Montag, 23. September 2013

September 2063


Das Gefühl ähnelte vielleicht dem das man als Kind gehabt hatte, wenn man beim Zahnarzt auf das Rufen seines Namens wartete. Dieses bedrückende Gefühl hielt jedoch an – viele Tage und Wochen ohne das etwas geschah. Manchmal wünschte man sich fast, es würde endlich etwas passieren – egal was. In Wirklichkeit aber hatten die meisten noch immer die Hoffnung, alles würde gut ausgehen. Seit Generationen hatte sich niemand mehr einer solchen Sache gegenüber stehen sehen. In den Köpfen vieler galt es als... unmöglich?
Nach der Schule musste ich nach Hause. Ich sollte mich nicht herum treiben. Meine Eltern hatten jedoch keine Ahnung wann die Schule zu Ende war. Zumindest glaube ich das. Jedenfalls nutzte ich jede Gelegenheit, um nach der Schule Zeit mit Freunden zu verbringen.
Jeden Morgen vor der Schule, kurz bevor ich das Haus verließ, kamen Nachrichten im Fernsehen. Mehr bekam ich nicht mit, als ich in diesen wenigen Minuten, in denen ich mir die Schuhe anzog und mir meine Jacke umwarf, den Rucksack schulterte und „Bis dann“ sagte, zu hören und sehen bekam.
Der Streit betraf seltene Erden. Metalle die für die Produktion von Computern wichtig waren. Nur ein einziges Land auf der Erde versorgte alle anderen Länder mit diesen Metallen auf die jeder ganz scharf war. Ich fragte mich, ob es deshalb vielleicht bald keine Computer mehr in Deutschland geben würde. Das wollte ich bestimmt nicht, denn der Computer war eines der wichtigsten Dinge in meinem Zimmer.
Parker – ein merkwürdiger Junge. Oft wünschte ich ihm etwas schlimmes und hätte liebend gern öfter noch ihm in sein Gesicht geschlagen aber nur mit ihm erlebte ich Dinge von denen es sich zu erzählen lohnt.
In unserer Stadt gab es einen alten Schrottplatz. Unsere Zeit nach der Schule verbrachten wir hin und wieder dort. Metallkisten voll mit Kabeln, gestapelte PKW und andere Fahrzeuge und sehr merkwürdige Konstruktionen die vielleicht etwas mit Abwasserkanälen zu tun hatten oder Hochdruck-Behälter – was auch immer. Parker konnte von Kabeln nicht genug bekommen. Immer wenn wir den Schrottplatz verließen hatte er seinen Rucksack voll davon. Ich habe keine Ahnung was er damit anstellte aber er nahm den Schrott jedes Mal mit.
Einmal war ich bei ihm Zuhause. Das Haus seiner Eltern lag in der Nähe einer großen Recycling-Anlage. Er lebte dort in einem ziemlich kleinen Zimmer – besser als ein Abstellraum. Vielleicht war es sogar größer, aber es war dermassen voll gestopft mit Elektrozeug, dass man sich nur vorsichtig drehen konnte, wenn man nicht etwas umstossen wollte.
Es gab plötzlich ein zweites Land das diese seltenen Erden gewinnen konnte. Jetzt konnte man Druck ausüben indem man dieses Land vorzog. Dadurch würde es sehr reich werden, überlegte ich. Es stellte sich heraus, dass sie kaum die Mittel hatten, um diese Metalle abzubauen. Die reichen Länder mussten helfen. Die Menschen in diesem Land mochten das aber nicht – was auch immer.
Parker hatte ins Waschbecken gekotzt. Er stand schon fast am Ende der Stunde auf und ging durch die Klasse auf unsere Klassenlehrerin zu.
Du siehst etwas käsig aus“, sagte sie.
Er wackelte zum Waschbecken und erbrach – was auch immer. In der Pause fiel er, ziemlich dramatisch, wie ich fand, auf seine Knie und würgte noch etwas aber es kam nichts mehr. Ansonsten passierte nichts lustiges.
Einmal hätte ich 100 Euro bekommen, wenn ich von der ersten Etage eines Parkhauses gesprungen wäre. Damit hätte ich den Krankenhausaufenthalt aber nicht bezahlen können also entschied ich mich im letzten Moment dagegen. Parker hatte immer Geld und manchmal genug um mal eben 100 Euro auf die Straße zu schmeißen um zu sehen was passiert.
Irgendwann wurde der Streit in den Nachrichten lauter und die Gesichter der Menschen bedrohlicher. Dann sah man immer weniger Menschen, dafür umso mehr Kriegsschiffe und irgendwann brannten einige davon.
Ich merkte gar nicht wie der Oktober kam. Schüler meiner Klasse kamen nicht mehr. Sie verschwanden ganz plötzlich. Erst wegen Krankheit, dann sind sie in eine andere Stadt gezogen und schließlich hatten wir soviel Platz im Klassenraum, dass man uns endlich sagte, sie seien geflohen. Denn jeder auf der Welt musste sich nun für eine Seite entscheiden und es ging, ohne das ich etwas davon mitbekam, plötzlich nicht mehr nur um seltene Metalle. Es ging um alles, um den letzten Fisch und darum, wie man am Ende am besten aus dem ganzen Schlamassel heraus kam.
Ich lebte auf der richtigen Seite des Landes, so bekam ich nicht mit, dass viele fremde Soldaten in die Städte kamen. Sie sprachen alle Englisch aber man verstand sie manchmal trotzdem nicht. Im Fernsehen stellte man sie zum größten Teil als Freunde dar aber ich lernte mehr Menschen kennen die gegen sie waren als anders herum. Persönlich hatte ich nichts gegen sie. Ich wusste, dass sie uns helfen wollten gegen die Bösen zu kämpfen – die mit den schmallen Augen.
Parker wollte Soldat werden. Ich fand die Idee spannend aber selber wollte ich nie Soldat werden. Soldat konnte ich auch am Computer sein. Das stellte ich mir genauso spannend vor.