nur zu. Erst als er vorbei war drang ihr Bild so richtig zu ihm
durch. Ihr hatte ein Ohr gefehlt – das Linke. Sie hatte sich einen
dicken Pfeil auf ihre Kopfhaut tätowiert und dieser Pfeil zeigte auf
die Stelle an der sie einst Mal ein Ohr gehabt hatte.
„Hm“,
machte er. Das musste einer dieser Menschen gewesen sein, die nichts
von Prothesen und Human-Erweiterungen hielt. Viele von ihnen trugen
ihre Behinderungen offen zur Schau aber eigentlich konnte er sich
auch nur irren. Seine Bahn hielt neben ihm, so leise und jeh wie ein
Luftzug. Er stieg ein.
da schreibe ich noch mehr :)
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