Freitag, 22. August 2014

Axii 12

Axii kam in die Waschküche. Der Vater tanzte mit der Haushälterin. Die Lautsprecher gaben alles: 

„Charlie?! Vergewissere dich, dass du an alles gedacht hast, wenn du jetzt irgendwo hin gehst!“ 

Clantra warf ihre Hände in die Luft und drehte sich um sich selbst und der Vater bewegte sich kopfwackelnd um sie herum.  

„Charlie?! Vergewissere dich, dass du an alles gedacht hast, wenn du jetzt irgendwo hin gehst!“ 

Die elektronische Musik verzerrte die Stimme einwenig, benutzte sie als Klang, machte aus jedem Wort einen Ton eines Instrumentes das es nicht gab. Und durchgehend polterte es hart aber fröhlich, so laut, dass die Scheiben vibrierten.  

„Charlie?! Vergewissere dich, dass du an alles gedacht hast, wenn du jetzt irgendwo hin gehst! Mama ist heute Abend arbeiten! Charlie?! Vergewissere dich, dass du an alles gedacht hast, wenn du jetzt irgendwo hin gehst! … Mama ist heute Abend arbeiten!“ 

Clantra bewegte ihren Körper wie eine Schlange und noch immer flogen ihre Arme durch die Luft, weit über ihrem Kopf. Und der Vater stellte sich nun direkt vor sie, kopfnickend und schleuderte ihr seine Arme entgegen – links und rechts und links und rechts. 

„Charlie?! Vergewissere dich, dass du an alles gedacht hast, wenn du jetzt irgendwo hin gehst!“ 

Axii ging rückwärts hinaus und schloss die Tür. 
  „Mama ist heute Abend arbeiten“, sagte er grinsend.

Axii und Alicen

Axii öffnete das Dachfenster und kletterte im Schlafanzug hinaus. Es hatte geregnet, er musste aufpassen, dass er nicht ausrutschte. Seine Socken wurden nass. Er setzte sich hin und zog sie aus, warf sie zurück in sein Zimmer und schaute auf die Lichter der Dusonstadt. Es glitzerte überall, bis zum Horizont, selbst auf den weit entfernten Bergen. Warmer Wind blies ihm ins Gesicht und ließ sein Haar fliegen. Drüben auf dem Meer landete ein Flugzeug, als es sich der Landebahn näherte, leuchteten entlang der Bahn Lichter auf und man konnte sie gut erkennen. Sie schien auf dem Wasser zu schwimmen.
Über ihm zogen kleine Wolkenfetzen vorbei, die Nacht war schwarz aber er konnte den Großen Wagen erkennen - gerade noch. Bei den Eltern von Mutter und Vater konnte man Nachts die Milchstraße und Tausende von Sternen sehen. Es war so, als wäre die Dusonstadt die umgekehrte Welt der Welt. In den Outlands waren die Sterne oben und hier in der Stadt, da waren sie nämlich unten. Einmal hatte er den Vater sagen hören: „In der Dusonstadt leben wir zwischen den Sternen.“
Ein Conolonibus landete auf einem Wolkenkratzer weit entfernt. Hier in Lalande gab es keine Wolkenkratzer und die höchsten standen in Encea und den 8 Hauptsektoren: Zentral Dusonstadt Nord Nord, Zentral Dusonstadt Nord Ost, Zentral Dusonstadt Süd Ost, Zentral Dusonstadt Süd Süd, Zentral Dusonstadt Süd West, Zentral Dusonstadt Nord West und Zentral Dusonstadt (Dysons Hill). Wobei Dyson Hill noch einmal unterteilt war in West und Ost. Dort stand auch der KI-Tower, der die künstliche Intelligenz beherbergte. Es war nicht der größte Turm aber manchmal reichte er trotzdem bis in die Wolken. Der Conolonibus startete wieder. Es war ein Frachter, das konnte Axii daran erkennen, dass er nun einen großen Kontainer durch die Luft trug.
Axii legte sich flach auf den Rücken und streckte seine Beine aus. Die Wolkenfetzen waren mehr geworden. Sie trieben schnell vom Meer her über die Stadt. Vielleicht kam noch mehr Regen.

