Freitag, 25. Oktober 2013

Leyka und Prince


Leyka hatte vor langer Zeit einen Unfall gehabt. Ihr Schulbus fuhr zu schnell und kippte in einer Kurve um. Leyka saß auf der Seite neben dem Fenster auf die der Bus fiel. Als die Scheibe zersprang, zerschnitten die Scherben ihr das Gesicht. Sie lag sehr lange im Krankenhaus und als sie wieder nach Hause kam war sie jemand anderes geworden. Ihr kam es vor, als sei sie in den Körper eines anderen Menschen gesteckt worden. Ihre Eltern gingen vorsichtig mit ihr um, so, als sei sie aus Porzellan, ihre Freunde gaben sich sichtbar Mühe so zu tun, als wäre sie noch immer Leyka und alle anderen Menschen schauten sie an, als würde sie mit einem Tanker auf sie zusteuern und dann schauten sie wieder weg oder taten so, als sei sie doch kein Tanker sondern ganz normal.
Eine Seite ihres Gesichtes hatte große Narben, ihre Lippen schienen Teil davon zu sein. Sie hatte nur noch ein Auge.
Irgendwann wollte Leyka nicht mehr in die Schule gehen. Ihre Eltern versuchten es mit einer anderen Schule aber auch dort wollte sie nicht bleiben. Eine lange Reise begann, von einem Krankenhaus zum nächsten und mit langen Gesprächen und Therapien.
Heute lebte sie in Ruhr und hatte sich mittlerweile an alles gewöhnt, was nicht bedeutete, dass sie sich gut fühlte. Sie hatte eine Freundin gefunden mit der sie sich manchmal nach der Schule traf und ihr Schulpraktikum hatte sie in einer Werkstatt für Autos gemacht. Dort lernte sie Fikret kennen, er war ihr Chef in der Zeit. Er hatte ihr gesagt, dass es irgendwann anders sein würde.
Die Sommerferien fingen an. Sie hatte keine schlechten Noten aber in der Schule wurde noch nach alten Massstäben gewertet. Sie wusste, dass sie mit ihren Noten nicht weit kommen würde, mal abgesehen von ihrem Äußeren. Dann fiel ihr etwas ein. Fikret wollte, dass sie sich bei ihm meldete, wenn sie mit der Schule fertig war. Bis dahin mussten noch Jahre vergehen und Fikret wäre dann Rentner oder so etwas.
Hin und wieder fuhr sie mit der Straßenbahn an den Fluss. Hier saß sie am Ufer und baute kleine Häuser aus Steinen die dann überflutet wurden. Damit konnte sie sich stundenlang beschäftigen und niemand störte sie dabei, weil kaum jemand da lang ging.
Leyka versank an diesem Tag in Gedanken, sie konnte weit weg sein und die Welt um sich herum vollkommen vergessen. Manchmal glaubte sie, dass so etwas niemand anderes sonst konnte. Und an diesem Tag kam jemand vorbei.
Uh, hallo.“
Ein Junge stand plötzlich hinter ihr. Sie hatte ihn nicht kommen gehört aber da stand er mit langen nassen Haaren und bunten Sachen, als sei dies hier ein Strand auf den Azoren. Die Sonne blendete sie und die frischen Blätter glühten.
Hallo.“
Er machte große Augen als sie sich zu ihm umdrehte. Normalerweise verschwand dieser Ausdruck in den meisten Gesichtern schnell wieder aber er hatte offensichtlich eine lange Leitung.
Scheiße“, hauchte er.
Verpiss dich“, raunte sie. Sie drehte sich wieder weg und starrte auf den Fluss. Der Trottel schien nichts zu kapieren. Er stand noch immer hinter ihr. Am liebsten würde sie aufspringen und auf ihn einschlagen aber sie wagte es nicht sich noch einmal zu ihm umzudrehen.
Was ist mit deinem Gesicht?“
Hatte er sie noch alle? Warum ging er nicht einfach weg? Leyka überlegte selbst aufzustehen und schnell davon zu rennen. Leider gab es keine Möglichkeit mal eben schnell hinter einer Ecke zu verschwinden. Die Ufer waren sehr weite unebene Wiesen und es standen nur wenige Bäume und Büsche auf ihnen.
Hat dich jemand mit einem Messer angegriffen oder so?“
Das reichte.
Ich sagte, du sollst dich verpissen!“
Plötzlich stand sie auf den Beinen. So schnell war sie aufgesprungen, dass sie beinahe ihr Gleichgewicht verloren hätte. Der Junge sprang rücklings davon, wie ein erschrockenes Reh aber er verpisste sich nicht.
Man! Ist ja gut, ich frage ja nur.“
Dann frag nicht!“
Er blieb stehen wo er stand. Aus den Augenwinkeln beobachtete er sie. Dann zuckte er mit den Schultern.
Bist du schlecht gelaunt?“, fragte er.
Leyka hatte keine Ahnung was sie tun sollte.
Soll das eine Stadt sein?“, fragte er. Er zeigte auf ihr Steindorf am Ufer. „So etwas mache ich auch, weißt du – aber am Computer mit Bildbearbeitungs-Programmen.“
Toll für dich.“
Er zuckte wieder mit den Schultern.
Hast du keine Freunde?“, fragte er.
Doch hab ich aber du wirst nicht mein Freund.“
Er zuckte mit einer Schulter.
Ist mir egal.“
Dann lass mich doch in Ruhe.“
Leyka hatte plötzlich das Gefühl, sie könnte es noch gut vertragen sich mit dem Typen eine Weile zu streiten.
Von mir aus“, sagte er. Er zuckte schon wieder mit seinen Schultern und dann ging er an ihr vorbei.
Arsch“, sagte sie aber er ging einfach weiter.
Sie hob einen Ast vom Boden auf und warf ihn ihm nach. Er traf ihn am Kopf. Er schrie „Au!“, hielt sich am Kopf fest und kniete sich hin. Vielleicht hatte sie ihn zu sehr erwischt.
Selber schuld.“
Er blieb knien. Sie kam langsam auf ihn zu. Einen halben Meter vor ihm blieb sie wieder stehen. Was nun?
Bist du blöd?“, fragte er, ohne aufzusehen.
Sollte sie sich jetzt entschuldigen?
Ups“, sagte sie.
Er stand wieder auf und grinste blöd.
Dafür, dass du nur ein Auge hast, kannst du aber gut zielen.“
Das tat nicht weh. Aus irgendeinem Grund war es witzig.
Du kannst mich mal.“ 
 

