Leyka
hatte vor langer Zeit einen Unfall gehabt. Ihr Schulbus fuhr zu
schnell und kippte in einer Kurve um. Leyka saß auf der Seite neben
dem Fenster auf die der Bus fiel. Als die Scheibe zersprang,
zerschnitten die Scherben ihr das Gesicht. Sie lag sehr lange im
Krankenhaus und als sie wieder nach Hause kam war sie jemand anderes
geworden. Ihr kam es vor, als sei sie in den Körper eines anderen
Menschen gesteckt worden. Ihre Eltern gingen vorsichtig mit ihr um,
so, als sei sie aus Porzellan, ihre Freunde gaben sich sichtbar Mühe
so zu tun, als wäre sie noch immer Leyka und alle anderen Menschen
schauten sie an, als würde sie mit einem Tanker auf sie zusteuern
und dann schauten sie wieder weg oder taten so, als sei sie doch kein
Tanker sondern ganz normal.
Eine
Seite ihres Gesichtes hatte große Narben, ihre Lippen schienen Teil
davon zu sein. Sie hatte nur noch ein Auge.
Irgendwann
wollte Leyka nicht mehr in die Schule gehen. Ihre Eltern versuchten
es mit einer anderen Schule aber auch dort wollte sie nicht bleiben.
Eine lange Reise begann, von einem Krankenhaus zum nächsten und mit
langen Gesprächen und Therapien.
Heute
lebte sie in Ruhr und hatte sich mittlerweile an alles gewöhnt, was
nicht bedeutete, dass sie sich gut fühlte. Sie hatte eine Freundin
gefunden mit der sie sich manchmal nach der Schule traf und ihr
Schulpraktikum hatte sie in einer Werkstatt für Autos gemacht. Dort
lernte sie Fikret kennen, er war ihr Chef in der Zeit. Er hatte ihr
gesagt, dass es irgendwann anders sein würde.
Die
Sommerferien fingen an. Sie hatte keine schlechten Noten aber in der
Schule wurde noch nach alten Massstäben gewertet. Sie wusste, dass
sie mit ihren Noten nicht weit kommen würde, mal abgesehen von ihrem
Äußeren. Dann fiel ihr etwas ein. Fikret wollte, dass sie sich bei
ihm meldete, wenn sie mit der Schule fertig war. Bis dahin mussten
noch Jahre vergehen und Fikret wäre dann Rentner oder so etwas.
Hin
und wieder fuhr sie mit der Straßenbahn an den Fluss. Hier saß sie
am Ufer und baute kleine Häuser aus Steinen die dann überflutet
wurden. Damit konnte sie sich stundenlang beschäftigen und niemand
störte sie dabei, weil kaum jemand da lang ging.
Leyka
versank an diesem Tag in Gedanken, sie konnte weit weg sein und die
Welt um sich herum vollkommen vergessen. Manchmal glaubte sie, dass
so etwas niemand anderes sonst konnte. Und an diesem Tag kam jemand
vorbei.
„Uh,
hallo.“
Ein
Junge stand plötzlich hinter ihr. Sie hatte ihn nicht kommen gehört
aber da stand er mit langen nassen Haaren und bunten Sachen, als sei
dies hier ein Strand auf den Azoren. Die Sonne blendete sie und die
frischen Blätter glühten.
„Hallo.“
Er
machte große Augen als sie sich zu ihm umdrehte. Normalerweise
verschwand dieser Ausdruck in den meisten Gesichtern schnell wieder
aber er hatte offensichtlich eine lange Leitung.
„Scheiße“,
hauchte er.
„Verpiss
dich“, raunte sie. Sie drehte sich wieder weg und starrte auf den
Fluss. Der Trottel schien nichts zu kapieren. Er stand noch immer
hinter ihr. Am liebsten würde sie aufspringen und auf ihn
einschlagen aber sie wagte es nicht sich noch einmal zu ihm
umzudrehen.
„Was
ist mit deinem Gesicht?“
Hatte
er sie noch alle? Warum ging er nicht einfach weg? Leyka überlegte
selbst aufzustehen und schnell davon zu rennen. Leider gab es keine
Möglichkeit mal eben schnell hinter einer Ecke zu verschwinden. Die
Ufer waren sehr weite unebene Wiesen und es standen nur wenige Bäume
und Büsche auf ihnen.
„Hat
dich jemand mit einem Messer angegriffen oder so?“
Das
reichte.
„Ich
sagte, du sollst dich verpissen!“
Plötzlich
stand sie auf den Beinen. So schnell war sie aufgesprungen, dass sie
beinahe ihr Gleichgewicht verloren hätte. Der Junge sprang rücklings
davon, wie ein erschrockenes Reh aber er verpisste sich nicht.
„Man!
Ist ja gut, ich frage ja nur.“
„Dann
frag nicht!“
Er
blieb stehen wo er stand. Aus den Augenwinkeln beobachtete er sie.
Dann zuckte er mit den Schultern.
„Bist
du schlecht gelaunt?“, fragte er.
Leyka
hatte keine Ahnung was sie tun sollte.
„Soll
das eine Stadt sein?“, fragte er. Er zeigte auf ihr Steindorf am
Ufer. „So etwas mache ich auch, weißt du – aber am Computer mit
Bildbearbeitungs-Programmen.“
„Toll
für dich.“
Er
zuckte wieder mit den Schultern.
„Hast
du keine Freunde?“, fragte er.
„Doch
hab ich aber du wirst nicht mein Freund.“
Er
zuckte mit einer Schulter.
„Ist
mir egal.“
„Dann
lass mich doch in Ruhe.“
Leyka
hatte plötzlich das Gefühl, sie könnte es noch gut vertragen sich
mit dem Typen eine Weile zu streiten.
„Von
mir aus“, sagte er. Er zuckte schon wieder mit seinen Schultern und
dann ging er an ihr vorbei.
„Arsch“,
sagte sie aber er ging einfach weiter.
Sie
hob einen Ast vom Boden auf und warf ihn ihm nach. Er traf ihn am
Kopf. Er schrie „Au!“, hielt sich am Kopf fest und kniete sich
hin. Vielleicht hatte sie ihn zu sehr erwischt.
„Selber
schuld.“
Er
blieb knien. Sie kam langsam auf ihn zu. Einen halben Meter vor ihm
blieb sie wieder stehen. Was nun?
„Bist
du blöd?“, fragte er, ohne aufzusehen.
Sollte
sie sich jetzt entschuldigen?
„Ups“,
sagte sie.
Er
stand wieder auf und grinste blöd.
„Dafür,
dass du nur ein Auge hast, kannst du aber gut zielen.“
Das
tat nicht weh. Aus irgendeinem Grund war es witzig.
„Du
kannst mich mal.“