Samstag, 14. Juni 2014
Axii - Spätsommer oder die K. I.
Axii
zog sich die Kapuze seines Pullis über den Kopf. Er hörte die
Tropfen dumpf auf dem Stoff. Sie prallten ab und flogen von ihm weg.
Alicen kam die Straße herunter. Er hielt sich seine Tasche über den
Kopf. Sie berührten sich mit den Fingerspitzen und gingen los, ohne
ein Wort zu sagen.
Axii
hatte in der letzten Nacht nicht geschlafen und heute morgen war er
schon nah dran gewesen die ganze Sache abzublasen doch er hielt
durch. Und jetzt, da es kein Zurück mehr gab wurde er vollkommen
ruhig und konzentriert.
„Hier“, sagte Alicen. Er gab Axii seine Kamera, als sie sich
unter das Dach einer Haltestelle gestellt hatten. „Es ist bereits
alles eingestellt und programmiert – halte nur drauf.“
„Alles klar“, sagte Axii.
Der
Bus stoppte, sie stiegen ein.
Später
fuhren sie mit der Magnetbahn nach Encea. Und dann standen sie auf
der obersten Etage und schauten herunter. Eine Autobahn verlief genau
unter ihnen, darunter war ein Netz aus I-Metall gespannt und darunter
verliefen einige Versorgungsstraßen kreuz und quer. Darunter fuhren
Züge, die auf Schienen-Straßen fuhren, welche die ganze Dusonstadt
vernetzten. Unter den Schienen gab es wieder Verkehr und darunter
wieder Magnetbahnen. Dann war es nicht mehr allzu weit nach unten bis
zu den Kanälen.
„Wir warten, bis es hier etwas leerer geworden ist“, flüsterte
Alicen.
Viele
Menschen gingen an ihnen vorbei und auf dem hängendem Plaza
tummelten sich Touristen aus den Outlands und Geschäftsleute die
gerade Pause machten. Sie mussten lange warten bis sich eine gute
Gelegenheit bot und dann sprang Alicen über das Geländer auf die
andere Seite. Der Wind fing sofort an, an seinen Kleidern und Haaren
zu zerren, als hätte er eine Grenze überschritten.
„Axii, die Kamera, Maus!“
Axii
wachte auf. Er hob die Kamera und fing an zu filmen. Alicen machte
sich an den Abstieg.
„Alicen?“, rief Axii, „weißt du was, ich hasse dich dermaßen,
das glaubst du gar nicht.“
Alicen
lachte nur kurz. Er hing jetzt beinahe frei in der Luft - unter ihm
die Autobahn - und hielt sich mit nur einer Hand an einer großen
Schraubenmutter fest, die aus der Wand ragte. Mit seinem Fuß
versuchte er einen Stahlbalken zu erreichen auf welchem er stehen
konnte.
„Scheiße, ich kriege es nicht!“
Axii
rannte am Geländer entlang um Alicen besser im Bild zu haben. Über
eine Brücke gelangte er auf die andere Seite der Schlucht und zoomte
näher heran. Alicen hatte es in der Zwischenzeit geschafft den
Balken zu erreichen. Schnaufend kniete er auf ihm, dann schaute er
ins Bild und hob den Daumen.
„Ja, ja, du hast Eier so groß wie die Dusonstadt, Alicen“,
murmelte Axii.
Alicen
sprang – Axii folgte ihm mit der Kamera. Alicen prallte auf die
Wand aus Ranken und krallte sich fest. Er hing – und dann knirschte
es und die Ranken rissen von der Wand. Sie pellten sich ab, wie alte
Farbe und Alicen fiel rücklings ins Nichts.
Alicen
landete mit der Wand aus Gemüse im Netz und wurde begraben. Axii
konnte nur an einigen Stellen Alicens rotes T-Shirt erkennen. Es
bewegte sich. Axii zoomte noch näher heran. Alicen setzte sich auf
und hielt sich mit beiden Armen sein linkes Knie. Nach einer Weile
drehte er sich zu Axii um und zeigte ihm wieder den Daumen. Axii
machte das gleiche.
„Er
hat noch einen weiten Weg“, sagte Axii.
Alicen
befreite sich von den Ranken und zwängte sich durch eine Masche des
Netzes, ließ sich unterhalb hängen und sprang dann auf einen Balken
aus I-Metall an dem Scheinwerfer angebracht waren. Nun war er, der
Netze wegen, nicht so gut zu erkennen. Axii musste in den Etagen
unter dem Netz weiter filmen. Er machte aus und sich auf den Weg.
