Heute wachte ich auf dem Wagen einer Gefangenenkarawane auf. Die beißende Kälte musste mich geweckt haben. Ich zitterte am ganzen Leib, wie die steifen Äste der Nadelbäume in der eisigen Brise, an denen wir vorbei fuhren. Vielleicht brachten sie uns zurück nach Bruma, um uns dort ins Gefängnis zu werfen, war mein erster Gedanke aber ich ahnte unbewusst, dass wir gar nicht mehr in Cyrodiil waren.
"Ah, du bist wach", sagte der Nord mir gegenüber. Er hatte langes, blondes Haar und sehr helle Haut. Eben so, wie Nord aussahen. Doch für mich leuchtete er gerade zu und seine hellen Augen schienen in mich hinein zu sehen, ich konnte seinem Blick nicht stand halten und sah stattdessen zu meinen nackten Füßen. "Du wolltes wohl auch die Grenze überqueren, genau wie wir und dieser Dieb da drüben."
Neben ihm saß ein anderer Mann. Er sah nicht aus wie ein Nord, sein Haar war dunkel und seine Haut gerötet, wie von der Sonne verbrannt. Er trug eine schwarze, schmutzige Robe und wirkte auch sonst heruntergekommen.
"Verdammt sollt ihr Sturmmäntel sein", fluchte der Dieb, "in Himmelsrand war alles in Ordnung, bis ihr gekommen seid!"
Ich bemerkte seine Fesseln, während er sich noch weiter über die Sturmmäntel ausließ. Es waren dicke Taue, wie sie auf Schiffen verwendet wurden und sie waren so fest geknotet, dass sie tief in seine Haut schnitten. Und auch den Nord hatten sie gefesselt und auch mich. Und neben mir saß noch jemand, auch gefesselt aber er schien anders zu sein. Seine Robe war aus gutem Stoff und kunstvoll verziert, ein Pelz lag auf seinen Schultern aber seine Bekleidung war es nicht die ihn von den beiden anderen abhob. Ich weiß nicht warum, aber etwas sagte mir, dass er ein Anführer war, ein König vielleicht, jedenfalls wirkte er so auf mich, wie ein König. Und ich sollte nicht falsch liegen...
".... Hätten sie nicht nach euch gesucht, hätte ich das Pferd vielleicht stählen können und wäre jetzt schon auf halben Wege nach Hammerfell", erzählte der Dieb. Er sah dann mich an. "Du da, du und ich, wir sollten gar nicht hier sein. Es sind diese Sturmmäntel hinter denen das Kaiserreich her ist."
Ich sah ihn nur an. Keine Ahnung was ich ihm sagen sollte. Irgendetwas stimmte nicht mit mir. Ein merkwürdiges Gefühl in meinem Kopf, so, als sei ich noch nicht wirklich wach. Ich musste wirklich darüber nachdenken bevor mir ganz plötzlich klar wurde, dass ich mich nicht daran erinnern konnte, was gestern gewesen und was vorgestern war.
Dann hörte ich in meinem Kopf jemanden meinen Namen rufen. Ich hörte ihn von vielen Stimmen rufen, von Frauen und Männern und dann erinnerte ich mich an ein Zeltlager in einem Wald aus bunten Bäumen, die in der Abendsonne leuchteten. Ich erinnerte mich an ein Feuer und an tanzende Personen und jemand übergab mir einen Bogen und sagte: "Du bist bald erwachsen, doch soll er dir jetzt schon gehören... damit du schon mal üben kannst." und dann spürte ich ein Lächeln und wieder rief jemand meinen Namen. Ronya.
"Und was stimmt mit dem nicht?", fragte der Dieb herablassend und meinte den Mann neben mir und ich bemerkte erst jetzt, dass man ihn geknebelt hatte, wobei man dabei sehr gründlich vorgegangen war. Der Mann wäre wahrscheinlich erstickt beim Versuch etwas sagen zu wollen aber er zog es anscheinend ohnehin vor still zu sein.
"Passt auf was ihr sagt", rief der Nord, "ihr sprecht mit Ulfric Sturmmantel dem wahren Großkönig."
Der Dieb zog die Augenbrauen hoch, er schien überrascht.
"Ulfric? Der Jarl von Windhelm?", fragte er mit hoher Stimme. Beinahe erfürchtig sah er den Mann ihm gegenüber an und dann weiteten sich seine Augen vor Angst. "Aber wenn sie ihn gefangen haben – bei den Göttern, wohin bringen sie uns?!"
"Ich weiß nicht, wohin wir gehen werden aber Sovengarde erwartet uns", sagte der Nord mit melancholischer Stimme. Er blickte voraus in Fahrtrichtung.
Die Kolone näherte sich einem Stadttor. Ich hätte es beinahe nicht bemerkt. Der kaiserliche Kutscher zog leicht an den Zügeln und das Pferd wurde langsamer.
"Nein, das kann nicht wahr sein", jammerte der Dieb, "das kann einfach nicht wahr sein!"
Langsam kamen wir an einem Wegweiser vorbei. Eine fast parallel zu unserer verlaufende Straße führte von der Stadt weg in Richtung Ivarstad durch die Berge und wir kamen in Helgen an. Zwei Stadtbewohner kamen aus dem Wald und gingen eine Weile neben den Wagen her, bis wir sie überholt hatten.