Dienstag, 8. Oktober 2013

Gedanken (15) Kreise

Es ist immer so, als wäre es unmöglich, etwas so zu erklären, dass keine Frage mehr offen bleibt. Die Dinge hängen zusammen wie unendlich viele Glieder eines Kettengebildes ohne einen Rand, einen Anfang oder einem Ende. Egal aber wo man anfängt, alles läuft darauf aus, dass man das gesamte Gebilde verstehen muss, wenn man auch nur erklären will warum Wasser Feuer löscht. Und dann? Was ist Energie?

Julian dachte oft über Dinge nach zu denen vielleicht noch nie ein Mensch eine Frage gestellt hatte. Warum funktioniert Energie?

Es könnte sein, dass es Energie nur dann gibt, wenn es eine Welt gibt. Es könnte sein, dass das Universum nur deshalb aus dem Nichts voller Energie entstanden ist, weil das Universum heute existiert. Die Gegenwart lässt die Vergangenheit zu.

 „Wenn ich jetzt nicht hier wäre, gäbe es kein Universum.“
Davon bekam er manchmal Kopfschmerzen. Keine richtigen Schmerzen aber sein Gehirn wehrte sich dagegen über Dinge nach zu denken, für die es nicht entwickelt wurde. Manchmal wurde ihm schwindelig davon, so, als könnte ihm davon schwarz vor Augen werden oder so etwas in der Art.

Kann man eigentlich erklären warum Naturgesetze so wirken wie sie es tun?

Julian stand auf. Er hatte auf dem Boden gelegen. Hier lag viel Schutt herum.