Im
Lift nach unten konnte er Alicen auf dem Balken hocken und warten
sehen. Er schien sich aus zu ruhen – der Wind versuchte ihn weg zu
wehen – seine Muskeln waren angespannt – er hielt sich mit aller
Kraft weg – hinter einem Turm kletterte eine Erbauer-Einheit, wie
eine gewaltige Roboter-Spinne aus ihrem Loch hervor. Alicen bemerkte
sie nicht und sie bewegte sich schwerfällig auf ihn zu. Axii klappt
der Mund auf.
„Oh
Mist, Alicen, dreh dich um!“
Der
Lift hielt, Axii sprang auf einen schmalen Streifen für Fußgänger
heraus. Über ihm donnerten hunderte Autos über die Autobahn und
neben ihm summte die Schiene der Magnetbahn. Hinter ihm reihten sich
Lastwagen in einen Stau ein.
„Alicen!“, schrie Axii.
Alicen
blickte auf aber nicht weil er seinen Freund gehört hatte. Die
Erbauer-Einheit hielt nur 3 Meter hinter ihm an und gab einen kurzen
Alarm von sich.
„Alicen Kahokey, 15 Jahre alt, das behindern der Erbauer-Einheiten
ist strafbar. Das Schluchten-Klettern ist strafbar. Versuchter
Selbstmord in urbaner Gegend ist strafbar. Bitte warten sie bis Hilfe
kommt.“
„Fuck you!“
Alicen
stand auf und rannte los. Der Balken fing an sich zu bewegen. Er kam
ins Taumeln, fing sich aber wieder und rannte noch einige Schritte
und fiel hin. Axii wackelte mit dem Bild zwischen Alicen und der
Erbauer-Einheit hin und her. Die Maschine setzte sich schwerfällig
in Bewegung – Alicen war wieder auf den Beinen.
„Lauf!“, schrie Axii.
Alicen
lief los. Doch er kam nicht weit, wie aus dem Nichts umschloss eine
weiche Pranke seinen Körper und hielt ihn fest. Alicen hatte keine
Ahnung was passiert war. Axii hatte es jedoch im Speicher. Die
Erbauer-Einheit hatte innerhalb von einem Bruchteil der Sekunde einen
Fangarm ausgefahren und Alicen gepackt. Doch die Bewegung war so
schnell, dass es selbst Axii vorkam, als sei der Arm aus dem Nichts
aufgetaucht.
„Lass mich los, du fettes Stück Scheiße!“
„Bitte beruhige Dich“, sagte die Erbauer-Einheit – dieses Mal
mit einer menschlichen und mit beschwichtigenden Stimme. „Das war
ziemlicher Wahnsinn. Kaum zu glauben, dass du es so weit geschafft
hast.“
Alicen
starrte die Maschine ungläubig an.
„Oh, ja, ich bin beeindruckt und das hat schon was zu sagen –
immerhin klettere ich ständig durch diese Schluchten und führe
Reparaturen an den Türmen durch.“
Alicen
hatte keine Ahnung was er sagen sollte. Er machte den Mund auf und
wieder zu.
„Tut mir Leid, dass ich dich der Polizei übergeben muss – aber
keine Sorge, die werden dir nichts tun und du kommst auch nicht ins
Gefängnis... - selbst wenn du mit einer alten Kanone aus der alten
Zeit herumspielst.“
Alicen
erblasste einwenig.
„Woher... ?“
„Woher ich das weiß? Du lebst auf mir.“
„Ki?“
„Genau.“
Alicen
drehte sich in die Richtung in der er Axii zum letzten Mal gesehen
hatte. Er war nicht mehr da.
„Dein Freund wurde bereits von zwei Capymännern begrüßt“,
sagte Ki über die Erbauer-Einheit.
„Aber Moment mal“, sagte Alicen, „arbeitest du nicht für die
Regierung? Ich meine, du kannst doch nicht einfach Leute beobachten
und tun was du willst.“
„Alicen, ich bin einige hundert Jahre älter als die Regierung und
ich arbeite nicht für sie, ich arbeite mit ihnen zusammen und für
meinen Schöpfer Dr. Dr. Prof. Dyson. Und seine Anweisungen waren
ganz einfach – Hilf den Menschen die Welt wieder aufzubauen und zu
überleben – wobei Überleben Priorität hat.“
„Aber Dyson ist schon lange tot“, sagte Alicen und fügte schnell
„tut mir Leid“ hinzu.
„Es
gibt keinen Tod.“
„Ja, für dich.“
Eine
Rettungs-Drohne schwirrte heran.
„Sind sie verletzt Alicen?“
Alicen
schüttelte den Kopf.
„Diese Erbauer-Einheit wird sie jetzt zur obersten Ebene bringen –
wir warten dort mit einem Transporter, um sie zu versorgen.“
„Mir fehlt nichts“, sagte Alicen.
Die
Erbauer-Einheit kletterte an einer Säule empor und ließ Alicen
vorsichtig auf den Boden fallen. Eine Sanitäterin nahm den Jungen in
Empfang.
