Sonntag, 26. April 2015

Baron Barol

„Hinter diesem Himmel ist noch einer und dahinter wieder ein Himmel und dahinter auch. Und wir, wie weit wir auch durch die Himmel gegangen sind, sind erst in unserem Wohnzimmer angelangt. Selbst der erste Wind auf Erden hat unsere Haustüren nicht verlassen und trotzdem fühlen wir uns erhaben, seit wir über das hohe Gras schauten indem wir uns aufstellten.“

Baron Barol lag träge auf dem See. Das Schiff nahm den gesamten Platz am Steg ein. Die wenigen Fischerboote hatte es zur Seite gedrängt, als es gelandet war. Christinen saß im Schneidersitz an Deck und verschlang ein hart gekochtes Ei nach dem anderen. Eine leere Plastikflasche Multi-Vitaminsaft rollte über die Planken über Bord und ins Wasser zu dem anderen Müll der die gesamte Küste des Sees schmückte.
„Christinen?!“
Der Hafenmeister kam über eine Leiter zu ihm hoch.
„Hörst du mir zu?“
Christinen streckte sich, ließ sich auf den Rücken fallen und schloss die Augen.
„Was willst du, Karo?“
„Du könntest mir bei einer Sache helfen, wenn du schon all meine Kundschaft einschüchterst. Senith hat sich schon seit drei Tagen nicht mehr blicken lassen, ich glaube, er ist ziemlich sauer – wann willst du eigentlich zurück zum Mars?“
Christinen gähnte und streckte alle Viere von sich.
„Weißt du was, Karo? Ich denke, ich werde gleich sofort abhauen, du hast recht – es wird langsam Zeit nach Hause zu gehen.“
„Hilfst du mir vorher die Deppen aus meinem Laden zu werfen?“ Karo machte einen Deut in Richtung seiner Blechhütte, die er zwischen zwei eingestürzten Türmen gebaut hatte. Da lungerten drei Idioten herum, die es anscheinend drauf ankommen lassen wollten.
Christinen setzte sich wieder auf.
„Karo, komm schon, du willst mir doch nicht erzählen, dass du mit denen nicht alleine fertig wirst.“
„Ich bin kein Kopfgeldjäger mehr, Christinen. Ich habe jetzt eine Familie, eine Frau und einen Sohn.... Du verstehst, ich gehe keine solchen Risiken mehr ein.“
„Risiko?“, murmelte Christinen mit einem prüfenden Blick auf die Drei beim Bistro. „Die stehen kaum noch auf eigenen Beinen, Karo.“
Karo schnaubte.
„Du kapierst das sowieso nicht, Christinen. Ist gut, ich mach das schon aber sie zu, dass du bald weg bist hier.“
Christinen salutierte und legte sich wieder hin. Der Himmel über ihm war wolkenlos, die Sonne brannte auf seinem Gesicht. Eine Brise kühlte. Sein Kommunikator am linken Arm fing an zu vibrieren. Er hob den Arm und hielt das Display in sein Sichtfeld.
„Erhöhte Rad-Werte aus Süd-Süd-Ost in einer Stunde und dreiundvierzig Minuten“, warnte der Bordcomputer.
Er hörte Karo mit den drei Idioten streiten, setzte sich nochmals auf, seufzte und erhob sich träge.
„Ich hasse diesen Planeten“, murmelte er.

