Mittwoch, 10. November 2010

Sie von der Straße

Ich stelle mir vor, dass eine Sie, die auf der Straße lebt, sich unter mein Fenster kauert und sich in eine Decke, die sie aus ihrem Rucksack nimmt, kuschelt. Zunächst bemerke ich sie nicht, da ich dieses hier schreibe und ganz darauf konzentriert bin. Dann aber höre ich sie husten – direkt unter meinem Fenster. Ich stehe auf und gehe zur Wohnungstür die in den Garten führt und öffne sie. Ich trete hinaus und bin überrascht tatsächlich eine Sie, die auf der Straße lebt und sich unter meinem Fenster in eine Decke kuschelt, vor zu finden. Mit Augen, wie die eines erschrockenen Tieres, starrt sie mich an – hätte sie ein Fell würde es sich jetzt sträuben und hätte sie einen Katzenschwanz, so würde er jetzt Steif und aufgebauscht sein.
Mit einem sanften Lächeln begrüße ich sie und biete ihr eine Zigarette an. Es ist alles in Ordnung, nichts, was nicht normal wäre. Sie streckt ihre Hand nach der Zigarette aus, nimmt sie und bedankt sich leise. Zuerst zünde ich ich mir meine eigene an und reiche ihr dann das Feuerzeug – wir rauchen eine Weile still und ich knie mich hin, um nicht zu groß zu erscheinen.
Da sie nicht von alleine redet, frage ich sie, ob sie hier übernachten möchte und sie schüttelt den Kopf, sie wolle sich nur kurz ausruhen und würde dann weiter gehen. In dem Moment spüre ich, wie sehr kalt es ist und den nassen Boden unter meinen Füßen – ich habe keine Schuhe an.
Sie raucht zu ende und weiß nicht wohin mit der Kippe, also greife ich nach dem Kehrblech aus meinem Wohnzimmer und lege es neben sie – sie wirft die Kippe drauf und fragt, ob ich ihr ihre leere Plastikflasche mit Wasser füllen würde. Mit einem Nicken nehme ich ihr die Flasche ab und stehe auf, um in meine Wohnung rein zu gehen – an der Türe bleibe ich stehen und lade sie zu mir ein.
Sie setzt sich ängstlich oder schüchtern auf die Couch und bedankt sich und sagt, dass es draußen ziemlich kalt wäre und dass ich es sehr warm hätte. Ich will ihr sagen, dass sie ihre Jacke ausziehen sollte, aber dann glaube ich, dass das keine so gute Idee ist und fange an das Wasser im Wasserkocher zu kochen – ich will Tee machen.
Ihr Blick flüchtet vor mir doch bleibt dabei an Sachen wie dem Fernsehgerät, meinen Laptop oder dem Handy immer wieder kurz kleben. Als wir Tee trinken, sage ich ihr daher, dass sie gerne wieder kommen kann, egal wann und wie oft, wenn ihr irgendwann wieder kalt sein sollte. Sie lächelt echt und sagt danke.
Ich mache für sie mein Bett frisch und ziehe die Vorhänge zu, die den großen Raum in zwei Hälften teilen. Da kann sie heute Nacht schlafen. Da sie sehr müde wirkt, lasse ich sie alleine und ziehe mich ins Wohnzimmer an mein Laptop zurück, um diese Geschichte fertig zu schreiben. Sie geht sich etwas waschen – hat alles, was dazu nötig ist in ihrem Rucksack. Dann dauert es nicht lange bis ich sie gleichmäßig atmen höre und mir selbst auch die Augen zu fallen... doch ganz traue ich ihr nicht.

Am nächsten Tag werde ich früh wach und sie ist gegangen – ich habe nichts gemerkt und da sie nichts mitgenommen hatte, was mir gehörte, bleibt mir die Hoffnung, dass sie irgendwann vielleicht wieder kommt, wenn es ihr kalt ist.

Kameraüberwachung