Eine
Stunde später setzte sich Alicen unversehrt neben Axii. Ein ernst
drein blickender Capymann saß in einem Stuhl vor ihnen.
„Wir haben eure Eltern verständigt. Sie werden euch hier abholen“,
sagte er. „Da ihr zuvor noch nicht aufgefallen seid, werden wir
wegen dieser verblödeten Sache nichts unternehmen. Das Videomaterial
jedoch bleibt hier.“
Die
beiden nickten oder zuckten leicht mit den Schultern aber beide
schauten sich ihre Schuhspitzen an.
„Was du da gemacht hast ist sehr gefährlich“, fing der Capymann
an und sagte ihnen, was ihnen auch schon all die anderen Capymänner
gesagt hatten: „Wäre eine Magnetbahn vorbei gekommen wärst
herunter geweht worden – schon ein verdammtes Glück, dass es nicht
die Winde getan haben.“
Er
schüttelte den Kopf, zog sein Cap vom Kopf, strich sich durch seinen
üppigen Haarschopf und setzte das Cap wieder auf.
„Tut mir Leid“, sagte Alicen zum 131 Mal. „Ich hab Axii dazu
überredet, das wollte ich auch nicht.“
„Ich wollte ja“, sagte Axii lustlos. Er hatte keine Lust seine
Stimme zu gebrauchen. Er hoffte seine Eltern würden noch sehr lange
brauchen, bis sie da waren – ein Leben lang oder so.
„Die Eltern sind da“, sagte eine Stimme durch den Lautsprecher.
Der
Capymann stand auf.
„Na
los“, sagte er und führte die beiden in den Flur hinaus.
„Frink Labuso, bitte sofort nach C-44, sofort bitte.“
Der
Capymann zog die Augenbrauen hoch.
„Hört zu, das bin ich – geht bis zu der Tür dort – dahinter
warten eure Eltern auf euch – macht keinen scheiß mehr.“
Er
drehte sich um und ging in die andere Richtung davon. Die beiden
sahen sich an.
„Tut mir Leid Axii“, sagte Alicen.
„Nein, ist schon gut – wenn sie uns nicht erwischt hätten, wärst
du bis ganz nach unten gekommen.“
Axii
boxte Alicen in die Schulter.
„Los gehen wir – unsere Henker warten.“
Axii
ging, Alicen folgte ihm.
Er
hätte es nicht geschafft. Auf dem Scheinwerfer-Balken ging gar
nichts mehr – seine Arme hatten sich schwach angefühlt und Panik
kam langsam auf. Beinahe war er froh, als die Erbauer-Einheit hinter
ihm auftauchte und er rannte nur los, weil er nicht ins Gefängnis
gehen wollte – was, wie sich jetzt herausgestellt hatte, ziemlicher
Humbug war.
Die
Zwei gingen durch die Tür aber ihre Eltern waren nicht da.
„Geht nach Hause aber macht keinen Unsinn mehr“, sagte der
Getränke-Automat.
Axii
bemerkte zunächst nicht, dass mit ihm gesprochen worden war.
„Wo
bleiben die?“, fragte er sich.
Alicen
trat an den Automaten.
„Ki?“
„Geht, bevor jemand her kommt. Geht durch die Tür und über den
Parkplatz. Macht ruhig – niemand kennt euch – seid unauffällig.
Ich habe die Anrufe abgefangen und die Stimmen eurer Eltern
imitiert.“
Axii
stellte sich neben Alicen und starrte den Automaten an.
„Verdammter Mist, sind wir high?“
Alicen
schubste Axii von sich.
„Das ist Ki – warum tust du das? … Ki?“
Der
Automat sagte nichts mehr.
„Ki?“
Axii
packte seinen Freund am Arm und zog ihn zur Tür.
„Komm schon, wir verschwinden.“
Axii
schüttelte das Feuerzeug. Es funktionierte nicht mehr.
„Warum hilft uns die K. I.?“ Alicen gab Axii ein anderes
Feuerzeug.
„Woher willst du wissen, dass es tatsächlich die K. I. Gewesen
ist?“
Alicen
zuckte mit den Schultern.
„Wer sonst hätte eine solche Kontrolle über alle Computer in der
Stadt?“
Axii
wusste es nicht. Er machte sich eine Zigarette an. Alicen zog sie ihm
aus den Mund und warf sie auf den Boden.
„Hör auf mit dem Shit! Du siehst in 10 Jahren aus, wie MJ in
Thriller.“
„Men!“, beschwerte sich Axii. „Was für n Thriller?“
Alicen
setzte sich auf eine Sitzbank.
„Scheiße, hast du noch welche?“
Sie
machten sich jeweils eine Zigarette an und rauchten. Die
Nachmittagssonne wärmte ihre Gesichter, der Regen verdampfte von den
Straßen.
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