Morgens kam er erst sehr spät zum Frühstückstisch. Die Mutter tippte auf ihrem Tablet, der Vater entrollte seine Zeitung. Axii setzt sich an den Tisch und nahm eine Scheibe Brot aus dem Korb. Er legte eine Scheibe Trockenwurst drauf und biss lustlos hinein.
„Wir haben keinen Kakao mehr“, bemerkte seine Mutter nebenbei. Sie korrigierte einige Arbeiten ihrer Schüler. Gerade zeigte das Display eine Arbeit an, die sie beinahe vollständig rot markiert hatte. Und dann schüttelte sie den Kopf und markierte mit dem Zeigefinger eine weitere Zeile.
„Die Mensch-Partei wird verdächtigt einen Anschlag auf das Gedächtnis geplant zu haben“, murmelte der Vater.
„Diese Totaldebilen sollte man ohnehin alle einsperren“, sagte die Mutter. „Wie kann man in unserer heutigen Zeit noch solche veralteten Gedanken haben? Sollen sie doch in den Wald gehen und fortan dort leben, wenn es ihnen in der Stadt nicht gefällt.“
Der Vater schüttelte die Zeitung, das Bild wechselte auf die nächste Seite.
„Mich würde interessieren, wie sie zum Gedächtnis vordringen wollten, wenn sie jegliche Technik ablehnen.“ Er lachte trocken. „Mit Stock und Hut.“
Axii stand wieder auf.
„Ich muss los“, sagte er.
Die Mutter nickte, der Vater gähnte und legte seine Zeitung auf den Tisch.
„Sei brav“, sagte die Mutter, als Axii durch die Tür nach draußen ging.

Axii lehnte sich an eine Straßenlaterne. Er wartete auf den Bus. Alicen kam. Er setzte sich auf die Bank im Glashäuschen. Axii beobachtete ihn. Seine Haare hatte er, wie immer, direkt nach dem Duschen mit einer Menge Haarspray gesteift. Es sah aus, als hätte er einen Kopf voll langer und dicker Nadeln, die kreuz und quer abstanden.
„MJ – Bad“, sagte Alicen leise wobei er seinen Kommunikator am Handgelenk meinte. Er hörte Musik, in seinen Ohren steckten Mini-Lautsprecher. Axii konnte sie nicht sehen, aber unter Alicens stacheligen Haaren blinkte es und das Display seines Kommunikators zeigte ein Bild von einem Mann in Lederjacke und mit dunklen Locken.
Alicen sah auf und ihre Blicken trafen sich. Axii sah schnell weg.
„Hi, du bist doch an meiner Schule“, sagte Alicen.
Axii nickte.
„Ja, Naturwissenschafts-Kurs Eins.“
„Ich bin in Geschichte und Politik – ich bin Alicen.“
„Axii.“
Sie berührten sich knapp mit den Fingerspitzen.
„Du hast doch letztes Jahr im Kunst-Kurs diese Fratze gebastelt, oder?“
Axii nickte.
„Und sie der Schulleiterin geschenkt“, sagte Axii grinsend.
Alicen lachte.
„Die wusste echt nicht, was sie sagen sollte.“
Axii zuckte mit den Schultern. Eigentlich wollte er seiner Schulleiterin damit nichts gesagt haben. Sie fand seine Arbeit beeindruckend, sehr sogar, also hatte er sie ihr am Schultag einfach geschenkt. Das die Leute sich darüber Gedanken machen würden, es sogar merkwürdig oder bestürzend finden würden, daran hatte er nicht gedacht. Erst als sie ihn danach zur Seite nahm und fragte, warum er das getan habe, hatte er gemerkt, dass es keine gute Idee gewesen ist, vor fast Tausend Schülern und Eltern, seiner Schulleiterin eine Maske aus Hühnerfedern, Wurzeln und anderem Kram zu schenken. Schließlich aber, nachdem er ihr erklärt hatte, dass er sich nichts dabei gedacht hatte, nahm sie die Maske und hängte sie im Lehrerzimmer auf. Seitdem hängt sie dort und jeder Refrendar der zum ersten Mal den Raum betrat, erschrack einwenig, wenn er sie erblickte.
„Psst“, sagte Alicen damit die Musik in seinen Ohren verstummte. „Axii, ist ein komischer Name.“
„Eigentlich heiße ich Naxin aber jeder nennt mich Axii mit doppeltem i – und frag nicht, ich weiß nicht warum das doppelte i.“
„Falls du mal ein i verlierst, heißt du immer noch Axii, deshalb vielleicht“, sagte Alicen und Axii lachte.
Der Bus kam und beide stiegen ein. Sie setzten sich nebeneinander. Der Bus fuhr zum Bahnhof. Sie redeten über etwas. Alicen zeigte Axii etwas auf seinem Kommunikator. Sie fuhren einen Hügel herunter. Weit voraus glitzerte das Meer, die Sonne backte die Stadt, die Ferien standen bevor.