Karo räumte die leeren Flaschen von den Tischen.
„Kommt schon Leute, ich möchte schließen, ihr könnt morgen wieder kommen.“
„Nein“, sagte einer von den Dreien mit langsamer Stimme. Er hatte eine Glatze mit einigen wenigen Haaren hinter den Ohren. „Ich will noch nicht gehen – ich will lieber noch ein bisschen saufen.“
„Dann musst du das woanders tun“, sagte Karo, „steht auf und geht.“
Einer der Männer stand tatsächlich auf aber nicht weil er gehen wollte, sondern um sich über den Tisch nebenan zu übergeben.
„Scheiße“, rief Karo. Er packte den Betrunkenen am Kragen und warf ihn auf die Straße. Die beiden anderen sprangen auf. Der Glatzkopf schlug Karo ins Gesicht. Er taumelte zurück.
„Okay, hört zu, ich will keinen Ärger mit euch aber ihr geht jetzt!“
„Nein – ich will noch nicht gehen, ich will lieber noch ein bisschen saufen.“
Sein betrunkener Kollege nickte eifrig.
„Horito!“, rief der Glatzkopf. Er meinte das arme Schwein, dass sich übergeben hatte und nun in Richtung Steg taumelte. „Komm zurück, du vollkommen verblödeter Hornochse!“
Horito hob seine Fäuste, taumelte nun im Zickzack über den Steg und rief: „Wo ist das Schwein, wo ist er?“
Christinen stand plötzlich in seiner Bahn. Er packte den Betrunkenen am Hals, hob ihn mit einer Hand in die Luft und ließ ihn ins Wasser fallen. Dann spazierte er zum Bistro und ließ seine Pranken auf die Schultern des Glatzkopfs krachen, der sofort einknickte und nun kniend zu Christinen aufschaute.
„Mein Kollege möchte schließen“, sagte er.
„Oh“, machte der Glatzkopf. Er nickte. „Selbstv- verständlich.“
Christinen half Karo die Stühle an die Tische zu ketten, während die Säufer davon torkelten.
„Na also“, meinte Karo, „war das zu viel verlangt?“
„Danke, Karo“, sagte Christinen, „für den Liegeplatz. Ich bin dann mal weg.“
Karo nickte. Aber als Christinen schon wieder an Deck seines Schiffes war rief er: „Komm bald wieder, Christinen, alles klar? Der Steg gehört dir.“ Er lachte.

Christinen winkte ihm zu und verschwand im Hangar der Baron Barol.



„Meine Meinung ist, dass das Universum nur existiert, damit Leben entsteht. 13,7 Milliarden Jahre musste es sich entwickeln, bis es endlich soweit war und Leben entstehen konnte.

Bis zum heutigen Tag haben wir es nicht geschafft, ein Gefühl zu simulieren, und zwar so, dass es für eine Maschine eine Bedeutung hat – und ich sage: Kein Wunder, wir sind noch keine 13,7 Milliarden Jahre alt.“

„Aber Maschinen sind keine Lebewesen, nicht wahr?“

„Nein, aber sie können es werden – irgendwann. Sehen sie, Maschinen bestehen aus nichts anderem, als aus dem aus dem auch ein Lebewesen besteht. Ein Lebewesen ist nichts anderes, als eine höchst-komplexe Maschine, deshalb können wir auch einige Prozesse, die in unserem Körper stattfinden, nachbauen. Wenn wir das Wissen hätten, könnten wir sogar einen ganzen Menschen nachbauen - was natürlich und nicht zu unrecht, verboten ist!“

„Vollkommen unmöglich, obgleich es schon viele versucht haben, natürlich.

Aber sagen sie, Professor, verliert das Leben nicht an Besonderheit, verliert es nicht seine Magie, seinen Geist und seine Seele, wenn man Lebendes mit Maschinen vergleicht – das muss doch bedeuten, dass wir nichts weiter als programmierte Roboter sind.“

„Keinesfalls. Bedenken sie, das Leben ist vom Universum selbst programmiert worden, es ist so kompliziert und undurchschaubar, so voller Geheimnisse...

… wissen sie, ich und viele meiner Kollegen haben begonnen erst an Wunder zu glauben, als wir uns immer tiefer mit der Lebensforschung beschäftigten. Ich kenne einen Lebensforscher, der gab die Forschung irgendwann auf und wurde Mönch auf Calisto.

Das Leben ist besonders, es ist magisch, es hat einen Geist und eine Seele aber das bedeutet nicht, dass man es deshalb nicht logisch und wissenschaftlich erklären kann – Stück für Stück, vielleicht bis in alle Ewigkeit, wer weiß.“

Christinen schaltete die Übertragung ab. Die Baron Barol raste durch den Raum mit Kurs auf eine Umlaufbahn um den roten Planeten, seinem Heimatplaneten.