"Aus welcher Stadt stammt ihr, Pferdedieb?", fragte der Nord.
Helgen war nicht besonders groß aber es musste sich um eine sehr alte Stadt handeln, denn das alte Gemäuer der Stadtmauern hatte schon vielen Angriffen trotzen müssen. Möglicherweise handelte es sich früher einmal um eine kaiserliche Festung, der Baustil unterschied sich kaum von dem was ich aus Cyrodiil kannte.
"Was interessiert euch das?", fragte der Dieb mit Misstrauen in der Stimme.
"Weil die letzten Gedanken eines Nord seinem Zuhause gelten sollten", antwortete der Nord.
Die Hütten innerhalb der Mauern waren aus Holz und hatten Dächer aus Stroh auf denen noch die Überreste des letzten Schneefalls zu sehen waren. Die meisten Bewohner schienen Bauern oder Holzfäller zu sein, vielleicht auch Bergleute, ich konnte keine Händler oder Adelsmänner ausmachen. Sie alle starrten uns an, als wären wir ein Zirkus der von weit her in ihre Stadt kam oder vielleicht gerade wieder davon fuhr, weil sie allesamt ziemlich mürrisch dreinschauten.
"Mara, Kynareth, Akatosh...", betete der Dieb in den Himmel.
Ein Junge in meinem Alter guckte uns zu, wie wir vorbei fuhren bis ihn sein Vater ins Haus schickte und dann kamen wir auf dem Dorfplatz an und die Kutschen hielten.
"Los gehts", sagte der Nord zu mir, "wir sollten den Himmel nicht warten lassen."
Er erhob sich und auch ich stand mit zitternden Knien auf. Der Sack den ich trug, rutschte mir von den Schultern und entblößte fast meinen halben Körper aber ich konnte mit gefesselten Händen nichts dagegen tun, mal davon abgesehen, dass ich mir ganz andere Sorgen machen musste. Links von uns, unter einem Wachturm, stierte uns ein regloser Henker an und wartete geduldig. Das Blut in meinem Herzen gefror zu Eis und die Eissplitter durchdrangen den Muskel aber anstatt ihn erlahmen zu lassen, fing er an immer schneller zu klopfen.
"Nein, wartet", rief der Dieb, "wir sind keine Rebellen!"
"Stellt euch eurem Tod mit etwas mehr Mut, Dieb", sagte der Nord und schubste ihn vom Wagen, dann kletterte er selbst herab und ich folgte ihm.
Ich dachte, ich müsste jeden Moment zusammenklappen, in meinem Bauch verkrampften sich meine Innereien und meine Beine spürte ich fast gar nicht mehr – das lag aber vielleicht auch an der Kälte.
"Ihr müsst es ihnen sagen, wir gehörten nicht zu euch", rief der Dieb mit zunehmender Panik die man aus seiner Stimme heraus hören konnte.
Wir standen schließlich alle vor einem weiblichen Hauptmann des Kaiserreiches und vielleicht einem Legaten der sich nicht ganz wohl zu fühlen schien. Er hatte eine Liste in der Hand und fuhr sich immer wieder mit der Hand durch sein Gesicht.
"Ihr trettet vor, wenn wir eure Namen rufen", rief die Hauptmann mit strenger Stimme.
"Das Kaiserreich liebt seine verdammten Listen", murmelte der Nord neben mir.
"Ulfric Sturmmantel, Jarl von Windhelm", rief der Legat.
Der Geknebelte schritt voran und wurde zum Henker geführt, wo bereits zwei andere Sturmmäntel auf ihre Hinrichtng warteten.
"Es war eine Ehre, Jarl Ulfric", sagte der Nord, dann wurde auch er aufgerufen "Ralof von Flusswald!" und zum Henker geführt.
"Lokir von Rorikstad!"
Der Dieb trat zurück und stieß mit mir zusammen. Dann ging er auf den Legaten zu.
"Nein, ich bin kein Rebell – das dürft ihr nicht tun!"
Und dann hatte ihn die Panik übermannt und er rannte los.
"Halt", schrie die Hauptmann, "Bogenschützen!"
Lorik schaffte keine zehn Meter, als ein Pfeil seinen Körper durchbohrte und er zu Boden ging, ohne auch nur noch einen Ton von sich zu geben. Er blieb tot liegen.
"Will sonst noch jemand fliehen?", fragte die Hauptmann.
Der Legat ließ seinen Finger über die Liste gleiten, dann blickte er auf und sah mich an.
"Wer bist du denn?"
Die Hauptmann verschrenkte ihre Arme vor der Brust.
"Ronya."
"Hauptmann, sie steht nicht in der Liste, was sollen wir tun?"
Die Hauptmann winkte mit der Hand ab.
"Vergesst die Liste, sie geht zum Block!"
Es war nur ein Funken Hoffnung gewesen aber es war das Letzte, dass mich stehen ließ und als der Funken erlosch, dachte ich, ich würde jeden Moment zu Boden gehen aber das passierte nicht. Ganz im Gegenteil. Es wurde alles taub um mich und auch ich, mein Herz und mein Inneres und ich wurde ruhig. Nicht einmal die Kälte konnte mir etwas anhaben. Ich ging zu den anderen Gefangenen und stellte mich neben Ralof dem Nord.